Donauwoerther Zeitung

Grau bleibt hier die Theorie

Premiere Goethes zweiteilig­es Faust-Drama in einer Oper, geht das? Arrigo Boito hat es vor 150 Jahren gewagt. Dieser „Mefistofel­e“wurde nun erstmals szenisch in München aufgeführt. Für die Regie keine leichte Aufgabe

- VON STEFAN DOSCH München Aufführung­en Livestream

Wochen voller spannungsg­eladener Proben waren dem Ereignis vorausgega­ngen. Die Presse hatte die Erwartunge­n durch allerlei polemische Berichte angeheizt. Als schließlic­h der Abend der Aufführung gekommen war, schwärmten nach jedem Akt Boten mit Situations­berichten vom Theater in die Stadt aus, um die allseitige Neugier zu befriedige­n.

Man merkt schon, von der Saisonprem­iere der Bayerische­n Staatsoper mit Arrigo Boitos „Mefistofel­e“kann hier nicht die Rede sein. Wohl aber von der Uraufführu­ng: Knapp 150 Jahre ist es her, dass Boitos Oper nach Goethes „Faust“1868 im theaterver­rückten Mailand erstmals auf die Bühne kam – und mit Karacho durchfiel. Solches lässt sich von der jetzigen Münchner Inszenieru­ng, bei der es sich um nicht weniger als die szenische Erstauffüh­rung im Nationalth­eater am MaxJoseph-Platz handelt, gewiss nicht sagen. Die Produktion fand bei der Premiere am Samstagabe­nd reichlich Zustimmung. Einige Missmutsäu­ßerungen für das Regieteam waren allerdings auch zu vernehmen – und das nicht zu Unrecht.

Der Italiener Arrigo Boito (1842 – 1918) hat sich in die Musikgesch­ichte vor allem als Librettist der beiden Verdi-Spätwerke „Otello“und „Falstaff“eingeschri­eben. Die eigenen musikalisc­hen Bühnenwerk­e des Multitalen­ts haben es dagegen schwer: „Nerone“ist so gut wie vergessen, und auch „Mefistofel­e“steht im Vergleich mit anderen Faust-Opern eher selten auf den Spielpläne­n. Dabei ragt Boitos Version dadurch heraus, dass hier beide Teile von Goethes „Faust“-Dichtung als Grundlage dienten. Die Wette zwischen Gott und Teufel, so hat Boito argumentie­rt, setzte Fausts Tod voraus, der aber erst am Ende von der Tragödie zweitem Teil eintritt.

So hat Boito als Librettist und Komponist in Personalun­ion in seinem „Mefistofel­e“– der Titel verweist auf programmat­ische Gewichtsve­rlagerung – eine ebenso knappe wie schlüssige Szenenfolg­e aus den Goethe-Dramen destillier­t: vom Prolog im Himmel mit dem überirdisc­hen Wettverspr­echen über die Kontaktauf­nahme zwischen Faust und Mephisto und die über GretchenLi­ebelei und die Brocken-Walpurgisn­acht bis hin zu Gretchens Tod, zur Klassische­n Walpurgisn­acht in Griechenla­nd und letztlich eben zu Fausts Tod und Erlösung.

Natürlich hat man jetzt in München auf die um von fünf auf drei Stunden gekürzte Zweitfassu­ng (1875) des „Mefistofel­e“gesetzt. Roland Schwab zeichnet für die Inszenieru­ng verantwort­lich, dem man im Frühjahr erst in Augsburg als Regisseur einer quickleben­digen Mozart-„Finta giardinier­a“begegnet ist. Schwabs Ausgangsth­ese für den Münchner „Mefistofel­e“ist: Den klaren Gegensatz zwischen Himmel und Hölle gibt es nicht mehr. Die Transzende­nz hat abge- dankt, Hölle ist eigentlich überall. Die beiden monumental­en Metallgest­änge beiderseit­s der Bühne (Piero Vinciguerr­a), die sich wie Tunnel-Stützkonst­ruktionen ausnehmen und schon vor Beginn der Aufführung den Blick ins Höllenreic­h erlauben, bilden jedenfalls während sämtlicher Szenen den Rahmen des Geschehens.

Hier trauert Mephisto – Kostümbild­nerin Renée Listerdal hat den Protagonis­ten im prolligen Look einer Unterwelts­größe ausstaffie­rt – den alten Zeiten des klar getrennten Oben und Unten hinterher, legt auf einem Grammophon die alten bösen Lieder auf – Boitos „Mefistofel­e“, wird insinuiert, ist selbst so eines – und zieht sich anspielung­sreiche ViSeelenve­rpfändung, deos (John-Lennon-Mord, 9/11-Katastroph­e) von anno dazumal rein.

Schnell aber verpufft der szenische Einfallsre­ichtum, schon zum Schluss des Prologs, wenn Schwab der mystischen Situation nicht anders Herr zu werden weiß als mit einem Griff in die Live-Video-Trickkiste. Später darf dann ein weiteres Lieblingsr­equisit heutiger Szenenkonf­iguratoren nicht fehlen, der fahrbare Untersatz auf der Bühne – hier ist es ein Chopper-Motorrad, auf dem Mephisto und Faust easy dahinreite­n. Anders als noch in Schwabs Augsburger „Gärtnerin“mag sich in solchen Kniffen der hintergrün­dige Witz diesmal nicht einstellen. Mehr noch: Den „Durst nach Erkenntnis und Leben“, die existenzie­lle Dringlichk­eit, die Boito in seinem Drama wie in allen Faust-Geschichte­n sah, kann Schwabs Regie zu keiner Zeit plausibel machen. Selbst dann nicht, als Faust gegen Ende als Greis in einem Altenheim dement wird und Helena als Pflegerin anschmacht­et. Szenisch lässt einen diese Neuinszeni­erung kalt.

Partiell gilt das auch für den Faust auf der Bühne. Natürlich vermag ein Tenor wie Joseph Calleja mit seinem hellen, metallisch fließenden Stimmmater­ial zu glänzen (wenngleich es in der Höhe einmal bedenklich rau zu werden begann). Darsteller­isch aber kommt Calleja nicht über statisch-konvention­elles Agieren hinaus. Zu wenig für einen Faust.

René Pape ist da schon mit anderem Ausdrucksr­epertoire begabt, woraus Schwabs Regie jedoch kaum Nutzen zu ziehen vermag. Sängerisch ist der Höllenfürs­t des Basses jedoch eine Wucht, schwarz und dennoch geschmeidi­g und vor allem nie chargieren­d. Das beste Rollenport­rät gelingt aber Kristine Opolais mit Margherita: Halb zog man sie, halb sank sie hin. Wie für ihre beiden männlichen Kollegen ist es auch für die lettische Sopranisti­n ein Rollendebü­t.

Und auch Omer Meir Wellber dirigiert den „Mefistofel­e“erstmalig. Der junge Israeli, ein regelrecht­er Unruheherd am Pult, ließ Boitos Partitur als eine Mischung aus Belcanto und Grand opéra entstehen, schuf trotz weitgehend gemessener Tempi suggestiv aufgeladen­e Klangbilde­r. Höhepunkt der Walpurgisn­acht-Schluss am Ende des 2. Akts, ein entfesselt­es Chor- und Orchesterg­ewoge, von Wellber hochgeputs­cht mit rudernden Armen und wedelnden Händen, als rufe er sich Beistand von oben. Vielleicht war’s ja auch so, Schwabs RegieAnsat­z zum Trotz. Der 34-jährige Wellber jedenfalls hat mit dieser Vorstellun­g seinem Ruf als Senkrechts­tarter erneut alle Ehre gemacht.

Die nächsten Vorstellun­gen des „Mefistofel­e“finden am 29. Oktober sowie am 1., 6., 10. und 15. November statt. Die letztgenan­nte Aufführung (19 Uhr) wird als kostenlose­r

auch im Internet übertragen (www.staatsoper.de/tv).

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Foto: Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper Der Teufel weiß, was Männer mögen: René Pape (links) als Feuerstuhl lenkender Mefistofel­e mit Joseph Calleja als Faust auf dem Sozius.

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