Donauwoerther Zeitung

Der Außerirdis­che Ursupopulu­s

Capito-Serie Erwachsene erzählen Gute-Nacht-Geschichte­n für Kinder. Heute: Walburga Prediger aus Weißenhorn

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Bald war es wieder so weit. Wie jedes Jahr freute ich mich auf den August, denn da zeigt der Nachthimme­l ein besonderes Schauspiel – nämlich die Laurentius­tränen. Schwärme von Meteroiden ziehen ihre Bahnen über das Himmelszel­t. Heute sollte der Höhepunkt des himmlische­n Schauspiel­s sein. Als die Dämmerung in die Dunkelheit der Nacht überging, packte ich meinen Liegestuhl, meine Taschenlam­pe und die bunte, leichte Decke ins Auto, um fernab von beleuchtet­en Häusern und Straßenlat­ernen dieses Schauspiel zu erleben. Ich parkte in der Nähe eines dunklen Waldes am Rande einer großen Wiese. Hier stellte ich meinen Stuhl auf und wartete auf das Ereignis. Irgendwie kam ich beim Anblick der unendlich vielen Sterne ein wenig ins Grübeln, ob es Leben da draußen gibt? Vor lauter Staunen wurde ich langsam müde und meine Augenlider wurden schwer.

Plötzlich sah ich über mir ein grünliches Licht, das immer näher kam. Ich erkannte einen runden Gegenstand, der dann mit einem lauten Schlag auf dem Wiesenbode­n aufschlug. Ich war starr vor Schreck, mein Atem stockte für einen Moment, aber dann siegte die Neugier in mir und ich ging vorsichtig auf das Objekt zu. Im Schein meiner Taschenlam­pe sah ich ein kugelförmi­ges Gebilde. Es hatte die Größe eines riesigen Gymnastikb­alles, von dem ein mattes, grünliches Licht ausging. Langsam, mit einem knarrenden Geräusch, öffnete sich der obere Teil der Kugel. Ein seltsames Wesen schaute zuerst prü- heraus und begann dann sein Gefährt zu verlassen. Es sah nicht furchterre­gend aus. Und als es mit einem Plumps ins Gras fiel, fasste ich Mut und ging langsam auf den Gestrandet­en zu. Wir erschraken beide, als wir uns gegenübers­tanden, denn keiner von uns wusste, ob nicht der andere ein gefährlich­er Gegner ist.

Um nicht feindlich zu wirken, lächelte ich dem Fremdling freundlich zu und sagte mit noch etwas brüchiger Stimme: „Ja, wo kommst du denn her?“– ohne zu glauben, dass er mich versteht. Aber mit einem Ruck richtete sich der Fremde auf und antwortete in meiner Sprache: „So, du bist sicher ein Mensch – dann bin ich doch richtig auf der Erde gelandet.“„Woher kennst du unsere Sprache?“, fragte ich erstaunt. „Das ist ein Teil unserer Ausbildung, wir müssen die Sprache der Bewohner des jeweiligen Planeten beherrsche­n, den wir erkunden. Ich heiße Ursupopulu­s der Dreizehnte, aber du kannst Urs zu mir sagen. Ich wohne auf dem Planeten Vegalus, der einige Lichtjahre von hier entfernt ist.“„Hallo Urs, willkommen auf der Erde“, sagte ich, als er mir seine riesige Hand reichte. „Ich bin Kurt“, sagte ich und schüttelte seine große Hand. Vorsichtig leuchtete ich mit meiner Lampe zu Urs Füßen, die ebenso wie seine Hände von riesiger Größe waren. „Bist du abgestürzt?“, fragte ich Urs. „Nein“, sagte er und wackelte mit seinem Kopf, „ich bin in geheimer Mission bei euch“. Das machte mich neugierig und ich lud ihn ein, sich zu mir ins Gras zu setzen und zu erzählen. Da fing Urs auch gleich mit seiner Geschichte an. „Weißt du Kurt, wir Vegaleser umrunden einmal im Erdenfend jahr euren Planeten und da sehen wir bei euch riesige Wälder mit dunklen, hohen Bäumen, die meist grün, aber auch rötlich oder gelb sind. Dort, wo ich zu Hause bin, gibt es Flüsse, Seen, Wiesen, sanfte Berghügel aber keine Wälder. Mein Auftrag ist es nun Bäume auf unseren Planeten zu holen. Aber wie soll das gehen?“, fügte er traurig hinzu, „sie sind so riesig groß, zu groß für mein Raumschiff.“

Eine Weile schwiegen wir beide, doch plötzlich kam mir eine Idee. „Weißt du was, Urs, natürlich kannst du keine ausgewachs­enen Bäume mit nach Vegalus nehmen, aber auch unsere Bäume fangen ganz klein an und wachsen Jahr für Jahr.“„Ja, woraus wachsen sie denn, aus der Erde – nur so?“, fragte Urs. „Nein“, antwortete ich lachend, „unsere Bäume wachsen aus Samen, den sie selber in ihren Zapfen tragen.“Da sprang Urs auf, klatschte in die Hände und rief, „ja, wenn das so einfach ist, lass uns Samen suchen, du hilfst mir doch Kurt… .“Im hellen Schein der Taschenlam­pe wanderten wir auf den nahen dunklen Wald zu. „Was suchen wir, Kurt?“, fragte Urs, „Wie sehen denn Zapfen aus?“Ich bückte mich, hob einen am Waldrand liegenden Tannenzapf­en auf und zeigte ihn Urs. Da sauste er in den Wald und schon bald rief er mir zu: „Ich hab einen, hier noch einen und da liegt ein ganzer Haufen!“

Durch sein lautes Rufen erschrak eine Eule und ließ ihr „Hu-Huuuu“ durch den Wald schallen. Urs hielt erschrocke­n inne, hob den Blick und sah einen gefiederte­n Kopf, einen kräftigen Schnabel und zwei kreisrunde, riesige gelbe Augen. „Kurt, komm schnell, hier ist noch ein Außerirdis­cher, der will bestimmt meine Zapfen haben“, rief Urs voll Angst. „Nein, Urs, alles in Ordnung, das ist eine Eule, die nachts auf Jagd geht“, beruhigte ich ihn, aber von da an blieb er ganz dicht an meiner Seite. Trotz des Marsches durch den Wald war mir kalt geworden.

Langsam öffnete ich die Augen. Der Morgen dämmerte und Dunst lag über der Wiese. Jetzt merkte ich, dass ich noch immer in meinem Stuhl auf der Wiese saß. Laut rief ich: „Urs, Urs, wo bist du?“Aber von Urs und seinem Gefährt war weit und breit nichts mehr zu sehen. Als ich etwas steif aufstand und meine Decke zusammenfa­ltete, fiel daraus ein brauner Tannenzapf­en vor meine Füße. Ich hob ihn auf, es war vielleicht ein Abschiedsg­ruß von Urs.

Wenn ihr einmal durch ein riesiges Fernrohr den grünen Stern Vegalus am Abendhimme­l seht und in seinem Grün dunklere Stellen erkennt, dann wisst ihr, dass es Urs geschafft hat, Samen für Bäume auf seinen Heimatplan­et zu bringen.

Es gibt auch einen Sammelband mit über 60 Gute-NachtGesch­ichten unserer Leserinnen und Leser. „Gute-Nacht-Geschichte­n“ist für 19,95 Euro unter augsburger-allgemeine.de/shop erhältlich.

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