Zäune sind keine Lösung
Leitartikel Die Flüchtlingszahlen müssen begrenzt und geordnete Wege gefunden werden. Was die Österreicher bieten, geht allerdings gar nicht
Wenn es ein Österreicher sagt, klingt es netter. Nein, man wolle das Land nicht einzäunen, versichert Bundeskanzler Werner Faymann in Wien. Es gehe nur um „ein Türl mit Seitenteilen“. Er hätte nur hinzufügen müssen, dass auf dem „Türl“ein Herzl aufgemalt ist ...
Doch keiner soll sich täuschen: Die Flüchtlingskrise hat das Thema Einzäunung wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Der Ungar Viktor Orbán hat es durchgezogen: Er hat sein Land nicht nur entlang der EU-Außengrenze gegenüber Serbien abgeschottet, sondern auch zum EU-Partner Kroatien. Für Ungarn ist die Rechnung aufgegangen – auf Kosten anderer: Seither zieht der Treck der Flüchtlinge nicht mehr durch das Land der Magyaren, sondern durch Kroatien und Slowenien in das österreichische Bundesland Steiermark und von dort – daran hat sich nichts geändert – nach Deutschland, genauer gesagt nach Bayern.
So verwundert es nicht, dass jetzt auch andernorts über den Bau von Zäunen geredet wird. Die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hatte am Wochenende entsprechende Überlegungen eingeräumt. Diese verniedlichte Faymann gestern zum „Türl mit Seitenteilen“. Österreich solle nicht „eingekastelt“werden, so der Kanzler. Man wolle nur durch „Containergitter“im Wartebereich am steirischen Grenzübergang Spielfeld wieder geordnete Verhältnisse schaffen. War das alles, was sich Frau Mikl-Leitner überlegt hatte, oder wurde die Ministerin in die Schranken gewiesen?
Auch in Deutschland wird über Zäune geredet. Einige Bundestagsabgeordnete von CDU und CSU haben gefordert, Grenzbefestigungen dürften kein Tabu sein. Doch konnten sie in den eigenen Reihen nicht durchdringen. SPD, Grüne und Linke sind ohnehin dagegen. Wir sollten froh sein, dass Mauern und Eiserne Vorhänge der Vergangenheit angehören.
Und, Hand aufs Herz, könnten wir tatenlos zusehen, wie Flüchtlinge hungernd und frierend zu Zehntausenden vor geschlossenen Grenzstationen stehen? Das kann niemand wollen, und das wäre auch politisch nicht durchzustehen. Flüchtlinge, die auf der Balkanroute mit dem Ziel Deutschland unterwegs sind, lassen sich durch Grenzzäune nicht aufhalten.
Folglich bleiben zwei Hauptaufgaben: Einmal muss die Zahl der Menschen, die sich auf diesen Weg machen, geringer werden – durch die Beseitigung von Fluchtursachen und durch Abkommen mit der Türkei, Libyen und anderen Ländern, damit diese den Transit in Richtung EU erschweren. Zweitens müssen die Menschen, die in die EU gelangen, sofort registriert und, sofern sie Flüchtlinge sind, geordnet weitergeleitet werden. Diesem Ziel dienen die Vereinbarungen, die der EU-Sondergipfel am vergangenen Sonntag beschlossen hat.
Doch bis heute funktioniert das nicht. Und Österreich treibt ungeniert ein doppeltes Spiel. Einerseits beschweren sich Wiener Politiker, dass Slowenien die Flüchtlinge umgehend an die österreichische Grenze bringt – und schwadronieren über Zäune mit und ohne „Türl“. Andererseits verhalten sie sich gegenüber Deutschland und Bayern um kein Haar besser. Sie transportieren unangekündigt mitten in der Nacht tausende Flüchtlinge an bayerische Übergänge, oder schicken die Menschen sogar über die grüne Grenze. Das ist eine Frechheit. Dagegen hilft aber kein Zaun, sondern nur politischer Druck auf Wien.
Es lohnt sich nicht zu streiten, ob die Berliner oder Münchner Regierung in Wien vorstellig werden muss. Am besten wäre es, Bundesund Staatsregierung würden sich gemeinsam beschweren. Und zwar ganz uncharmant ...
Berlin und München sollten sich beschweren