Das Energie-Dorf der Zukunft
Pilotprojekt Wie fühlt es sich an, wenn die Waschmaschine wie von Geisterhand angeht? In Schwabmünchen passiert das. Dort sind mehr als 100 Haushalte an ein intelligentes Stromnetz angeschlossen. Werfen wir einen Blick in das Haus von Erich Dannenberg und
Die Waschmaschine wäscht, wenn die Sonne scheint. Dann liefert die Photovoltaikanlage auf dem Dach des kleinen Siedlungshäuschens von Erich Dannenberg, 53, und Andrea Schießler, 51, am meisten Strom. An ihrer Waschmaschine, die im Keller steht, stellt die Hausherrin ein, ob sie Baumwolle oder Feines waschen will, ob Flecken von Kaffee, Lippenstift, Ketchup, Ei oder Fett besonders intensiv behandelt werden sollen. Genauso ist es bei der Wahl der Temperatur: 30, 60 oder 90 Grad. Also Wäsche hinein, Waschmittel dazu, Türe zu. Doch drückt die gelernte Bürokauffrau auf Start, heißt das noch lange nicht, dass das Gerät sofort startet. Dies kann dauern.
Die Maschine legt erst los, wenn es gerade günstig ist. Beispielsweise, weil die Sonne hinter den Wolken hervorkommt und die Photovoltaikanlage zur Höchstform aufläuft. Dann beginnt das Programm. Wie von Geisterhand. Vielleicht ist das um 14 Uhr der Fall oder um 15 Uhr. Unpraktisch? Nicht unbedingt.
Andrea Schießler kann programmieren, wann das Gerät auf alle Fälle fertig sein muss. Zum Beispiel um 18 Uhr, wenn sie von der Arbeit kommt. Schließlich will sich keiner zum Sklaven der Technik machen. Komplizierter wird der Alltag also nicht. „Ich muss mir nur Gedanken machen, wann die Wäsche fertig sein soll, das ist alles.“
Die kluge Waschmaschine im Haus Dannenberg/Schießler ist Teil eines intelligenten Stromnetzes. Der Sinn des Ganzen liegt darin, möglichst viel des am Ort erzeugten Stroms auch am Ort zu verbrauchen – statt noch mehr Strom über noch mehr Leitungen quer durchs Land zu schicken. Viel ist über intelligente Netze geschrieben worden. Immer wieder werden sie erwähnt, wenn emotional über die Energiewende debattiert wird und dezentrale Lösungen gefordert werden. Doch leider gibt es sie bisher kaum in der Praxis.
Hier, im Ortsteil Wertachau bei Schwabmünchen, ist jetzt einmal ein intelligentes Stromnetz im Betrieb zu sehen. Es handelt sich um eines von wenigen Pilotprojekten. Umgesetzt in die Praxis hat es das Energieunternehmen Lechwerke aus Augsburg.
Jede Menge Technik ist in die Wertachau eingezogen. Zuerst ein Glasfasernetz, damit die Daten der Elektrogeräte ausgetauscht werden können. 115 Haushalte sind angeschlossen. In die Ortsmitte setzte das Projektteam einen großen Energiespeicher. Die Batterien können überflüssigen Sonnenstrom aus den vielen Photovoltaikanlagen aufnehmen. Auch Ladesäulen für ElektroAutos stehen jetzt in der Wertachau, die Häuser bekamen neue Stromzähler. Zuletzt sind einige Haushalte mit intelligenten Geräten ausgestattet worden – mit 16 Waschmaschinen, 16 Wäschetrocknern, acht Geschirrspülern und anderem mehr.
Herzstück des intelligenten Netzes ist eine zentrale Steuerung. Sie versucht, den Stromverbrauch und die Erzeugung durch die Photovoltaikanlagen auf den Dächern im Gleichgewicht zu halten. „Smart Operator“nennt das Team die Steuerung. Der kleine Rechner ist in einem Umspannwerk außerhalb des Ortes untergebracht. Von hier gehen die Signale an die Haushalte – ob es zum Beispiel gerade am günstigsten ist, Strom aus dem Netz zu beziehen oder aus dem Batteriespeicher oder von der eigenen Photovoltaikanlage am Dach.
Im Haus Dannenberg/Schießler hängen noch mehr Geräte an der intelligenten Technik. Verlassen wir den Keller und steigen die Treppe hinauf in die Küche. Die Spülmaschine ist voll, doch sie spült noch nicht. Das Gerät ist auf dem Bildschirm auf „smart start“eingestellt. Die Teller und Tassen warten darauf, dass das intelligente Stromnetz mitteilt, wann das Waschen gerade günstig ist. Das kann sein, wenn die Sonne scheint. In der hellen Jahreszeit klappt dies besonders gut.
Oder es kommt der Befehl, Strom aus dem Batteriespeicher im Keller oder aus dem öffentlichen Netz zu nutzen. Schließlich muss auch an trüben Tagen das Geschirr zu einem bestimmten Zeitpunkt sauber sein – beispielsweise um 17 Uhr. Angst, dass das Gerät in ihrer Abwesenheit kaputtgeht und Wasser ausläuft, hat Andrea Schießler nicht. „Es sind hochwertige Geräte“, sagt sie. Außerdem hat sie bereits früher mal die Technik allein laufen lassen.
Warum der Aufwand? Intelligente Netze sollen helfen, ein Grundproblem der Energiewende zu lösen. Wenn die Sonne scheint oder der Wind kräftig weht, ist Strom aus erneuerbaren Energien im Überfluss vorhanden, erklärt Frank Kreidenweis, der für die Lechwerke das Projekt in der Wertachau managt. Das kommt immer häufiger vor. Allein im Gebiet der Lechwerke gab es dieses Jahr bereits über 130 Tage, an denen mehr Strom produziert als gebraucht worden ist. Die Energieunternehmen schicken den Überschuss dann ins bundesweite Übertragungsnetz. Und wenn er auch dort nicht gebraucht wird, wird der Strom nicht selten ans Ausland verschenkt. Das intelligente Netz kann das Problem mildern. Lokal erzeugter Strom soll eben auch am Ort verbraucht werden.
Claas Matrose, 32, sagt intelligenten Stromnetzen eine gute Zukunft voraus. Er leitet die Abteilung für nachhaltige Verteilungssysteme an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH). Überall dort, wo die Stromerzeugung und der Stromverbrauch stark schwanken, können intelligente Netze zum Einsatz kommen. „Also dort, wo viele Elektroautos geladen werden, wo viele Wärmepumpen die Häuser heizen oder viele Photovoltaikanlagen Strom erzeugen“, sagt er. Als unsere Ortsnetze vor 30, 40 oder 50 Jahren gebaut wurden, hat man sie auf solche Schwankungen nicht ausgelegt. Jetzt ist eine Modernisierung nötig. Das Herzstück in der Wertachau, die Steuerung des intelligenten Netzes, ist an seinem Institut vorangetrieben worden.
Und was bringt all das dem Verbraucher? Deutlich wird dies, wenn man mit Erich Dannenberg einen Schritt vor sein Siedlungshäuschen macht, das die Eltern im Jahr 1959 gebaut haben. In der Einfahrt steht ein kleiner Gartenzwerg, im Garten wächst ein Obstbaum, das Dach bedeckt eine moderne Solaranlage. „Wir wollten noch mehr Strom aus unserer Photovoltaikanlage selbst nutzen“, sagt der Kfz-Mechaniker. Denn dieser Strom ist für ihn am billigsten. Wer im vergangenen Jahr eine Kilowattstunde bei einem Energieversorger eingekauft hat, zahlte im Schnitt rund 29 Cent. Photovoltaikanlagen, die 2015 ans Netz gehen, können der Agentur für Erneuerbare Energien zufolge für 7,8 bis 14,7 Cent produzieren. Wer seinen Sonnenstrom selbst verbraucht, kann also sparen.
Erich Dannenberg hat mit dem intelligenten Stromnetz sein Ziel erreicht. Hat er früher rund die Hälfte seines Sonnenstroms selbst verwendet, sind es mit dem intelligenten Netz rund 70 bis 80 Prozent. Zukaufen muss er also nur noch wenig. Das ist die zusätzliche Ersparnis. Auch Stromanbieter könnten mit neuen Tarifen Anreize setzen, meint RWTH-Experte Matrose: „Etwa mit verminderten Strompreisen, wenn die Waschmaschine Teil des intelligenten Netzes wird.“
Die Technik hilft auch, massiven Netzausbau vor Ort zu vermeiden, sagt der Ingenieur. Wenn der Strom vor Ort genutzt wird, müssen weniger Leitungen gebaut werden. Weniger Leitungen kosten weniger Geld. Das hält den Strompreis für alle niedrig. Zudem werden Baustellen vor der Haustüre vermieden. Nicht selten müssen durch die Vielzahl neuer Photovoltaikanlagen Stromleitungen verstärkt werden. Straße auf, Kabel rein, Straße zu, so war es bisher. „Intelligente Netze sind eine Alternative dazu, die Erde aufzureißen“, sagt Matrose.
Beim Küchengerätehersteller Miele in Gütersloh hat man sich bereits auf intelligente Netze eingestellt. Seit 2011 bietet das Unternehmen Geräte mit Autostart-Funktion an, sagt Sprecher Michael Prempert. Sinn hat dies bei Geräten, bei denen es egal ist, wann sie ihre Arbeit verrichten – zum Beispiel bei Waschmaschinen, Trocknern oder Geschirrspülern. Hauptsache, die Wäsche ist um eine bestimmte Uhrzeit sauber und trocken. Bei Fernsehern oder Radios hätte eine Autostart-Funktion dagegen keinen Sinn. Auch nicht bei Herden oder Öfen. Gekocht wird schließlich, wenn der Hunger kommt.
Wie hoch sind die Investitionskosten für den intelligenten Haushalt? Das zusätzliche Kommunikationsmodul in der Waschmaschine, im Trockner oder im Geschirrspüler kostet jeweils 79 Euro, sagt MieleExperte Prempert. Zusätzlich braucht man für das Haus eine zentrale Steuerung, die mit 349 Euro zu Buche schlägt und die zwölf Geräte
Im Haus in der Wertachau spart man Stromkosten Der Ausbau der Netze am Ort wird teilweise überflüssig
managen kann. Die Nachfrage nach der Technik sei gut, heißt es bei Miele. Grundsätzlich werde der Markt für vernetzte Haushaltsgeräte wachsen.
Bei den Lechwerken ist man nach über einem Jahr Betrieb in der Wertachau zufrieden. Die Besitzer intelligenter Haushaltsgeräte stellen es dem Gerät in drei von vier Fällen frei, wann es seine Arbeit verrichtet, erzählt Projektmanager Kreidenweis. „Die Leute machen da mit.“Rund 30 Prozent des überschüssigen Solarstroms konnte vor Ort genutzt werden, statt wie bisher über Leitungen abtransportiert zu werden. Das komplexe System wird fortlaufend optimiert.
Netzexperte Matrose von der Aachener Hochschule ist sich sicher, dass die Technik in einigen Jahren marktreif sein wird. „Ich denke, es braucht keine zehn Jahre, bis es in der Fläche kommt.“Theoretisch sei es möglich, Städte wie Augsburg oder gar München intelligent zu gestalten – auch wenn noch einige Fragen offen sind.
Für die Forscher der RWTH müssen noch gemeinsame Standards geschaffen werden. Zudem sei es eine Herausforderung, die Bürger zu begeistern. Bei den Stromkonzernen sieht man wiederum die Gerätehersteller am Zug. Und bei den Geräteherstellern heißt es, alles steht und fällt damit, ob auch intelligente Stromnetze verfügbar sind.
Und wie zufrieden ist man in der Wertachau? Bisher hatte sie immer saubere Wäsche und sauberes Geschirr, sagt Andrea Schießler. Als hätte der Geschirrspüler das gehört, fängt er schon an zu gluckern.