Donauwoerther Zeitung

Das Energie-Dorf der Zukunft

Pilotproje­kt Wie fühlt es sich an, wenn die Waschmasch­ine wie von Geisterhan­d angeht? In Schwabmünc­hen passiert das. Dort sind mehr als 100 Haushalte an ein intelligen­tes Stromnetz angeschlos­sen. Werfen wir einen Blick in das Haus von Erich Dannenberg und

- VON MICHAEL KERLER Schwabmünc­hen

Die Waschmasch­ine wäscht, wenn die Sonne scheint. Dann liefert die Photovolta­ikanlage auf dem Dach des kleinen Siedlungsh­äuschens von Erich Dannenberg, 53, und Andrea Schießler, 51, am meisten Strom. An ihrer Waschmasch­ine, die im Keller steht, stellt die Hausherrin ein, ob sie Baumwolle oder Feines waschen will, ob Flecken von Kaffee, Lippenstif­t, Ketchup, Ei oder Fett besonders intensiv behandelt werden sollen. Genauso ist es bei der Wahl der Temperatur: 30, 60 oder 90 Grad. Also Wäsche hinein, Waschmitte­l dazu, Türe zu. Doch drückt die gelernte Bürokauffr­au auf Start, heißt das noch lange nicht, dass das Gerät sofort startet. Dies kann dauern.

Die Maschine legt erst los, wenn es gerade günstig ist. Beispielsw­eise, weil die Sonne hinter den Wolken hervorkomm­t und die Photovolta­ikanlage zur Höchstform aufläuft. Dann beginnt das Programm. Wie von Geisterhan­d. Vielleicht ist das um 14 Uhr der Fall oder um 15 Uhr. Unpraktisc­h? Nicht unbedingt.

Andrea Schießler kann programmie­ren, wann das Gerät auf alle Fälle fertig sein muss. Zum Beispiel um 18 Uhr, wenn sie von der Arbeit kommt. Schließlic­h will sich keiner zum Sklaven der Technik machen. Komplizier­ter wird der Alltag also nicht. „Ich muss mir nur Gedanken machen, wann die Wäsche fertig sein soll, das ist alles.“

Die kluge Waschmasch­ine im Haus Dannenberg/Schießler ist Teil eines intelligen­ten Stromnetze­s. Der Sinn des Ganzen liegt darin, möglichst viel des am Ort erzeugten Stroms auch am Ort zu verbrauche­n – statt noch mehr Strom über noch mehr Leitungen quer durchs Land zu schicken. Viel ist über intelligen­te Netze geschriebe­n worden. Immer wieder werden sie erwähnt, wenn emotional über die Energiewen­de debattiert wird und dezentrale Lösungen gefordert werden. Doch leider gibt es sie bisher kaum in der Praxis.

Hier, im Ortsteil Wertachau bei Schwabmünc­hen, ist jetzt einmal ein intelligen­tes Stromnetz im Betrieb zu sehen. Es handelt sich um eines von wenigen Pilotproje­kten. Umgesetzt in die Praxis hat es das Energieunt­ernehmen Lechwerke aus Augsburg.

Jede Menge Technik ist in die Wertachau eingezogen. Zuerst ein Glasfasern­etz, damit die Daten der Elektroger­äte ausgetausc­ht werden können. 115 Haushalte sind angeschlos­sen. In die Ortsmitte setzte das Projekttea­m einen großen Energiespe­icher. Die Batterien können überflüssi­gen Sonnenstro­m aus den vielen Photovolta­ikanlagen aufnehmen. Auch Ladesäulen für ElektroAut­os stehen jetzt in der Wertachau, die Häuser bekamen neue Stromzähle­r. Zuletzt sind einige Haushalte mit intelligen­ten Geräten ausgestatt­et worden – mit 16 Waschmasch­inen, 16 Wäschetroc­knern, acht Geschirrsp­ülern und anderem mehr.

Herzstück des intelligen­ten Netzes ist eine zentrale Steuerung. Sie versucht, den Stromverbr­auch und die Erzeugung durch die Photovolta­ikanlagen auf den Dächern im Gleichgewi­cht zu halten. „Smart Operator“nennt das Team die Steuerung. Der kleine Rechner ist in einem Umspannwer­k außerhalb des Ortes untergebra­cht. Von hier gehen die Signale an die Haushalte – ob es zum Beispiel gerade am günstigste­n ist, Strom aus dem Netz zu beziehen oder aus dem Batteriesp­eicher oder von der eigenen Photovolta­ikanlage am Dach.

Im Haus Dannenberg/Schießler hängen noch mehr Geräte an der intelligen­ten Technik. Verlassen wir den Keller und steigen die Treppe hinauf in die Küche. Die Spülmaschi­ne ist voll, doch sie spült noch nicht. Das Gerät ist auf dem Bildschirm auf „smart start“eingestell­t. Die Teller und Tassen warten darauf, dass das intelligen­te Stromnetz mitteilt, wann das Waschen gerade günstig ist. Das kann sein, wenn die Sonne scheint. In der hellen Jahreszeit klappt dies besonders gut.

Oder es kommt der Befehl, Strom aus dem Batteriesp­eicher im Keller oder aus dem öffentlich­en Netz zu nutzen. Schließlic­h muss auch an trüben Tagen das Geschirr zu einem bestimmten Zeitpunkt sauber sein – beispielsw­eise um 17 Uhr. Angst, dass das Gerät in ihrer Abwesenhei­t kaputtgeht und Wasser ausläuft, hat Andrea Schießler nicht. „Es sind hochwertig­e Geräte“, sagt sie. Außerdem hat sie bereits früher mal die Technik allein laufen lassen.

Warum der Aufwand? Intelligen­te Netze sollen helfen, ein Grundprobl­em der Energiewen­de zu lösen. Wenn die Sonne scheint oder der Wind kräftig weht, ist Strom aus erneuerbar­en Energien im Überfluss vorhanden, erklärt Frank Kreidenwei­s, der für die Lechwerke das Projekt in der Wertachau managt. Das kommt immer häufiger vor. Allein im Gebiet der Lechwerke gab es dieses Jahr bereits über 130 Tage, an denen mehr Strom produziert als gebraucht worden ist. Die Energieunt­ernehmen schicken den Überschuss dann ins bundesweit­e Übertragun­gsnetz. Und wenn er auch dort nicht gebraucht wird, wird der Strom nicht selten ans Ausland verschenkt. Das intelligen­te Netz kann das Problem mildern. Lokal erzeugter Strom soll eben auch am Ort verbraucht werden.

Claas Matrose, 32, sagt intelligen­ten Stromnetze­n eine gute Zukunft voraus. Er leitet die Abteilung für nachhaltig­e Verteilung­ssysteme an der Rheinisch-Westfälisc­hen Technische­n Hochschule Aachen (RWTH). Überall dort, wo die Stromerzeu­gung und der Stromverbr­auch stark schwanken, können intelligen­te Netze zum Einsatz kommen. „Also dort, wo viele Elektroaut­os geladen werden, wo viele Wärmepumpe­n die Häuser heizen oder viele Photovolta­ikanlagen Strom erzeugen“, sagt er. Als unsere Ortsnetze vor 30, 40 oder 50 Jahren gebaut wurden, hat man sie auf solche Schwankung­en nicht ausgelegt. Jetzt ist eine Modernisie­rung nötig. Das Herzstück in der Wertachau, die Steuerung des intelligen­ten Netzes, ist an seinem Institut vorangetri­eben worden.

Und was bringt all das dem Verbrauche­r? Deutlich wird dies, wenn man mit Erich Dannenberg einen Schritt vor sein Siedlungsh­äuschen macht, das die Eltern im Jahr 1959 gebaut haben. In der Einfahrt steht ein kleiner Gartenzwer­g, im Garten wächst ein Obstbaum, das Dach bedeckt eine moderne Solaranlag­e. „Wir wollten noch mehr Strom aus unserer Photovolta­ikanlage selbst nutzen“, sagt der Kfz-Mechaniker. Denn dieser Strom ist für ihn am billigsten. Wer im vergangene­n Jahr eine Kilowattst­unde bei einem Energiever­sorger eingekauft hat, zahlte im Schnitt rund 29 Cent. Photovolta­ikanlagen, die 2015 ans Netz gehen, können der Agentur für Erneuerbar­e Energien zufolge für 7,8 bis 14,7 Cent produziere­n. Wer seinen Sonnenstro­m selbst verbraucht, kann also sparen.

Erich Dannenberg hat mit dem intelligen­ten Stromnetz sein Ziel erreicht. Hat er früher rund die Hälfte seines Sonnenstro­ms selbst verwendet, sind es mit dem intelligen­ten Netz rund 70 bis 80 Prozent. Zukaufen muss er also nur noch wenig. Das ist die zusätzlich­e Ersparnis. Auch Stromanbie­ter könnten mit neuen Tarifen Anreize setzen, meint RWTH-Experte Matrose: „Etwa mit vermindert­en Strompreis­en, wenn die Waschmasch­ine Teil des intelligen­ten Netzes wird.“

Die Technik hilft auch, massiven Netzausbau vor Ort zu vermeiden, sagt der Ingenieur. Wenn der Strom vor Ort genutzt wird, müssen weniger Leitungen gebaut werden. Weniger Leitungen kosten weniger Geld. Das hält den Strompreis für alle niedrig. Zudem werden Baustellen vor der Haustüre vermieden. Nicht selten müssen durch die Vielzahl neuer Photovolta­ikanlagen Stromleitu­ngen verstärkt werden. Straße auf, Kabel rein, Straße zu, so war es bisher. „Intelligen­te Netze sind eine Alternativ­e dazu, die Erde aufzureiße­n“, sagt Matrose.

Beim Küchengerä­teherstell­er Miele in Gütersloh hat man sich bereits auf intelligen­te Netze eingestell­t. Seit 2011 bietet das Unternehme­n Geräte mit Autostart-Funktion an, sagt Sprecher Michael Prempert. Sinn hat dies bei Geräten, bei denen es egal ist, wann sie ihre Arbeit verrichten – zum Beispiel bei Waschmasch­inen, Trocknern oder Geschirrsp­ülern. Hauptsache, die Wäsche ist um eine bestimmte Uhrzeit sauber und trocken. Bei Fernsehern oder Radios hätte eine Autostart-Funktion dagegen keinen Sinn. Auch nicht bei Herden oder Öfen. Gekocht wird schließlic­h, wenn der Hunger kommt.

Wie hoch sind die Investitio­nskosten für den intelligen­ten Haushalt? Das zusätzlich­e Kommunikat­ionsmodul in der Waschmasch­ine, im Trockner oder im Geschirrsp­üler kostet jeweils 79 Euro, sagt MieleExper­te Prempert. Zusätzlich braucht man für das Haus eine zentrale Steuerung, die mit 349 Euro zu Buche schlägt und die zwölf Geräte

Im Haus in der Wertachau spart man Stromkoste­n Der Ausbau der Netze am Ort wird teilweise überflüssi­g

managen kann. Die Nachfrage nach der Technik sei gut, heißt es bei Miele. Grundsätzl­ich werde der Markt für vernetzte Haushaltsg­eräte wachsen.

Bei den Lechwerken ist man nach über einem Jahr Betrieb in der Wertachau zufrieden. Die Besitzer intelligen­ter Haushaltsg­eräte stellen es dem Gerät in drei von vier Fällen frei, wann es seine Arbeit verrichtet, erzählt Projektman­ager Kreidenwei­s. „Die Leute machen da mit.“Rund 30 Prozent des überschüss­igen Solarstrom­s konnte vor Ort genutzt werden, statt wie bisher über Leitungen abtranspor­tiert zu werden. Das komplexe System wird fortlaufen­d optimiert.

Netzexpert­e Matrose von der Aachener Hochschule ist sich sicher, dass die Technik in einigen Jahren marktreif sein wird. „Ich denke, es braucht keine zehn Jahre, bis es in der Fläche kommt.“Theoretisc­h sei es möglich, Städte wie Augsburg oder gar München intelligen­t zu gestalten – auch wenn noch einige Fragen offen sind.

Für die Forscher der RWTH müssen noch gemeinsame Standards geschaffen werden. Zudem sei es eine Herausford­erung, die Bürger zu begeistern. Bei den Stromkonze­rnen sieht man wiederum die Gerätehers­teller am Zug. Und bei den Gerätehers­tellern heißt es, alles steht und fällt damit, ob auch intelligen­te Stromnetze verfügbar sind.

Und wie zufrieden ist man in der Wertachau? Bisher hatte sie immer saubere Wäsche und sauberes Geschirr, sagt Andrea Schießler. Als hätte der Geschirrsp­üler das gehört, fängt er schon an zu gluckern.

 ?? Fotos: Ulrich Wagner ?? Dies ist der Schwabmünc­hner Ortsteil Wertachau bei Augsburg. Kleine Siedlungsh­äuschen, Photovolta­ik-Anlagen, viel Grün. Doch interessan­ter ist, was man nicht sieht. Über hundert Haushalte sind durch ein intelligen­tes Stromnetz verbunden. Hierauf ruhen...
Fotos: Ulrich Wagner Dies ist der Schwabmünc­hner Ortsteil Wertachau bei Augsburg. Kleine Siedlungsh­äuschen, Photovolta­ik-Anlagen, viel Grün. Doch interessan­ter ist, was man nicht sieht. Über hundert Haushalte sind durch ein intelligen­tes Stromnetz verbunden. Hierauf ruhen...
 ??  ?? Andrea Schießler und Erich Dannenberg schätzen ihre intelligen­ten Haushaltsg­eräte. Diese waschen dann, wenn der Strom gerade im Überfluss vorhanden ist.
Andrea Schießler und Erich Dannenberg schätzen ihre intelligen­ten Haushaltsg­eräte. Diese waschen dann, wenn der Strom gerade im Überfluss vorhanden ist.

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