Türkische Polizei stürmt kritisches Medienhaus
Ausland Wenige Tage vor der Wahl geht die Justiz unter Präsident Erdogan brachial gegen regierungskritische TV-Sender vor und stoppt vor laufender Kamera das Programm. Die Opposition spricht von einem schwarzen Tag für die Demokratie
Polizisten in Kampfmontur stürmen das Hauptquartier eines regierungskritischen Medienkonzerns, nehmen Journalisten fest und stoppen das Fernsehprogramm: Was sich gestern am Sitz der Koza-IpekHolding in der türkischen Metropole Istanbul abspielte, werde als „schwarzer Tag“in die Geschichte des Landes eingehen, sagen Oppositionspolitiker. Wenige Tage vor der Parlamentsneuwahl am kommenden Sonntag nimmt der Druck auf die Medien in noch nie da gewesener Manier zu. Doch das ist möglicherweise erst der Anfang.
Das Drama um Koza Ipek spielte sich in aller Öffentlichkeit ab: Die betroffenen TV-Sender Kanaltürk und Bugün TV berichteten live über das Geschehen, bis sie am Nachmittag abgeschaltet wurden. „Sie brechen das Gesetz und die Verfassung“, sagte Bugün-TV-Chefredakteur Tarik Toros an die Zivilpolizisten gerichtet, die sich daran machten, die Satellitenanlage des Senders ausschalteten. Einen schriftlichen Beschluss eines Gerichts hätten die Beamten nicht vorgelegt. Kurz darauf erschienen die Beamten in Toros‘ Senderaum: Ein paar Augenblicke waren noch die Proteste des Chefredakteurs zu hören – dann brach die TV-Übertragung ab.
Die Opposition verurteilte das Vorgehen der Behörden als putschähnlichen Schlag gegen die demokratische Ordnung. Der Abgeordnete Ahmet Tanrikulu sagte, die Ereignisse beweisen, wie weit sich die Türkei inzwischen von westlichen Standards der Demokratie entfernt habe. Selahattin Demirtas, Vorsitzender der legalen Kurdenpartei HDP, bezeichnete den Sturm auf das Medienhaus als weiteres Beispiel dafür, dass sich die Regierungspartei AKP nicht um Gesetze, Verfassungsgebote oder internationale Rechtsnormen schere. „Dies ist leider die Türkei der AKP.“
Nicht nur Koza Ipek ist im Visier der Regierung. Auch andere Medienkonzerne, darunter der des Unternehmers Aydin Dogan, der unter anderem die Hürriyet verlegt, haben den Zorn von Präsident Recep Tayyip Erdogan auf sich gezogen.
Unrealistisch ist diese Vorstellung nicht. Aydin Ünal, ein AKP-Abgeordneter und früherer Redenschreiber Erdogans, kündigte an, nach dem Wahltag am Sonntag werde noch ganz anders mit kritischen Zeitungen und Fernsehsendern abgerechnet. Der Politologe Fethi Acikel kommentierte, die Türkei versinke im „politischen Wahnsinn“.
Die zur Bewegung des islami- schen Predigers und Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen gehörende Koza-Ipek-Holding war bereits vor einigen Wochen von der Polizei durchsucht worden.
Das Unternehmen soll nun unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt werden, weil es nach Ansicht der Justiz im Verdacht steht, Geldmittel für Gülen beschafft zu haben. Die türkische Staatsanwaltschaft will den in den USA lebenden Gülen wegen eines Umsturzversuches vor Gericht bringen. Ob die USA den 74-Jährigen an die Türkei ausliefern, ist allerdings fraglich.
Laut dem Medienkonzern und der Opposition wurden bei dem staatlichen Zugriff auf den Medienkonzern am Mittwoch reihenweise gesetzliche Regeln gebrochen. Tatsächlich gaben sich die Behörden keine große Mühe, die Absicht einer politischen Neuausrichtung der Koza-Ipek-Medien zu verschleiern: Zu dem neu eingesetzten Führungsteam gehören Mitglieder der AKP sowie frühere Manager regierungsfreundlicher Medien.
Offen ist, ob der Skandal um die Polizeiaktion gegen Koza Ipek die Wahl am Sonntag beeinflussen wird. Die AKP kämpft bei der Neuwahl um die Rückeroberung ihrer Parlamentsmehrheit, die sie bei der Wahl im Juni eingebüßt hatte. Die meisten Umfragen sehen die ErdoganPartei derzeit unterhalb der Mehrheit von 276 Sitzen, ab der eine Alleinregierung möglich wäre.