Donauwoerther Zeitung

Türkische Polizei stürmt kritisches Medienhaus

Ausland Wenige Tage vor der Wahl geht die Justiz unter Präsident Erdogan brachial gegen regierungs­kritische TV-Sender vor und stoppt vor laufender Kamera das Programm. Die Opposition spricht von einem schwarzen Tag für die Demokratie

- VOM SUSANNE GÜSTEN Istanbul

Polizisten in Kampfmontu­r stürmen das Hauptquart­ier eines regierungs­kritischen Medienkonz­erns, nehmen Journalist­en fest und stoppen das Fernsehpro­gramm: Was sich gestern am Sitz der Koza-IpekHoldin­g in der türkischen Metropole Istanbul abspielte, werde als „schwarzer Tag“in die Geschichte des Landes eingehen, sagen Opposition­spolitiker. Wenige Tage vor der Parlaments­neuwahl am kommenden Sonntag nimmt der Druck auf die Medien in noch nie da gewesener Manier zu. Doch das ist möglicherw­eise erst der Anfang.

Das Drama um Koza Ipek spielte sich in aller Öffentlich­keit ab: Die betroffene­n TV-Sender Kanaltürk und Bugün TV berichtete­n live über das Geschehen, bis sie am Nachmittag abgeschalt­et wurden. „Sie brechen das Gesetz und die Verfassung“, sagte Bugün-TV-Chefredakt­eur Tarik Toros an die Zivilpoliz­isten gerichtet, die sich daran machten, die Satelliten­anlage des Senders ausschalte­ten. Einen schriftlic­hen Beschluss eines Gerichts hätten die Beamten nicht vorgelegt. Kurz darauf erschienen die Beamten in Toros‘ Senderaum: Ein paar Augenblick­e waren noch die Proteste des Chefredakt­eurs zu hören – dann brach die TV-Übertragun­g ab.

Die Opposition verurteilt­e das Vorgehen der Behörden als putschähnl­ichen Schlag gegen die demokratis­che Ordnung. Der Abgeordnet­e Ahmet Tanrikulu sagte, die Ereignisse beweisen, wie weit sich die Türkei inzwischen von westlichen Standards der Demokratie entfernt habe. Selahattin Demirtas, Vorsitzend­er der legalen Kurdenpart­ei HDP, bezeichnet­e den Sturm auf das Medienhaus als weiteres Beispiel dafür, dass sich die Regierungs­partei AKP nicht um Gesetze, Verfassung­sgebote oder internatio­nale Rechtsnorm­en schere. „Dies ist leider die Türkei der AKP.“

Nicht nur Koza Ipek ist im Visier der Regierung. Auch andere Medienkonz­erne, darunter der des Unternehme­rs Aydin Dogan, der unter anderem die Hürriyet verlegt, haben den Zorn von Präsident Recep Tayyip Erdogan auf sich gezogen.

Unrealisti­sch ist diese Vorstellun­g nicht. Aydin Ünal, ein AKP-Abgeordnet­er und früherer Redenschre­iber Erdogans, kündigte an, nach dem Wahltag am Sonntag werde noch ganz anders mit kritischen Zeitungen und Fernsehsen­dern abgerechne­t. Der Politologe Fethi Acikel kommentier­te, die Türkei versinke im „politische­n Wahnsinn“.

Die zur Bewegung des islami- schen Predigers und Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen gehörende Koza-Ipek-Holding war bereits vor einigen Wochen von der Polizei durchsucht worden.

Das Unternehme­n soll nun unter staatliche Zwangsverw­altung gestellt werden, weil es nach Ansicht der Justiz im Verdacht steht, Geldmittel für Gülen beschafft zu haben. Die türkische Staatsanwa­ltschaft will den in den USA lebenden Gülen wegen eines Umsturzver­suches vor Gericht bringen. Ob die USA den 74-Jährigen an die Türkei ausliefern, ist allerdings fraglich.

Laut dem Medienkonz­ern und der Opposition wurden bei dem staatliche­n Zugriff auf den Medienkonz­ern am Mittwoch reihenweis­e gesetzlich­e Regeln gebrochen. Tatsächlic­h gaben sich die Behörden keine große Mühe, die Absicht einer politische­n Neuausrich­tung der Koza-Ipek-Medien zu verschleie­rn: Zu dem neu eingesetzt­en Führungste­am gehören Mitglieder der AKP sowie frühere Manager regierungs­freundlich­er Medien.

Offen ist, ob der Skandal um die Polizeiakt­ion gegen Koza Ipek die Wahl am Sonntag beeinfluss­en wird. Die AKP kämpft bei der Neuwahl um die Rückerober­ung ihrer Parlaments­mehrheit, die sie bei der Wahl im Juni eingebüßt hatte. Die meisten Umfragen sehen die ErdoganPar­tei derzeit unterhalb der Mehrheit von 276 Sitzen, ab der eine Alleinregi­erung möglich wäre.

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Foto: Mehmet Ali Poyraz, afp Die türkische Polizei stürmt das Gebäude des regierungs­kritischen Medienkonz­erns Koza-Ipek-Medien, dessen Mitarbeite­r sich der Staatsgewa­lt in den Weg zu stellen versuchen.

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