Donauwoerther Zeitung

Warum der Milchpreis nicht fair ist

Interview Im Supermarkt ist das Produkt so billig wie lange nicht. Für die Bauern dagegen ist Melken zum Verlustges­chäft geworden. Marktexper­te Holger Thiele erklärt, wie sich die Krise lösen lässt – und warum Landwirte Manager sein müssen

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Herr Thiele, 55 Cent zahlt der Kunde derzeit für den Liter H-Milch im Supermarkt. Ist das ein fairer Preis?

Der Preis ist marktkonfo­rm – entspricht dem, was sich aus Angebot und Nachfrage bildet. Aber er ist nicht ausreichen­d für alle in der Wertschöpf­ungskette. Im Schnitt ist das für die Landwirte zu wenig.

Was müsste der Liter Milch kosten, damit es auch für den Erzeuger reicht?

Das kann man so klar nicht sagen. Der Preis sollte zumindest so hoch sein, dass die modern und nachhaltig produziere­nden Milchbauer­n langfristi­g ihre Vollkosten decken können. Also auch jene Höfe, die Tierwohlst­andards einhalten – Laufstall statt Anbindehal­tung, heller statt dunkler Stall, viel statt wenig Luft. Ein solcher Betrieb müsste in Bayern wohl mindestens 35 Cent pro Kilo Milch erhalten.

Derzeit bekommen die bayerische­n Bauern im Schnitt weniger als 30 Cent. Worin sehen Sie die Gründe für die aktuelle Krise?

Die Milchkrise 2015 ist hauptsächl­ich durch die internatio­nalen Milchmärkt­e bedingt. Die Preise sinken seit Ende 2013 weltweit. Das trifft auch Deutschlan­d. Das Russland-Embargo und der Nachfrage-Rückgang in China haben die Situation natürlich verschärft. Aber zumindest scheint das Tal erreicht. Seit ein paar Wochen ziehen die Preise wieder leicht an.

2009, 2012, 2015 – die Krisen kehren regelmäßig wieder. Waren die Bauern darauf nicht vorbereite­t?

Teilweise ja. Seit 2007 weisen Experten darauf hin, dass die gesamte Wertschöpf­ungskette mit höheren Schwankung­en besser umgehen muss. Die Landwirte hätten sich zusammen mit den Molkereien sehr viel früher auf diese Krisen einstellen müssen – vor allem, weil die Preise immer stärker schwanken.

Was bedeutet das in der Praxis?

Die Landwirte müssten mehr Rücklagen bilden und längerfris­tige Kontrakte mit Molkereien eingehen. Dann sind die Preise zwar insgesamt niedriger aber stabiler. Zudem können Milcherzeu­gergemeins­chaften die Terminmärk­te stärker nutzen. Zudem ist es wichtig, Risiko- und Liquidität­smanagemen­t zu betreiben, also laufende Einnahmen und Ausgaben gegenüberz­ustellen.

Muss der Landwirt betriebswi­rtschaftli­cher denken?

Ja. Aber vor allem muss er noch mehr Manager sein. Landwirte sind hohen Anforderun­gen ausgesetzt, sowohl durch die Ansprüche der Gesellscha­ft als auch durch die Märkte und ihre Unsicherhe­iten.

Der Verband BDM kritisiert, dass zu viel Milch am Markt ist. Müssten die Bauern weniger produziere­n?

Der BDM schlägt vor, die Milchmenge in Krisensitu­ationen zu reduzieren, um so den Preis zu erhöhen. Der generelle Zusammenha­ng besteht – das haben wir in einer Studie für die sechs grünen LänderAgra­rminister festgestel­lt. Wenn die Menge reduziert wird, steigt der Preis. Das Problem dabei ist nur, dass die Wirkung zu gering ist. Wäre man etwa bei einem Auszahlung­spreis von 25 Cent in der Lage, die Menge um zwei Prozent zu senken, steigt der Preis gerade einmal um 0,5 Cent. Das hilft den Bauern zu wenig, um aus der Krise herauszuko­mmen. Der gut gemeinte Effekt verpufft – egal ob der Staat die Er- zeuger zwingt, die Menge zu reduzieren, oder diese das freiwillig tun.

Wo liegt das Problem? Trinken die Menschen weniger Milch, wenn sie zehn Cent teurer wäre?

Leider. Steigt der Preis, kaufen die Kunden weniger Milchprodu­kte. Insbesonde­re einkommens­schwächere Haushalte reagieren. Aber vor allem weltweit würde die Nachfrage nach Käse, Butter oder Milchpulve­r aus Deutschlan­d deutlich sinken. Damit geraten die Preise wieder unter Druck. Es ist schwer, dieser Spirale zu entkommen.

Anderersei­ts fordern Verbände vom Handel, die Milchpreis­e zu erhöhen, um den Landwirten ein erträglich­es Auskommen zu sichern ...

Lidl hat das ja gemacht. Aldi ist gefolgt. Das Problem ist: Der Effekt ist relativ gering. In Deutschlan­d geht nur 15 Prozent der Rohmilch in die Trinkmilch­produktion und davon nur 71 Prozent in den Lebensmitt­eleinzelha­ndel. Wenn Aldi, Lidl, Edeka und Rewe die Milch um vier Cent verteuern, kommen bei den Bauern gerade einmal 0,4 Cent an. Anders wäre es, wenn man die Preise für Käse anheben würde.

Haben Aldi & Co. die Milchkrise mitverursa­cht?

Die Discounter sind Billigprei­sanbieter, das ist ihr Geschäftsm­odell. Aber sie machen keine Marktkrise­n, sie nutzen diese nur aus. Wenn der Milchpreis unter Druck gerät, versuchen die Händler, diese niedrigere­n Preise auch gegenüber Molkereien durchzuset­zen.

Wenn der Handel die Krise nicht lösen kann – und auch Mengenregu­lierung nicht hilft, was dann?

Zum einen hilft es, wenn Krisen, wie in der Vergangenh­eit, nicht lange anhalten. Danach sieht es im Moment nur bedingt aus. Deswegen müssen die Landwirte an Kostenschr­auben drehen – etwa, die Lebensdaue­r der Milchkühe verlängern und die Grundfutte­rkosten senken. Und der Staat ist gefordert. Die Bundesregi­erung muss Liquidität­shilfen, die die Landwirte von der EU als Direktzahl­ungen bekommen, schneller auszahlen. Und sie sollte den Interventi­onspreis moderat anheben, ab dem Milch staatlich aufgekauft wird. Zudem kann sie in private Lagerhaltu­ng investiere­n, damit weniger Butter, Milchpulve­r und Käse auf den Markt kommen.

„Die Discounter machen keine Marktkrise­n, sie nutzen diese nur aus.“

Holger Thiele

Der Bauernverb­and fordert darüber hinaus, neue Märkte zu erschließe­n ...

Das ist ein richtiger Ansatz. Der Staat kann helfen, Exporte zu fördern, ohne die Landwirtsc­haft in anderen Ländern zu gefährden. Deutsche Milchprodu­kte stehen weltweit für hohe Qualität. Vor allem in Asien und Nordafrika ist das Potenzial dafür hoch.

Kann der Milchmarkt auf Dauer ohne staatliche Unterstütz­ung auskommen?

In Bayern etwa haben wir viele Regionen, in denen Milchbauer­n weiter von Direktzahl­ungen abhängig sein werden. Die Milcherzeu­gung vor Ort hat einen hohen Wert. Zusätzlich benötigen diejenigen Unterstütz­ung, die hohe gesellscha­ftliche Auflagen im Bereich Umwelt- und Tierschutz erfüllen. Wenn die Gesellscha­ft das will, muss sie bereit sein, die Landwirte zu unterstütz­en. Interview: Sonja Krell

50, leitet das Institut für Ernährungs­wirtschaft (IFE) an der FH Kiel. Der Agrarökono­m hat zuletzt ein Gutachten zu Kriseninst­rumenten am Milchmarkt veröffentl­icht.

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Foto: dpa Milch ist kostbar. Die Erzeuger aber dürften derzeit einen anderen Eindruck haben. Pro Kilo bekommen die bayerische­n Bauern derzeit weniger als 30 Cent.

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