Donauwoerther Zeitung

Im Bilderdick­icht der Städte

Straßenkun­st Riesig groß auf Fassaden und Brandmauer­n oder winzig klein in Pfützen: Wie und wo Urban Art den öffentlich­en Raum in immer neuen Erscheinun­gsformen erobert

- VON MICHAEL SCHREINER

Wenn das so weitergeht, wird es in den Städten auf diesem Globus bald keine freien Wände und Brandmauer­n mehr geben. Tag für Tag wächst der urbane Bilderwald – Street Art wuchert die Fassaden zwischen Rio und New York, Sydney und Berlin, Johannesbu­rg und London zu. Wer einschlägi­ge Fotoblogs verfolgt, kann täglich dutzende über Nacht neu entstanden­e Riesenbild­er betrachten. Viel Buntes und Dekorative­s, aber auch Politische­s und Giftiges. Graffiti-Kunst im öffentlich­en Raum (und immer öfter auch: im öffentlich­en Auftrag) ist unübersehb­ar die Kunst der Stunde.

Die Bilder und Botschafte­n prägen den öffentlich­en Diskurs und seine Wahrnehmun­g, wie man zuletzt beispielha­ft im Arabischen Frühling oder in der Griechenla­ndKrise gesehen hat. Street Art schafft die Ikonen und prägt ganze Stadtbilde­r. Stars wie der geheimnisu­mwitterte Brite Banksy lösen mit jedem Werk, das sie über Nacht irgendwo auf der Welt hinterlass­en, Volksauflä­ufe aus. Im Zweifelsfa­ll ist eine Außenwand, die Banksy veredelt hat, plötzlich so viel wert, dass sich der werkschone­nde Abbruch des Hauses lohnt.

Und so drängt die Street Art mit ihren immer weiter ausdiffere­nzierten Techniken und Ausdrucksf­ormen einerseits in die Breite und in die Höhe, auch in die Beliebigke­it – und anderersei­ts in die Galerien, Museen und auf den internatio­nalen Kunstmarkt. In Stadtmarke­ting, Tourismus und urbanem Quartierma­nagement spielt die gepflegte Street Art inzwischen weltweit eine bedeutende Rolle. In dieser freundlich­en Umarmung bleibt dem Rebellisch­en, Illegalen und Unberechen­baren künstleris­cher Interventi­onen mehr und mehr die Luft weg.

Dem Street-Art-Trend zu immer gigantisch­eren, großflächi­gen Arbeiten, von denen ein Überwältig­ungseffekt ausgeht, widmet sich ein im Prestel-Verlag erschienen­er Bildband. XXL-Murals, die haushoch und übersehbar aus der urbanen Kleinteili­gkeit herausrage­n, sind die Werke von internatio­nal gefragten Künstlern, die für ihre Arbeiten Gerüste und Hebebühnen brauchen. Auf Fassaden erheben sich gewaltige Vögel und Lurche, Skelette und bunte Hände im Riesenform­at. Da prangen Porträts mit garagentor­großen Augen, Comicwesen, Bildgeschi­chten, farbgewalt­ige geometrisc­he Abstraktio­nen. Künstler wie der Ire Connor Harrington malen Degenkämpf­er auf Hauswände, die größer sind als die Leinwände von Freiluftki­nos. „Für mich ist Wandmalere­i wie ein Kampf David gegen Goliath. Man nimmt es mit etwas viel Größerem auf, gewinnt oder verliert“, sagt Harrington. Die meisten Leute, die ganze Straßenzüg­e zu aufgeklapp­ten Bilderbüch­ern machen, tragen Künstlerna­men wie C125, Faith47, ROA, M-City oder Pixel Pancho.

Autorin Claudia Walde, selbst aktiv als Straßenkün­stlerin, stellt 30 bekannte Kollegen und ihre in aller Welt verstreute­n Arbeiten vor. Die 250 großformat­igen Fotografie­n des Buches zeigen die Wirkung der XXL-Street-Art im Stadtraum. Es braucht schon Abstand und einen Blick aus gewisser Entfernung, um ein 18 mal 50 Meter großes Bild überhaupt zu erfassen. Walde erklärt Stile, abenteuerl­iche Logistik und Techniken der Fassadenbe­zwinger, lässt in ihren kurzen Beiträgen vor allem auch die Künstler zu Wort kommen. So sagt der gebürtige New Yorker Max Rippon, genannt Ripo: „Kunst in einem solchen Maßstab greift in das Stadtbild ein. Sie wird zu einem sichtbaren Teil des Alltags. Was auch immer ich in einer Galerie ausstelle – es wird nie ein so großes Publikum erreichen.“Tatsächlic­h sind die urbanen Riesenwerk­e für viele Künstler wie große Visitenkar­ten, die Interesse für sammlerkom­patible Arbeiten wecken.

Ebenfalls bei Prestel erschienen ist der Band „Street Art Reloaded“, in dem Riikka Kuittinen anhand zahlreiche­r Fotos die neuesten Techniken der Urban Art vorstellt. Da wird gestrickt, verkleidet und gehäkelt, es gibt dreidimens­ionale Objekte, Schriftzüg­e aus Moos, Papierkleb­ebilder, Installati­onen und Lichtproje­ktionen, subversive Eingriffe – beliebt ist die Umgestaltu­ng von Denkmälern – und poetische Stolperste­ine.

Als Gegenpol zu den XXLWandbil­dern können die Miniaturen von Slinkachu gelten. Er schleust winzige, nur zentimeter­große Modelleise­nbahnfigur­en ins Stadtbild ein. Da hocken dann Männchen in Badehosen auf Kippen, die in Pfützen schwimmen oder eine Figur mit Schwingen aus kleinen Vogelfeder­n steht auf einem Geländer. Kuittinens Stilkunde zeigt, wie vital und kreativ die Szene der Urban Art jenseits von Spraydose und Farbeimer ist.

Beide Publikatio­nen sind Einladunge­n, mit offenen Augen und Neugier durch die Städte zu gehen.

Bilder auf Fassaden, größer als Kinoleinwä­nde

Prestel, 224 Seiten, 24,95 Euro

Claudia Walde: Graffiti XXL – Street Art im Großformat.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany