Die Diva, die nicht singen konnte
Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne Sie quält ihr Publikum mit ihrem schmerzhaften Gejaule – und eines Tages hat sie in New York doch noch ihren großen Auftritt
Marguerite Dumonts (Catherine Frot) singt voller Temperament, Inbrunst und Leidenschaft – aber ohne jegliches Talent. Ihre Darbietung von Mozarts „Königin der Nacht“ist unerträglich. Sie trifft keinen einzigen Ton. In den Höhenlagen kippt die Stimme auf geradezu schmerzhafte Weise. Das Publikum, das sich im Schloss der Baronin am Rande von Paris zu Beginn der 1920er Jahre versammelt hat, lässt sich jedoch nichts anmerken. Nur gelegentlich entgleiten die Gesichtszüge. Einige haben sich in den Salon geflüchtet. Aber als Marguerite den letzten falschen Ton ihres Benefizkonzerts für die Kriegswaisen gesungen hat, umgibt sie tosender Applaus.
Ein bizarres, heuchlerisches Ritual, dem sich die feine Gesellschaft angesichts der Stellung und des Reichtums der unbegnadeten Sopranistin mit masochistischem Gleichmut ergibt. Selbst ihr Ehemann Georges (André Marcon), der wegen vorgeblicher Autopannen immer zu spät zu den Konzerten kommt, bringt es nicht übers Herz, der Gattin die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Aber unter das Establishment haben sich an diesem Abend die junge Sängerin Hazel (Christa Théret) und der Journalist Lucien (Sylvain Dieuaide) gemischt, die ei- gewissen Kult-Faktor in der Veranstaltung sehen und von der Diskrepanz zwischen künstlerischer Leidenschaft und musikalischem Unvermögen in Marguerites Darbietungen fasziniert sind. Lucien schreibt eine ironische, aber auch liebevolle Eloge auf die eigenwillige Sängerin und der Zeitungsartikel ermutigt Marguerite zu einem Vorhaben, von dem sie schon lange träumt: ein Konzert in der Pariser Oper vor zahlendem Publikum.
Die Geschichte von Xavier Giannolis Tragikomödie „Madame Marguerite“erinnert ein wenig an Andersens Märchen „Des Kaisers neue Die US-Erbin
geboren am 19. Juli 1868 in Wilkes-Barre, war schon 44 Jahre alt, als sie 1912 erstmals im privaten Rahmen vor Publikum auftrat und mit einer so unbeschreiblich schlechten Stimme ein paar Opernarien zum Besten gab, dass es die Zuhörer grauste. In ihrer Jugend wollte sie in Europa Gesang studieren, ihr Vater hinderte sie jedoch. Als er 1909 starb, war sie endlich frei, um Gesangsstunden zu nehmen und Kleider“, orientiert sich aber an einem realen Fall. Die amerikanische Sängerin Florence Foster Jenkins brachte es Mitte des 20. Jahrhunderts als miserable Sopranistin zu beträchtlichem Ruhm und gab mit 76 Jahren sogar ein Konzert in der New Yorker Carnegie Hall.
Giannoli übernimmt in „Madame Marguerite“nur die Grundidee, verfrachtet die Geschichte ins Paris der 20er Jahre und arbeitet sich nach der grotesken Auftaktsequenz immer tiefer in die Persönlichkeit seiner tragischen Hauptfigur ein. Daraus wird eine interessante Studie über fehlgeleitete Selbstwahrnehnen Liederabende zu geben.
Kritik, Spott und Buhrufe perlten an ihr ab wie Regentropfen, Gäste, die sie verlachten, bezeichnete sie als „eifersüchtig“. Obwohl sie in der New Yorker Society als bescheidener Mensch galt, gelang es niemandem, ihr die Augen zu öffnen, dass sie sängerisch völlig unbegabt war. Sie war überzeugt, dass ihre Stimme dem Vergleich mit den
Foto: George Grantham Bain Collection at the Library of Congress mung und die fragile Lebenskraft, die aus der Verleugnung eigener Unfähigkeiten entstehen kann.
Mit wohldosierter Exzentrik spielt Catherine Frot die leidenschaftliche, talentlose Operndiva, in deren Augen man manchmal den Schimmer der Erkenntnis für Sekundenbruchteile aufflackern – und wieder erlöschen – sieht. Trotz ihrer Skurrilität kommt die Tragikomödie im Gesamteindruck aber fast zu wohltemperiert daher; weder humorige noch ernste Momente können sich emotional entfalten. ***
Das historische Vorbild: Florence Foster Jenkins
Operndiven ihrer Zeit, wie etwa den Sopranistinnen Frieda Hempel und Luisa Tetrazzini, standhielt.
Dann mietete sie 1944 für einen Abend den Hauptsaal der Carnegie Hall. Das einmalige Konzert war Wochen im voraus ausverkauft. Über 2000 Besucher sollen sie gehört haben. Eine Woche später traf sie ein Herzinfarkt, sie starb am 26. November 1944.
Ihre Biografie wird von Stephen Frears mit Meryl Streep in der Hauptrolle verfilmt. Der Film kommt im November 2016 in die Kinos. (loi)