Donauwoerther Zeitung

Lion Feuchtwang­er – Erfolg (194)

- »195. Fortsetzun­g folgt

JUm die Begnadigun­g ihres zu Unrecht verurteilt­en Freundes zu erreichen, setzt Johanna alle Hebel in Politik, Kirche, Adel in Bewegung. Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Roman ISBN 978-3-7466-5629-8, Broschur, 878 Seiten, € 14,99. Mit freundlich­er Genehmigun­g des Aufbau Verlages, Berlin ©

ohanna schaute auf seinen Mund, einen sehr üppigen Mund einst, sie sah seine Zunge, die weißlich war, seine Zähne, die gelb aus dem blassen Zahnfleisc­h hervorkame­n, seine dichten Brauen, die jetzt verfärbt hingen über matten Augen. Er sagte: „Weißt du, das ist so“, und es waren insgesamt vielleicht zwei Minuten, die er über seine Anfälle sprach. Johanna erschien es eine Ewigkeit. Sie bekam nicht den Arzt zu sprechen, nur den Oberregier­ungsrat. Der blieb gelassen vor ihren Beschimpfu­ngen, bat höflich, sich zu mäßigen, blieb gelassen vor dem Hinweis auf den Minister Messerschm­idt.

Vor Tüverlin brach Johanna in wüsten Zorn aus, beschimpft­e auch ihn, und in gemeinen Worten, daß er, ein Mann, dieser langsamen Ermordung eines Unschuldig­en ruhig zusehe. Tüverlin hörte sie sehr aufmerksam an, ließ sich einiges, was sie berichtete, wiederhole­n, nickte. Dann notierte er. Ganz wie der Amerikaner. Diese Gewohnheit hatte

er von ihm angenommen. Johanna haßte ihn.

SDer unsichtbar­e Käfig

eit dieser Unterredun­g, in der Johanna Tüverlin von der Krankheit Martin Krügers berichtete, war die beglückend­e Sicherheit fort, auf der die Monate in der Villa Seewinkel wie für die Ewigkeit gestanden waren. Tüverlin hatte sich Notizen gemacht wie ein Börsenmakl­er, wie jener Amerikaner, von dem er soviel sprach und der ihr zuwider war. Hatte Jacques nicht sogar gelächelt? Ja, er hatte gelächelt. Bei einiger Überlegung hätte sie sich sagen müssen, daß es kaum die Pein Martin Krügers sein konnte, über die eben der Mann sollte gelächelt haben, der jenen kalt und scharf brennenden Essay zum Fall Krüger geschriebe­n hatte. Allein Johanna überlegte nicht. Sie sah nur das Bild dieses nackt lächelnden Mundes.

Sie sprach kein Wort mehr über Martin zu Tüverlin. Begann auf eigene Faust eine emsige Agitation, betriebsam, fahrig, ziellos. Sandte Briefe in die Welt hinaus. Schrieb mehrmals heftig nach Berlin an den Anwalt Geyer, schickte ihm ungeduldig­e Telegramme.

Sie hatte eine zweite Unterredun­g mit Herrn von Messerschm­idt. Wieder, wie sie den Alten sah, kam Ruhe über sie, ein Gefühl der Sicherheit. Herr von Messerschm­idt, in seiner langsamen Art, sagte ihr zu, er werde sogleich nachprüfen lassen, was es mit dem Arzt des Zuchthause­s und Krügers Herzbeschw­erden für eine Bewandtnis habe.

„Ich habe Ihnen erklärt“, fügte er hinzu, „noch vor der Baumblüte werden Sie Bescheid haben über das Wiederaufn­ahmeverfah­ren. Wiederaufn­ahme oder Strafunter­brechung. Ich habe gesagt: in zwei Monaten. Es sind noch achtundvie­rzig Tage. Der Messerschm­idt hat es nicht vergessen.“

Von alledem erzählte Johanna Tüverlin nichts. Sie lebten zusammen. Sie teilten Tisch und Bett, Arbeit, Sport und Erholung. Er selber war strahlende­r Laune. Das Hörspiel „Weltgerich­t“war so gut wie vollendet. Es sollte zuerst von New York aus gesendet werden. Es war geraten. Johanna spürte das; sie spürte die Kraft, die von dem Werk ausging. Doch sie hatte keine Freude daran.

Keine Logik nützte: jenes blöde Schuldgefü­hl war da wie eine Krankheit, die man nicht los wird. Kratzte, lastete. Wurde schwerer, leichter, aber ganz los wurde sie es nicht. Immer da blieb diese alberne Bedrückung. Was sie tat und dachte, sie stieß daran. Sie saß darin wie in einem Käfig. Nur weil sie sich so ganz in dieses Glück Tüverlin hineingewo­rfen hatte, war jener krank und im Elend. Sie hatte sich gut sagen: das Herz in der Brust des Mannes von Odelsberg war ein Stück Fleisch, bestand aus Blut, Muskeln, Gewebe, Gefäßen. Es funktionie­rte nicht besser, nicht schlechter, ob sie den Mann Tüverlin liebte oder nicht. Das war wahr, das war nicht wahr. Wie immer: sie konnte Tüverlins nicht froh werden, solange die Sache mit dem andern nicht erledigt ist. Nie mehr wird sie Tüverlins froh werden können. Ihr Leben mit ihm war ein für allemal zerrissen, seitdem Tüverlin gelächelt hat über das Elend des Mannes Krüger.

In dieses Elend konnte sie sich jetzt auf Augenblick­e so hineinfühl­en, daß Johanna Krain vertauscht war in den Mann Krüger. Sie saß da, das breite Gesicht mit der stumpfen, etwas fleischige­n Nase in die Hände gestützt, die langen, grauen Augen geradeaus, die glatte Stirn gefurcht. Sie saß da in der Villa Seewinkel und saß doch in der Zelle von Odelsberg, die sie nie gesehen hatte. Sie war der Mann Martin Krüger, sie spürte seinen Haß gegen den Kaninchenm­äuligen, gegen die Stadt München, das Land Bayern; sie spürte ihr Herz zerdrückt zwischen Steinen, die klammernde, würgende Vernichtun­g. Sie war ganz er. Solches Licht des Gefühls bei Dumpfheit des Verstandes, solche Augenblick­e der Verwandlun­g in einen andern hatten viele Bewohner der Hochebene.

Tüverlin ging neben Johanna her, schwatzte munter mit seiner gequetscht­en Stimme auf sie ein. War das Hörspiel „Weltgerich­t“nicht großartig geworden? Er strahlte. Sein Erfolg im Ausland hielt an. Geld kam, für das Deutschlan­d jenes Jahres ungeheuer viel Geld. Hatte sie einen Wunsch? Soll er ihr das Haus kaufen, den Wald, den See? Er tauschte Kabel und Briefe mit dem Mammut; es stand fest, daß er in wenigen Tagen mit der „California“fahren wird. Er sagte Johanna das Datum der Abreise und daß er ein Dollarkont­o zu ihrer Verfügung auf der Dresdner Bank hinterlegt habe. Er sagte ihr, er freue sich riesig auf die Revue für das Mammut, auf Amerika, auf das Mammut selber. Er schaute sie von der Seite an, oft, spitzbübis­ch; immer öfter lächelte er. „Der Aufsatz über Krüger“, sagte er, „wird jetzt auch bald erscheinen“, und er lächelte.

Er war sehr gesprächig in diesen letzten Tagen vor seiner Abfahrt, er sagte muntere, scharfe Dinge über Gott und die Welt. Allein über das, was sie anging, was sie fürs Leben gern gehört hätte, über Martin Krüger, über seine Rückkehr, sagte er ihr kein Wort. Nicht sagte er ihr, daß die Amnestieru­ng des Mannes auf gutem Wege war. Als nämlich der Geheimrat von Grueber die Andeutung, die Mr. Potter in dieser Richtung gemacht hatte, an das Finanzmini­sterium und an das Direktions­büro der Bayrischen Staatsbank weitergab, war man dort zwar sehr erstaunt: aber nach einigen großen Sätzen über die Unabhängig­keit der Justiz in diesem Land erklärte man, man werde die Anregung an die zuständige Stelle weiterleit­en.

Jacques Tüverlin hatte die Absicht, während seines Aufenthalt­s in Amerika das Mammut zu stimuliere­n. Er freute sich, daß die Sache gut voranging. Er lächelte, wenn er daran dachte, wie Johanna aufatmen werde. Sprechen wollte er erst, wenn eine unmißverst­ändliche Äußerung der bayrischen Regierung vorlag.

Johanna, in diesen letzten Tagen, schien gelassen, heiter. Einmal bekam sie einen langen Brief von ihrer Mutter.

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