Seine Thriller aus der Antike sind brandaktuell
Porträt Eine Hitler-Fantasie machte den Bestsellerautor Robert Harris berühmt. Nun hat der Brite sein wichtigstes Werk vollendet und macht das alte Rom zum modernen Politkrimi
Wenn Robert Harris Besucher aus Deutschland auf seinem schmucken Landsitz in Berkshire achtzig Kilometer westlich von London empfängt, begrüßt er sie meist mit dem Scherz: Dieses Haus hat Adolf Hitler bezahlt. Der 58-Jährige spielt auf die Millioneneinnahmen aus seinem Roman-Erstling an: In dem Politthriller „Vaterland“entwarf der Brite das beklemmend realistische Gedankenspiel, wie Deutschland und die Welt im Jahre 1964 kurz vor Hitlers 75. Geburtstag aussehen würden, wenn das Nazi-Regime als Sieger aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen wäre.
Heute erscheint „Vaterland“zumindest aus deutschem Blickwinkel als der schwächste unter den knapp ein Dutzend Bestsellern aus dem Hause Harris. Sein nach Meinung vieler Kritiker unbestrittenes Meisterwerk hat der Brite jetzt nach gut zwölf Jahren Kleinarbeit vollendet. Mit „Dictator“legt Harris den dritten Roman seiner Trilogie über den Römer Marcus Tullius vor, der unter seinem Beinamen Cicero in die Weltgeschichte einging.
Wie schon die ersten Teile „Imperium“und „Titan“ist der Abschluss der Cicero-Trilogie ein bemerkenswertes Gegenstück zu seiner Hitler-Fantasie: Obwohl Harris das Leben des großen Römers dramaturgisch raffiniert in einen spannenden Politthriller packt, hält er sich derart akribisch an historische Fakten, dass ihn die britische Gesellschaft für klassische Geschichte zu ihrem Präsidenten gewählt hat. Zugleich strickt der gelernte Journalist aus einer Unzahl von Originalquellen und Historikerwerken ein nicht nur zeitloses, sondern brandaktuelles Lehrstück über das Handwerk der Politik – zwischen moralischen Ansprüchen und machtpolitischen Kompromissen bis zu den Abgründen aus Machtmissbrauch und Korruption.
Schon als Journalist legte Harris eine Blitzkarriere hin: Bereits Anfang zwanzig arbeitete der CambridgeStudent als BBC-Fernsehreporter und erwarb sich Ansehen, etwa mit Enthüllungen über geheime Giftgas-Waffenprogramme im Zweiten Weltkrieg. Mit Anfang dreißig war er bereits ein gefragter Zeitungskolumnist bei der Sunday Times dem Daily Telegraph.
Sein Weltkriegsthriller „Enigma“(1995) wurde mit Kate Winslet in der Hauptrolle verfilmt. Ebenso der Roman „Ghost“: Harris’ Abrechnung seiner enttäuschten Freundschaft zu Tony Blair bekam unter der Regie von Roman Polanski als „Der Ghostwriter“2010 den Europäischen Filmpreis. Ein Jahr später legte Harris mit dem beklemmenden Thriller „Angst“einen Schlüsselroman zur Weltfinanzkrise vor.
Doch seine Hauptbeschäftigung galt in all den Jahren Cicero: So wie der Erzählkünstler in „Pompeji“(2003) in den Ruinen erhaltene römische Wahlkampfparolen zu spannendem Leben erweckt hat, setzt Harris nun dem scheinbar erfolglosen Politiker Cicero ein Denkmal – und stürzt by the way Caesar vom Sockel jeder Bewunderung. Michael Pohl
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