Der Kalvarienberg ist ihnen heilig
Silberdistel im Oktober Das Ehepaar Kleinwächter pflegt in Wettenhausen einen ganz besonderen Ort. Dort haben die beiden teils mit sehr irdischen Problemen zu kämpfen
Samstags bekommen Albert Kleinwächter und seine Frau Hildegard nicht selten Gesellschaft. Wenn sie auf den Wegen des Kalvarienberges in Wettenhausen (Kreis Günzburg) Laub zusammenrechen, runtergefallene Äste aufsammeln und die abgebrannten Kerzen vor den Stationen wegräumen, dann gesellt sich regelmäßig ein Jäger hinzu, stellt sich bei der Lourdesgrotte auf, holt sein Horn hervor und bläst ein paar Marienlieder. Dann halten die beiden entweder inne oder schaffen weiter, je nach dem, was eben gerade zu tun ist – und es gibt eigentlich immer etwas zu tun.
Die Anlage liegt auf einem ehemaligen Burgberg mitten in einem ungewöhnlich vielfältigen Mischwald. Der ist zwar schön, bringt aber auch viel Arbeit für die beiden Pfleger. Seit 17 Jahren betreuen sie mit Hingabe und tiefer innerer Überzeugung diese Anlage, zu der fromme Pilger von weit her anreisen. Für dieses Engagement erhält das Ehepaar die Silberdistel unserer Zeitung.
Dabei empfand Albert Kleinwächter seine Entscheidung fast ein wenig fahrlässig. Der Kirchenpfleger suchte händeringend jemanden, der sich des Kalvarienbergs annimmt, denn der damals zuständige Pfleger konnte wegen seines fortgeschrittenen Alters die Aufgabe nicht mehr bewältigen. Kleinwächter war da gerade 50, frühpensioniert und hatte Zeit: „Nachdem alle ,hier!‘ geschrien haben“, sagt er mit einem Schmunzeln, „habe ich es halt gemacht.“
Auf was er und seine Frau sich da eingelassen hatten, bekamen sie mit voller Wucht ein Jahr nach der „Amtsübernahme“zu spüren: 1999 tobte Orkan Lothar über Teile Europas hinweg. Auf dem Kalvarienberg sah es danach – wie anderswo auch – schlimm aus. Reihenweise waren Bäume umgeknickt, wochenlang dauerten die Aufräumarbeiten rund um den Berg. „Es war schon gigantisch“, erinnert sich Albert Kleinwächter. Jedoch hatte kein einziger Stamm eine der KeuzwegKapellen getroffen. „Dass da nichts passiert ist, das war wie ein Wunder. Ich glaub da schon ein bisserl dran.“Ohnehin scheinen die Wettenhauser einen guten Draht nach oben zu besitzen, denn von schweren Hagelschäden bleiben die Fluren weitge- hend verschont. Die Gläubigen tun allerdings einiges dafür. Aufgrund eines Gelübdes aus dem Jahr 1871 treffen sie sich sechsmal im Jahr zu Bittgängen auf den Kalvarienberg. Da muss natürlich alles sauber sein.
Doch das ist nichts im Vergleich zu dem, was das Ehepaar am Karfreitag zu tun hat. Zwar kommen Pilger das ganze Jahr über, doch dieser Tag ist der Höhepunkt. Morgens um fünf gehen die beiden raus und schauen noch mal nach dem Rechten, denn so gegen sechs kommen bereits die Ersten zum Beten. Der Strom reißt nicht ab, bis in den späten Abend hinein. Albert und Hildegard Kleinwächter müssen ständig abgebrannte Kerzen wegräumen und die prall gefüllten Opferstöcke leeren.
Kein Problem, sie machen es gerne, wie sie sagen – und sie werden auch nicht alleine gelassen. Zu den Routinearbeiten zwei- bis dreimal die Woche brechen sie zu zweit auf, doch bei den größeren Einsätzen, wenn etwa die vielen Figuren geputzt und die Kapellen gereinigt werden müssen, können sie auf eine eingeschworene Gemeinschaft zählen. Wenn der Aufruf im Amtsblatt steht, kommen die Helfer ganz selbstverständlich, denn ihr Kalvarienberg ist ihnen heilig.
Er ist ja tatsächlich außergewöhnlich. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Wettenhausens Ortspfarrer Johann Georg Mayr die Vision, auf den Hügel der 1324/25 zerstörten Burg einen Kalvarienberg zu setzen. Er trieb dafür so viel Geld auf, dass nicht nur 14 Kreuzwegstationen entstanden, sondern auch noch etliche Kapellen mehr, in denen Figurengruppen aus dem Leben Christi erzählen konnten. Natürlich ging es auch darum, andere Kalvarienberge der Umgebung zu übertreffen. Das hat funktioniert. Schon damals pilgerten tausende Menschen pro Jahr dorthin, an den Ortsrand von Wettenhausen. Während des Kriegs suchten die Menschen sogar Schutz in den Kapellen und im einstigen Bierkeller unterm Berg. Dort lagern nun die Arbeitsgeräte von Albert Kleinwächter. Er fühlt sich dem Erbe seiner Heimat verpflichtet und sagt: „Was die Vorfahren geschaffen haben, das darf man doch nicht einfach verlottern lassen.“