Seehofers Instrumentenkasten
Zuwanderung Wie die CSU permanent Druck auf Kanzlerin Merkel ausübt und was Bayern tun könnte, wenn sich die Spitzen der Koalition auf keine gemeinsame Flüchtlingspolitik einigen
Für Reizklima ist gesorgt. Schon seit Wochen nimmt CSU-Chef Horst Seehofer kein Blatt vor den Mund, um Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Eindämmen der Flüchtlingsströme vor allem über die bayerische Grenze zu zwingen. Am Sonntag könnte es beim Krisentreffen der schwarz-roten Parteichefs Merkel (CDU), Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD) zur Stunde der Wahrheit kommen.
Kurz davor spießt Gabriel noch den Zoff der Union auf, indem er warnt, dieser drohe rechtsradikalen Stimmungen den Boden zu bereiten. Doch was wäre, wenn? Wenn Seehofer nicht bekommt, was er will? „Wir sind auf alles vorbereitet“, lautet seine dunkle Drohung. Welche Optionen hätte er überhaupt?
Bayerische Notwehr:
Möglich wäre eine „Notwehr“der bayerischen Verwaltung, die Seehofer schon vor einigen Wochen androhte. Bayern könnte täglich tausende Flüchtlinge per Bus und Zug unangemeldet in andere Bundesländer bringen lassen. Die Gefahr: Das Die slowenisch-österreichische Grenze zwischen Sentilj und Spielfeld ist ein Brennpunkt der Flüchtlingskrise. Kleine Kinder, die von Helfern über hohe Zäune gezogen werden (ganz rechts); Menschen, die unter einem primitiven Maschendrahtzaun hindurchschlüpfen (rechts); Helfer, die wartenden Flüchtlingen einen Pizzakarton zuwerfen (links); und am Ende der Jubel der Jugendlichen, die – gefolgt von vielen anderen Flüchtlingen – österreichischen Boden erreicht haben. In einigen Stunden oder Tagen werden sie an der deutschen Grenze stehen. würde politische Feinde und Freunde im restlichen Deutschland gegen Bayern aufbringen, einschließlich der Verbündeten innerhalb der CDU, die Merkel ebenfalls zum Kurswechsel zwingen wollen.
Bayerischer Grenzschutz:
Eine eigenmächtige Abriegelung der Grenze zu Österreich ist eine eher theoretische Option. Die Landespolizei hat gar nicht ausreichend Personal, um die Grenze effektiv zu bewachen, es sei denn, alle anderen Aufgaben blieben liegen. Ein Stück aus dem Tollhaus wäre eine Situation, wenn die eigentlich für die Grenze zuständige Bundespolizei Flüchtlinge hineinlässt und bayerische Polizisten diese anschließend festnehmen wollten. Einen Grenzzaun will Seehofer jedenfalls nicht bauen lassen.
Bayerische Klage:
Angedroht ist eine Klage gegen den Bund vor dem Bundesverfassungsgericht. Das hätte vor allem symbolische Bedeutung. Denn ein Verfahren in Karlsruhe dauert womöglich Jahre, Seehofer will die Flüchtlingszahlen innerhalb weniger Wochen reduzieren. Die Staatsregierung geht aber davon aus, im Zuge einer einstweiligen Anordnung schneller zum Ziel zu kommen. Noch ein Problem: Die CSU ist mit drei Ministern auch Teil der Bundesregierung.
Symbolische Nadelstiche:
Denkbar wären politische Strafmaßnahmen – zum Beispiel eine Ausladung Merkels, die am 21. November für das traditionelle Grußwort der Schwesterpartei zum CSU-Parteitag kommen soll. Oder ein Boykott der Berliner Kabinettssitzungen durch die CSU-Minister für einige Zeit. Das wäre jedoch schon ein erheblicher Affront, und Einfluss nehmen auf die Regierungspolitik von Merkel und Vizekanzler Gabriel könnten sie dann auch nicht mehr.
Koalitionsfrage:
Ein echter Abzug vom Regierungstisch würde auf einen Ausstieg der CSU aus der Koalition hinauslaufen – eine selbstzerstörerische Option mit völlig ungewissem Ausgang. Das wäre auch der Bruch zwischen den Unionsparteien, den Seehofer nicht will. Rein rechnerisch könnte Merkels CDU zwar ohne CSU mit der SPD in Berlin weiterregieren. Auch das wäre aber eine beispiellose Fahrt ins Ungewisse. Wahrscheinlicher wären dann wohl Bundestagsneuwahlen.
Vertrauensfrage:
Auswirkungen dürfte der Ausgang des Krisentreffens am Sonntag in jedem Fall auf die Stimmung in der Unionsfraktion haben, die sich am Dienstag wieder trifft. Schon zuletzt brodelte es unter den 310 Abgeordneten, darunter 56 der CSU. Längst stehen aber auch CDU-Kollegen auf und verlangen von Merkel eine Kehrtwende. Denkbar wären Versuche, mit Anträgen eine Abstimmung in der Fraktion zu erzwingen. Das liefe aber schnell auf ein Votum für oder gegen Merkel hinaus. Die Kanzlerin selbst macht keine Anstalten, zum schärfsten Disziplinierungsmittel zu greifen: einer Vertrauensfrage an die eigenen Reihen im Bundestag.