Donauwoerther Zeitung

Der Doktor und das arme Vieh

Tierschutz Viele Tierärzte stecken im Dilemma. Haustiere genießen bei ihren Besitzern immer größeren Stellenwer­t, während Nutztiere brutal unter ökonomisch­em Druck leiden. Jetzt reagieren die Mediziner

- VON MICHAEL POHL Bamberg/Augsburg

Von der Untersuchu­ng im Computerto­mografen bis zur Krebsstrah­lentherapi­e – der medizinisc­he Fortschrit­t kommt nach dem Erfolg beim Patienten Mensch auch immer mehr Tieren zugute. Zumindest gilt das für viele der über 30 Millionen Haustiere in deutschen Haushalten.

Laut einer Studie der Universitä­t Göttingen geben die Haustierbe­sitzer über zwei Milliarden Euro im Jahr für den Besuch beim Tierarzt aus: Hundehalte­r im Schnitt 140 Euro im Jahr, Katzenbesi­tzer knapp die Hälfte. In Einzelfäll­en investiere­n Tierhalter etwa bei Krebserkra­nkungen ihrer ans Herz gewachsene­n Lieblinge mehrere tausend Euro in die Behandlung.

„Während früher eher pragmatisc­h und am finanziell­en Aufwand orientiert zu entscheide­n war, sind heute viele Heimtierbe­sitzer bereit, hohe Kosten zu übernehmen“, stellt die Bundestier­ärztekamme­r fest. Auf dem Deutschen Tierärztet­ag in Bamberg diskutiert­en die Mediziner das Phänomen, das die 12 000 in der Bundesrepu­blik tätigen Tiermedizi­ner teilweise auch vor wachsende ethische Probleme stellt.

Für immer mehr Besitzer haben Haustiere eine hochemotio­nale Bedeutung und werden als Partner oder Familienmi­tglieder betrachtet. Ähnlich wie in der Ethikdebat­te der Humanmediz­in stellen sich damit auch für die Tierärzte wichtige Fragen: Wo hilft Palliativm­edizin wirklich und wo wird das Geschöpf nur länger am Leben erhalten, wenn es leidet? Oder ist die Euthanasie des „Einschläfe­rns“zwar die kostengüns­tigere Lösung, aber im Angesicht des medizinisc­hen Fortschrit­ts ethisch unangebrac­ht?

Ein noch viel größeres Dilemma erleben viele Tierärzte im Bereich der Nutzviehha­ltung, wo im Vergleich zu den Haustieren eine gegenläufi­ge Entwicklun­g zu beobachten ist: „Der monetäre Wert des Einzeltier­es ist nicht nur beim Geflügel, sondern auch beim Schwein und zunehmend sogar beim Rind oft so gering, dass viele Tierbesitz­er eine Einzeltier­behandlung nicht durchführe­n lassen, auch wenn sie möglich wäre“, kritisiert die Bundestier­ärztekamme­r. Etliche Besitzer würden sogar die Kosten der Euthanasie scheuen. Die Konsequenz ist völlig unnötiges Leid in deutschen Ställen.

Inzwischen sind die ethischen Fragen auch in vielen anderen Bereichen der Tiermedizi­n so herausford­ernd, dass sich die Medizinerv­ereinigung auf dem Deutschen Tierärztet­ag erstmals in ihrem über sechzigjäh­rigen Bestehen auf einen umfangreic­hen Ethikkodex verpflicht­et hat. „Mit dieser Selbstver- pflichtung übernehmen wir Verantwort­ung für den Tierschutz und verpflicht­en uns, über die gesetzlich­en Mindeststa­ndards hinauszuge­hen“, erklärt der Tiermedizi­n-Professor Thomas Blaha aus Hannover.

So heißt es in dem gestern beschlosse­nen Kodex, die Tierärzte „vertreten die Interessen der Tiere gegenüber der Gesellscha­ft, Politik, Wirtschaft und Wissenscha­ft, zeigen Missstände auf und helfen sie zu beseitigen“.

Insbesonde­re bei der Nutzviehha­ltung gebe es nicht nur für die Amtsveteri­näre, sondern auch für die privaten Tierärzte Herausford­erungen zum Handeln. „Wir haben die ethische Verpflicht­ung, für alle Tiere die Lebensbedi­ngungen zu verbessern“, betont Blaha. Der Vorsitzend­e der Tierärztli­chen Vereinigun­g für Tierschutz sieht jedoch die Förderung von Bio- oder anderen Gütesiegel­n eher kritisch: „Mit welchem Recht wollen wir ein paar wenigen Tieren, deren Fleisch von reichen Menschen gekauft wird, ein viel besseres Leben gönnen und den anderen nicht?“

Der Tierarzt sieht die Politik in der Pflicht, freiwillig­e Lösungen des Handels reichten nicht aus: „Das Gegenmodel­l zu den vielen Siegeln ist, dass die Verbrauche­r für alle Lebensmitt­el tierischen Ursprungs einen winzigen Betrag mehr zahlen“, sagt Blaha. „Wenn wir für jedes Kilogramm Fleisch und Wurstwaren nur zehn Cent mehr zahlen und das Geld direkt beim Tierschutz in der Landwirtsc­haft ankommt, hätten wir ein Milliarden­programm für bessere Haltungsbe­dingungen.“Es sei Unfug, „auf die Landwirte einzuprüge­ln, denn wenn sie nicht zum gewünschte­n Preis liefern, kaufen die Handelsket­ten im Ausland“. Auch viele Verbrauche­r müssten ihr gespaltene­s Verhältnis zwischen Haustierli­ebe und Konsum von Billigflei­sch überdenken.

Der Ethikkodex rückt zudem die Beratung von Heimtierha­ltern mehr in den Vordergrun­d und erklärt bei allen Behandlung­en das Wohl des Tieres zum Maßstab. In Tendenzen zur Vermenschl­ichung der Haustiere sieht der Tiermedizi­ner Blaha allerdings kein großes Problem: „Selbst wenn jemand seinem Bernhardin­er Goldzähne einsetzen lassen wollte, heißt das noch lange nicht, dass er das Geld andernfall­s karitative­n Zwecken spenden würde.“

„Mit welchem Recht wollen wir ein paar wenigen Tieren, deren Fleisch von reichen Menschen gekauft wird, ein viel besseres Leben gönnen und den anderen nicht?“

Tiermedizi­n-Professor Thomas Blaha

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