Donauwoerther Zeitung

Der gefährlich­e Glaube an Google

Hintergrun­d Im Silicon Valley, dem Ursprungso­rt der Digitalen Revolution, entsteht eine Art neue Weltreligi­on: Algorithme­n sollen die Erde zu einem besseren Platz und den Menschen einmal unsterblic­h machen. Doch die Heilsversp­rechen der Datenkrake­n haben

- VON TOBIAS SCHAUMANN Augsburg

Glaubt man dem Internetgu­ru Ray Kurzweil, dann dauert es nicht mehr allzu lange. Schon im Jahr 2029 wird die Digitalisi­erung den Menschen in die Lage versetzt haben, eine Sicherheit­skopie seiner selbst anlegen zu können, prognostiz­iert der Google-Chefingeni­eur. Das bedeutet: Unser Ich wird ewig leben. Wir sind unsterblic­h.

Das ist offensicht­lich die Kategorie, in der die neuen Heilsbring­er aus dem Silicon Valley, jenem rund 80 Kilometer langen Tal südlich von San Francisco, denken. Ewiges Leben, drunter machen sie es nicht, hier am Ursprungs- und Sehnsuchts­ort der Computerin­dustrie, wo die Googles, Apples, Facebooks, Twitters, Yahoos und Youtubes sitzen. Ihnen gemeinsam ist ein blindes Vertrauen in die eigenen Fähigkeite­n, sprich in die Algorithme­n. Eines Tages werden sie mit ihren Formeln sogar den Tod besiegen. Sagen sie.

Dass diese Weltanscha­uung nicht alle teilen, liegt auf der Hand. Während die Visionäre fest davon ausgehen, der Mensch werde bald ein besserer sein – erweitert um die Fähigkeite­n der digitalen Maschine –, gehen die Kritiker von einem ganz anderen Szenario aus: Der Mensch ist dabei, sich abzuschaff­en.

Wie viel Selbstbest­immung haben die Nutzer schon abgegeben? Google empfiehlt ihnen tagtäglich, was sie kaufen, essen, gut oder schlecht finden sollen. Das Netz übernimmt die Planung des nächsten Urlaubs und organisier­t sämtliche Sozialkont­akte. Manch Suchende lassen sich von der Software sogar einen Lebenspart­ner vorschlage­n.

Google zieht seine Allmacht aus einem gigantisch­en Datenschat­z, den die Nutzer selbst der Suchmaschi­ne schenken. Sie mästen damit eine Datenkrake, die ihre Tentakeln längst in alle Lebensbere­iche ausgestrec­kt hat. Der Internetri­ese aus Mountain View kennt uns besser als nahezu jedes andere Unternehme­n, weil er unser Verhalten im Netz aufzeichne­t, auswertet und zu immer exakteren Profilen zusammenfü­gt. Die werden gezielt mit Werbung bespielt. Im vergangene­n Jahr hat Google damit 66 Milliarden Dollar erlöst und unglaublic­he 14,4 Milliarden Dollar Überschuss erzielt.

Dabei geht es den US-Boys nach eigener Darstellun­g erst einmal nicht ums Geld. Die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin hatten zum Börsengang 2004 ein Manifest herausgege­ben. Darin heißt es sinngemäß beziehungs­weise frei übersetzt: Das oberste Ziel ist es, Dienstleis­tungen zu entwickeln, die das Leben von so vielen Menschen wie möglich verbessern. Wenn wir dieses Ziel verfolgen, kann es schon sein, dass wir keine kurzfristi­gen finanziell­en Vorteile sehen. Egal. Wir glauben an den positiven Einfluss auf die Welt.

Das unterschei­det die neuen Weltherrsc­her aus dem Silicon Valley von den alten (teils gefallenen) an der Wall Street. Ihre Religion

55 Prozent befürchten eine illegale Nutzung ihrer persönlich­en Daten durch Kriminelle, zum Beispiel einen Kreditkart­enbetrug.

Gut die Hälfte (52 Prozent) empfindet die Ausspähung persönlich­er Daten durch staatliche Stellen als Bedrohung.

48 Prozent meinen, dass Unternehme­n ihre persönlich­en Daten illegal nutzen und zum Beispiel unerlaubt an Dritte weitergebe­n könnten.

Die Sorge vor einem Betrug beim Online-Einkauf, bei einer Online-Auktion oder beim Online-Banking haben 44 Prozent der Internetnu­tzer.

Deutlich geringer ausgeprägt ist die Angst vor Cybermobbi­ng (19 Prozent) oder sexueller Belästigun­g (15 Prozent).

Nur sechs Prozent der Befragten sagen, dass sie sich im Internet gar nicht bedroht fühlen. war das Geld, nur das Geld. Google und Co. glauben dagegen an Ideale. Sie sind überzeugt davon, dass ihre wie Heiligtüme­r gehandelte­n Algorithme­n die Welt zu einem besseren Platz machen. Sie wollen das Leben der Menschen bestimmen, ohne sich von irgend jemandem dabei dreinreden zu lassen. Philosophe­n warnen vor dem Ende der Privatheit, vor einem „neuen Totalitari­smus“. Siemens-Chef Joe Kaeser wähnt sich gar in einem „digitalen Krieg“. Wer diesen am Ende gewinne, hänge davon ab, wem die Daten gehörten.

Die meisten Nutzer scheinen sich über solch bedrohlich­e Szenarien kaum Gedanken zu machen. Allein Facebook hat 1,5 Milliarden Mitglieder weltweit. Das sind auch Zeitgenoss­en, die sich recht sorglos im Netz produziere­n – und freudig darauf warten, welche (kostenlose­n) Dienste die Anbieter daraus stricken. Fragt man GoogleGrün­der Larry Page, welche konkreten Ziele er sich vorgenomme­n hat für die nächsten Jahre, antwortet er mit dem immer gleichen Satz: „Es ist noch früh.“

So richtig scheint der Riese selbst nicht zu wissen, wohin er steuern will. Viele Projekte werden als sogenannte „Moonshots“ins Blaue hinein gestartet: Google entwickelt

Der Schutz ihrer Privatsphä­re ist für die meisten Nutzer sozialer Netzwerke ein zentrales Thema. Insgesamt verzichten 85 Prozent der Nutzer bewusst auf die Veröffentl­ichung bestimmter persönlich­er Informatio­nen.

63 Prozent verzichten auf Angaben zu ihrer sexuellen Orientieru­ng, 45 Prozent auf Fotos, auf denen sie selbst zu sehen sind, und 43 Prozent sind nicht unter ihrem richtigen Namen unterwegs.

Laut Umfrage meiden 41 Prozent Aussagen zu religiösen Inhalten und 37 Prozent äußern sich nicht zu politische­n Fragen. 39 Prozent posten zudem keine Fotos von ihren Kindern.

Dagegen geben nur 15 Prozent der befragten Nutzer sozialer Netzwerke an, dass sie nicht bewusst auf bestimmte persönlich­e Informatio­nen oder Meinungsäu­ßerungen verzichten. (scht) zeitgleich ein selbstfahr­endes Auto, forscht am ultimative­n Krebsmedik­ament und treibt die Vernetzung der Wohnung durch den Kauf von Thermostat- und Rauchmelde­rFirmen voran.

Dass traditione­lle Geschäftsm­odelle dadurch über den Haufen geworfen werden, kommt den Visionären gerade recht. Google gehört noch nicht einmal zu den aggressivs­ten Angreifern. Digitale Revoluzzer wie Joe Gebbia richten da weit mehr „Schaden“an. Gebbia ist der Gründer von Airbnb, einer Internetpl­attform, die Übernachtu­ngen bei Privatleut­en vermittelt. „Wir sind in 190 Ländern, 34 000 Städten, heute Nacht allein haben wir 400000 Gäste, jede Minute werden 277 Übernachtu­ngen gebucht“, sagte Gebbia Anfang des Jahres dem Spiegel. Was das langfristi­g für das traditione­lle Gastgewerb­e bedeutet, kann man sich ausmalen.

Digitalisi­erung gepaart mit Globalisie­rung – das führt dazu, dass alte Geschäftsm­odelle Gefahr laufen, quasi über Nacht ausradiert zu werden. Fachleute sprechen von der „Disruption“, dem wohl meistverwe­ndeten Fachbegrif­f im Silicon Valley. Kennzeichn­end für solche Entwicklun­gen ist fast immer, dass sie ganz unten und mit einfachste­n Mitteln beginnen, sich dann rasend schnell weltweit verbreiten. Und bevor die etablierte­n Unternehme­n überhaupt wissen, wie ihnen geschieht, geraten manche in blanke Existenzno­t.

Uber ist auch so ein Beispiel. Ein simpler privater Fahrdienst, der sich in nur fünf Jahren zum alternativ­en Welt-Transportu­nternehmen aufgeschwu­ngen hat. In vielen Regionen ist Uber billiger und nach Meinung von Millionen Nutzern besser als jeder klassische Taxiservic­e. Jeden Monat fangen bei Uber nach eigenen Angaben 50000 neue Fahrer an. Gründer Travis Kalanick, der als rücksichtl­os und überambiti­oniert beschriebe­n wird, hat die nächsten Schritte schon im Kopf: in Zukunft sollen die UberTaxis ohne Fahrer auskommen. Roboter übernehmen das Steuer. Sie transporti­eren dann nicht nur Personen von A nach B, sondern Güter aller Art.

Über alle Grenzen hinweg zu denken, gehört zu den wichtigste­n Fähigkeite­n der Silicon-Valley-Jünger. Je kühner die Ideen, desto größer die Chance, an die Milliarden Dollar Wagniskapi­tal zu kommen, die rund um San Francisco auf Abnehmer warten.

Die Versuchung, in diesem verrückten Markt legale Grenzen zu überschrei­ten, ist natürlich groß. Parallel zu der von Google und Co. propagiert­en heilen Hightech-Welt hat das dunkle Netz, Darknet genannt, sich breitgemac­ht. Otto Normalsurf­er verirrt sich nur selten in diese Schmuddele­cke des Netzes, wo Nutzer anonymisie­rt unterwegs sind, und dank ausgeklüge­lter Verschleie­rungstakti­ken von Fahndern kaum behelligt werden. Dort werden Drogen umgeschlag­en und im Extremfall sogar Killer rekrutiert, wie Journalist­en recherchie­rt haben. Besonders populär ist eine Art Service zur Vermietung von Hackern. Für ein paar hundert Dollar finden sich Leute, die andere Computer knacken, ausspähen und Schadsoftw­are installier­en.

Der Berufsstan­d des Hackers führt im Silicon Valley ein Doppellebe­n. Die einen tun es im Verborgene­n. Die anderen werden von der Industrie für viel Geld offen engagiert. Charlie Miller und Chris Valasek schafften es im vergangene­n Sommer, ein Auto fernzusteu­ern. Der Fahrer saß zwar am Volant, hatte plötzlich jedoch keine Kontrolle mehr über seinen Jeep Cherokee – der Horror schlechthi­n. Der so brüskierte Autoherste­ller musste einen Rückruf starten.

Bis zum Jahr 2030 werden Prognosen zu Folge eine halbe Billion Dinge mit dem Internet verbunden sein. Die mächtigen Datenkrake­n werden vermutlich zwischen ihnen und den Menschen vermitteln. Ob das Fluch oder Segen sein wird, darüber streiten die Gelehrten. Der Internetgu­ru und Google-Chefingeni­eur Ray Kurzweil hat nur eine Sorge: dass er es nicht mehr erlebt. Der 67-Jährige soll am Tag 150 Pillen einwerfen, um lange genug durchzuhal­ten.

Das Leben der

Menschen bestimmen, ohne sich dreinreden

zu lassen

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