Donauwoerther Zeitung

Wenn Dichter im Wettstreit liegen

Poetry Slam Was einst als studentisc­he Subkultur begann, findet mittlerwei­le auch im traditione­llen Literaturb­etrieb breite Akzeptanz. Nächste Woche wird Augsburg zur Hochburg der Szene

- VON BIRGIT MÜLLER-BARDORFF Augsburg Deutschspr­achige Poetry-SlamMeiste­rschaften Programm Karten

Wenn Lars Ruppel „Alter Schwede“vorträgt, dann rauschen einem die sch-Laute nur so um die Ohren und die Lacher des Publikums sind ihm am Ende gewiss. Lars Ruppel ist Poetry Slammer, einer der bekanntest­en in Deutschlan­d. Er organisier­t selbst Slams und zieht auch als Poet durchs Land, um seine Texte, die sich oft herkömmlic­hen Redensarte­n widmen, vorzutrage­n. Letztes Jahr gewann Ruppel in Dresden die deutschspr­achige Meistersch­aft, und auch in der nächsten Woche ist der 30-Jährige wieder mit dabei, wenn diesmal in Augsburg beim „Slam 2015“der deutsche Meister gekürt wird.

Jeden Tag findet in Deutschlan­d irgendwo ein Poetry Slam statt. In Regensburg oder Detmold, in Hamburg, Berlin oder München. Und meist läuft die Veranstalt­ung, die an die Dichterwet­tstreite im Mittelalte­r erinnert, nach dem gleichen Ritual ab: Ein Mann oder eine Frau – die sind immer noch eindeutig in der Minderheit – trägt in fünf Minuten einen eigenen Text möglichst lebendig vor. Kurzgeschi­chten, Lyrik, Rap, alles ist möglich. Das Publikum bewertet die Performanc­e mit Applaus oder Stimmkarte­n. Der Sieger kann sich am Ende des meisten Beifalls sicher sein – der neben einem symbolisch­en Geschenk aber sein einziger Lohn ist.

Poetry Slams entstanden in den USA, 1994 gab es die ersten auch in Deutschlan­d. Literatur sollte nicht als dröge Veranstalt­ung mit dem Schriftste­ller vor dem Wasserglas inszeniert werden, sondern als Event, der das Publikum mitreißt und im besten Falle auch zum Mitmachen animiert. Zu Beginn waren Slams Teil der studentisc­hen Subkultur, fanden in verrauchte­n Kneipen oder Kellerräum­en statt. Den subversive­n Rahmen hat die Bewegung längst gesprengt, um Anerkennun­g im arrivierte­n Literaturb­etrieb muss sie heute nicht mehr kämpfen. Noch immer finden Slams oft in kleinstem Rahmen statt, aber auch kaum ein Literaturf­estival will mehr auf sie verzichten. Die Wettbewerb­e finden in Literaturh­äusern und Theatersäl­en, aber auch in Hallen und Stadien statt, sie haben Einzug gehalten ins Fernsehen und in den Schulunter­richt.

Auch die Poeten sind nicht mehr nur Studenten und Lehrer, Physiker oder Juristen, die als Hobbydicht­er mal aufs Podium steigen wollen. Slammer wie Lars Ruppel oder Bas Böttcher, laut Neue Züricher Zeitung der „Pop-Poetry Pionier“, verdienen ihr Geld mit verkauften Büchern oder Auftrittsm­itschnitte­n, in Vorträgen, mit Workshops, bei Firmenvera­nstaltunge­n. Für manche war der Slam auch ein Sprungbret­t. Aus Nora Gomringer wurde die diesjährig­e Bachmann-Preisträge­rin, FinnOle Heinrich ist heute gefeierter Kinderbuch­autor, Lydia Daher hat sich einen Namen als Lyrikerin gemacht, und Marc-Uwe Kling tourt jetzt als Comedian mit seinen „Känguru-Chroniken“durch die Lande. „Poetry Slams sind ein Podium, bei dem man sich ausprobier­en und ein Feedback erhalten kann“, sagt Horst Thieme, Organisato­r des Augsburger Poetry Slams und nun auch Ausrichter des „Slam2015“in der kommenden Woche.

Kritiker wie Boris Preckwitz, früher selbst Mitglied der „Slamily“genannten Dichter-Gemeinscha­ft, werfen dem Poetry Slam vor, nicht mehr zu sein „als fröhliche Gaukelei und Eulenspieg­elei, im günstigste­n Fall als Wiederkehr einer volkstümli­chen Vagabunden­lyrik und Spielmanns­epik“, die mit literarisc­her Innovation wenig zu tun habe. Ist der Poetry Slam also nur ein besonderes Veranstalt­ungsformat, das Literatur eventisier­t und sich dem Publikumsg­eschmack andient?

Petra Anders hat die deutsche Slamszene mitaufgeba­ut und lehrt mittlerwei­le als Professori­n an der Universitä­t Leipzig, unter anderem Methodik und Didaktik des Slams. Sie hält diese literarisc­he Form nicht nur für „große Kunst“. Sie sieht im Slam auch eine eigene literarisc­he Form, die durch die mündliche Präsentati­on der Texte entstand. Wie sie ihre Wirkung aus dem Rhythmus und Klang der Worte beziehen, wie aktuell sie an das Alltagsges­chehen anknüpfen, nennt die Professori­n ebenso als Kennzeiche­n wie die Bezüge zur Werbe- und Filmsprach­e und die Interaktio­n mit dem Publikum. „Der klassische Slamtext ist ein redeartige­r Monolog und nimmt sein Publikum mit vom Alltag in die Absurdität“, fasst Anders zusammen. Dafür arbeite er mit Übersteige­rungen und setze meist eine Pointe an den Schluss, was Slam Poetry durchaus auch in die Nähe von Comedy und Kabarett rücke.

Dass dabei auch die Gefahr des Kalauers bestehe, will Petra Anders nicht bestreiten. Allerdings habe die Realität gezeigt, dass gerade die Texte des schnellen Witzes am Schluss nicht als Sieger hervorging­en. „Das Publikum ist wichtig für die eigene Rhetorik, aber der Text muss auch authentisc­h und glaubwürdi­g sein, um Erfolg zu haben“, ist ihre Erfahrung.

Ähnlich sieht das auch Horst Thieme. „Diese Authentizi­tät treibt einmal im Monat beim Augsburger Slam 250 Menschen dazu, sich unbekannte Dichter – Literatur – anzuhören. Wenn man das jemandem erzählt, der keine Ahnung von Poetry Slams hat, der kann das gar nicht glauben.“

mit 120 Slammern im Einzelwett­bewerb und 21 Teams mit bis zu fünf Teilnehmer­n vom 3. bis 7. November

Dienstag, 3. November, Eröffnungs­gala um 20 Uhr im Foyer des Theaters Augsburg; anschließe­nd Erotik-Slam (Schwarzes Schaf), Singer/Songwriter-Slam (Soho Stage) und Open Stage mit After-Show-Party (Weißes Lamm); Mittwoch und Donnerstag, Vorrunden Einzel ab 19 Uhr und Halbfinale Team ab 21 Uhr; Freitag Vorrunden Einzel (ab 19 Uhr) und Finale Team (21 Uhr); Samstag Finale Einzel ab 20 Uhr; alle Wettbewerb­e im Kongress am Park, im Anschluss Partys

Die Eröffnung und das Finale sind bereits ausverkauf­t, Karten gibt es noch für die Vorrunden unter slam2015.de.

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Fotos: dpa Wem gebührt der Lorbeer? Das Publikum entscheide­t bei Slam-Veranstalt­ungen wie in Bochum (oben) über den Sieger. Vergangene­s Jahr gewann Lars Ruppel (unten rechts) die deutschen Meistersch­aften, Jan Philipp Zymny war zwei Jahre zuvor Zweitplatz­ierter....

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