Immer mehr Lücken auf dem Friedhof
Allerheiligen Die Grabreihen auf Friedhöfen lichten sich zusehends. Immer mehr Menschen lassen sich in Urnen bestatten – auch im Hinblick auf fehlende Angehörige, die die Gräber später pflegen sollen
Wenige Tage vor Allerheiligen wirkt der Friedhof in Donauwörth fast lebendig. Zahlreiche Menschen richten die Gräber ihrer gestorbenen Angehörigen. Frische Blumengestecke, Keramikfiguren und -schalen sowie Kerzen zieren die Gräber. In den Reihen tun sich Lücken auf. In ihnen sind aber noch kleine Bäume angepflanzt. Oder die leeren Stellen sind mit Kies aufgeschüttet. Ein Bild, das Markus Seißler seit Jahren zunehmend beobachtet.
Er arbeitet bei der Friedhofsverwaltung in Donauwörth. „Jedes Jahr kommen mehr Erdgräber weg als neue verkauft werden“, stellt er fest. Auf dem Friedhof in Donauwörth seien derzeit 2500 Erdgräber untergebracht, davon fielen jedes Jahr 30 bis 40 weg. Der Trend gehe Richtung Urnengräber. 600 bis 700 gebe es bereits auf dem Friedhof. Tendenz steigend: 20 bis 30 Urnen kämen pro Jahr hinzu. Vor zehn Jahren habe das noch ganz anders ausgesehen, berichtet Seißler. Zwei Drittel aller Gräber seien Erdgräber gewesen, nur ein Drittel Urnen. „Heute ist das beinahe umgekehrt“, sagt Seißler.
Den Trend spürt auch Dorothea Uhl in ihrem Bestattungsdienst in Bäumenheim. Nicht ganz die Hälfte aller Bestattungen, die ihr Unternehmen momentan vornimmt, sind Feuerbestattungen. Hauptgrund ist die Grabpflege. „Oftmals wohnen die Kinder der Verstorbenen weiter weg. Wer soll sich dann um das Grab kümmern?“, fragt Uhl.
Markus Seißler bekommt dieses Argument ebenfalls oft zu hören: „Die junge Generation findet man nicht mehr auf dem Friedhof. Sie hat andere Interessen als Gräber zu pflegen.“Uhl erzählt, dass sich ein Großteil der Leute in der Region schon zu Lebzeiten für eine Feuerbestattung entscheide – im Hinblick auf die fehlenden Angehörigen, die die Grabpflege einmal übernehmen sollen.
Ein Grund, mit dem sich Barbara Rößner, Angestellte bei Steinmetz Reiner in Buchdorf, die steigende Nachfrage nach pflegeleichten kleinen Urnenplatten erklären könnte. 40 mal 40 Zentimeter seien diese groß, versehen mit dem Namen des Gestorbenen.
Außerdem werden immer mal wieder Grabplatten verkauft, die die Gräber entweder halb oder vollständig abdecken. Angehörigen wird so die Pflege erleichtert oder gar abgenommen.
Ein Grund, warum sich immer mehr Menschen in Urnen bestatten lassen, sind auch die Kosten. Bei der Beerdigung hielten sich diese für Urnen und Gräber zwar die Waage, schätzt Dorothea Uhl vom Bestattungsdienst. Doch alles, was danach anfalle, zum Beispiel die Pflege, sei bei Gräbern teurer. Auch dass die Menschen immer umweltbewusster denken, spiele eine Rolle. Bei einer Feuerbestattung bleibe ja nur die Asche übrig. „Der Trend geht zu biologisch abbaubaren Urnen“, sagt Uhl. Diese werden unter der Erde beigesetzt und zersetzen sich im Laufe der Jahre.
Um der Entwicklung gerecht zu werden, bietet die Stadt Wemding auf ihrem Friedhof gleich vier Möglichkeiten den verbrannten Leichnam zu bestatten: in Erstgräbern unter der Erde, in einer Urnenwand, in Feldgräbern oder in Urnenstelen. Eine Urnenwand gebe es schon seit einigen Jahren, berichtet Luisa Lechner, die in Wemding für das Friedhofswesen zuständig ist. 36 Urnen seien derzeit dort untergebracht. Vor wenigen Jahren kamen Feldgräber hinzu.
Diese seien mit einem Grabstein und einer Umfassung versehen – wie ein normales Grab, nur eben viel kleiner, erklärt sie. Von 27 Feldgräbern seien 23 belegt, zehn weitere in Planung. Nahezu gleichzeitig seien 20 Urnenstelen entstanden, wovon derzeit fünf belegt seien, erzählt Luisa Lechner.
Ein ganz anderes Bild zeichnet sich in Daiting ab: Bisher sind dort lediglich sechs Urnen in bereits bestehenden Erdgräbern bestattet – die erste 1993, die zweite 2007, die restlichen in den vergangenen Jahren. Die Gemeinde müsse nun aber mit der Zeit gehen. Die Generation 50 plus bevorzuge Feuerbestattungen, so Bürgermeister Roland Wildfeuer. Daher sollen spätestens im Frühjahr zehn Urnengräber auf dem Friedhof entstehen. Das hat der Gemeinderat vergangenes Jahr so beschlossen. Konkrete Anfragen nach Urnengräbern lägen aktuell noch nicht vor. Alteingesessene Daitinger haben bereits Erdgräber auf dem Friedhof, in denen schon Urnen liegen.
Bei den Urnengräbern geht es Wildfeuer um neu zugezogene Familien, denen die Gemeinde diese Bestattungsart anbieten wolle. Gegen eine Urnenwand hätten sich die Gemeinderäte ganz bewusst entschieden, sagt der Bürgermeister. Die wenigsten entsorgten die vor der Wand niedergelegten Gestecke wieder, glaubt Wildfeuer. Bei einem Urnengrab hätten Angehörige die Möglichkeit, ihre Schalen und Grablichter an einem eigenen Ort abzulegen.
Denkt der katholische Stadtpfarrer Robert Neuner an seine eigene Beerdigung, dann bevorzugt er eine Bestattung im Erdgrab. Er sei einfach in der christlichen Tradition verwurzelt. Neuner glaubt, dass die Bestattung für viele heute eine prakan, tische Überlegung sei, auch im Hinblick auf die Grabpflege. Er ist der Meinung, dass „wir in einer beweglichen Gesellschaft leben. Es gibt immer weniger Familien, die über Jahrzehnte an einem Ort leben.“
Er als Pfarrer möchte nicht über die Art urteilen, wie ein Mensch beerdigt wird, sagt Neuner. Er respektiere die Entscheidung des Verstorbenen und der Angehörigen. Die Beerdigungen gestalte er alle würdig, die Bestattungsart dürfe kein Kriterium für die feierliche Zeremonie sein.
Wobei er es schöner findet, eine Urne in der Erde zu bestatten. Dass der Friedhof wegen der zahlreichen Urnenbestattungen immer lückenhafter wird, beobachtet der Seelsorger sehr wohl. „Der Friedhof wird sich verändern“, ist sich der Pfarrer sicher.
Markus Seißler von der Friedhofsverwaltung in Donauwörth könnte sich vorstellen, dass auf lange Sicht nur noch der untere Teil des Friedhofs in Donauwörth mit Gräbern belegt sein wird. Den alten Teil könnte er sich als Parkanlage vorstellen, aber erst, wenn alle Gräber aufgelöst sind, vielleicht in 20 oder 30 Jahren.
In Daiting sollen bald zehn Urnengräber entstehen