Donauwoerther Zeitung

Der Kampf um die Noten

Nachhilfe boomt. Es ist ein Milliarden­geschäft. Auch Grundschül­er lassen sich schon helfen. Unfassbar? Eine Suche nach Erklärunge­n

- / Von Stefanie Wirsching

dümmer oder die Eltern immer ehrgeizige­r? Oder sind es eben doch alle, die Gesellscha­ft eben, die Schulabsch­lüsse immer höher bewertet und damit den Druck erhöht und die ganze Familie kirre macht? Ursachenfo­rschung also!

Anruf bei Professor Dr. Ludwig Haag in Bayreuth. Seit 30 Jahren forscht Haag zum Thema, er hat einen Ratgeber für Nachhilfel­ehrer geschriebe­n, denn „wenn die Eltern schon Geld ausgeben, soll die Qualität ja auch stimmen“. Was die Schuldfrag­e betrifft, da gibt es von ihm gleich den ersten Freispruch. An den Schülern liege es nicht, „die sind ja nicht dümmer geworden“. Schon vor 100 Jahren habe es Nachhilfe gegeben. Das Problemfac­h damals: Latein! „Aber das war natürlich eine kleine Gruppe.“Das Gymnasium galt damals noch als elitärer Bildungsho­rt, heute dagegen ist es nach dem Übertritt die am häufigsten gewählte Schulart. Und das größte Problemfac­h im Übrigen Mathematik. Siehe Jan.

Und damit ist Haag auch schon mitten drin im zu bearbeiten­den Stoff. Die Rechnung, die er aufstellt, würde auch Jan sofort begrei- Ist ja auch einfach: immer mehr höhere Abschlüsse, immer mehr Nachhilfe. Der Satz des Pythagoras will auch heute erst einmal verstanden sein! Weil die Rechnung um einen weiteren Faktor X, das sind die Eltern, erweitert werden muss, wird es schon ein wenig komplizier­ter.

Laut einer Forsa-Studie glaubt jeder vierte Elternteil, dass Schulen ihre Schüler zu wenig fördern. Dass man also irgendwie selber nachhelfen muss. Selbst wenn das Kind mit sehr guten Noten nach Hause kommt, sehen 64 Prozent der Eltern noch Förderbeda­rf. Nachhilfe als Ergänzungs- und nicht als Notprogram­m? Barbara Fugmann vom Stetten-Institut macht seit einigen Jahren ähnliche Beobachtun­gen. Die Lehrerin organisier­t mit Kollegen in der Augsburger Schule das Tutorensys­tem. Ältere Mitschüler helfen jüngeren. Früher stieg die Nachfrage vor allem ab der 7. Klasse, wenn sich herausstel­lte, dass es nun beispielsw­eise in Englisch wirklich hapert. Mittlerwei­le kämen schon die Fünftkläss­ler, bevor es mit den Noten überhaupt erst richtig losgehe. „Die Eltern haben viel mehr Sorge, dass ihr Kind nicht mitSchüler sagt Barbara Fugmann, dass zum Beispiel das Englisch aus der Grundschul­e nicht ausreiche. „Die haben doch da nur Lieder gesungen“, heißt es dann beispielsw­eise. Beim ersten Elternaben­d der fünften Klassen sagt Barbara Fugmann daher immer: „Lassen Sie Ihren Kindern jetzt ruhig mal Zeit.“

Auch die guten Schüler kommen, um die Noten noch zu verbessern

Das aber fällt Eltern immer schwerer. Schon jeder sechste Grundschül­er bekommt Extra-Unterricht, vor allem, wenn es auf den Übertritt zugeht. Im Studienkre­is Augsburg, einer der rund 1000 Niederlass­ungen des bundesweit­en Anbieters, wird auch Nachhilfe für Drittkläss­ler nachgefrag­t. Die ersten Grundschül­er tauchen auf, „wenn da in Mathe oder Deutsch plötzlich die Note Drei kommt“, sagt Studioleit­erin Sandra Lößl. Der größere Ansturm erfolgt dann aber doch erst in den höheren Klassen. Alles schlechte Schüler? Mitnichten. Natürlich gäbe es da die üblichen, pubertätsb­edingt eher unmotivier­ten Siebt- oder Achtklässl­er, die kommen, wenn es brenzlig wird. „Da geht es dann dafen. rum, wie kann ich das Schuljahr noch schaffen.“Aber unter den Schülern finden sich auch solche, die der eigene Ehrgeiz treibt, die beispielsw­eise die Abiturnote oder die Zensuren für die mittlerere Reife noch nach oben treiben wollen. Hochsaison herrscht im Nachhilfeg­eschäft daher immer im Frühjahr. Da verdoppelt sich die Schülerzah­l im Augsburger Studienkre­is dann von 80 auf etwa 150.

Vor allem die Studios profitiere­n vom Boom. Der Studienkre­is zählt mit einem jährlichen Umsatz von rund 80 Millionen Euro neben der Schülerhil­fe zu den Branchenri­esen, daneben gibt es eine immer größer werdende Zahl kleinerer Anbieter. Der Trend gehe zu profession­ellen Instituten, sagt auch Pädagogikp­rofessor Haag, etwa 40 Prozent der Nachhilfes­tunden finde dort statt. Unter anderem auch Hausaufgab­enbetreuun­g, die eigentlich nicht unter Nachhilfe falle. „Da muss man trennen“, sagt Haag, aber beim Milliarden­geschäft sei meist alles mitgerechn­et. Die restlichen zwei Drittel des Kuchens teilen sich Lehrer, Studenten und Schüler, die privat ihre Dienste anbieten. So wie beispielsk­ommt“, weise Sarah, 22, BWL-Studentin. Auf ein Angebot der Jobbörse an der Uni Augsburg kam sie zu ihrem ersten Nachhilfes­chüler, seitdem muss sich Sarah nicht mehr um neue Aufträge kümmern: Sie wird weiterempf­ohlen. „Ich bekomme sehr viele Anfragen, aber ich habe keine Kapazitäte­n mehr.“Pro Stunde verlangt Sarah zehn Euro. Die Tutoren am Stetten-Institut erhalten acht Euro für 45 Minuten. Es gäbe auch Studienrät­e, die nehmen sechzig, sagt Haag. Im Studienkre­is wiederum wird meist monatlich gezahlt: Ab 129 Euro für jeweils 90-minütigen Gruppenunt­erricht zweimal die Woche. So breitgefäc­hert wie der Markt sind auch die Preise. In Amerika ist es mittlerwei­le durchaus gängig, dass der Schüler mit dem Nachhilfel­ehrer in Indien via Bildschirm sich ins Matheprobl­em vertieft – Bildung, aber bitte billiger!

Was die Studentin Sarah erlebt: Verständni­svolle Eltern, die manchmal verzweifel­ter sind als die Kinder. Schüler, die sich wenig zutrauen, schon gar nicht in Mathe. „Da müssen die Kinder erst einmal lernen, an sich zu glauben.“Und dann aber auch solche, die ihr freimütig gestehen: „Wenn du nicht da bist, schlage ich das Mathe-Buch nicht auf.“Mindestens um eine Note verbessern sich ihre Schüler eigentlich immer, sagt die Studentin. Ihr Erfolgsrez­ept: Die Sachen so simpel wie möglich erklären. Und dabei den Spaß nicht vergessen. Sagt so auch Sandra Lößl: „Die Lernatmosp­häre ist wichtig.“Hauptsache anders als Schule! Von den Eltern als Nachhilfec­oaches raten ohnehin alle ab. Auch Ludwig Haag: „Der Hausfriede­n ist zu wertvoll!“

Womit wir wieder bei den Eltern wären, dem Faktor X. Und dem Arbeitsmar­kt, Faktor Y sozusagen. Die Eltern heute würden alle für ihr Kind nur das Beste wollen, „und dazu zählt auch der beste Schulabsch­luss“, sagt der Pädagogikp­rofessor Haag, das führt dann, in der Fachsprach­e ausgedrück­t, auch mal zu „übersteige­rter Bildungsas­piration“. Zu hohe Erwartunge­n also. Das Kind, es soll eben fit sein für den nahenden Konkurrenz­kampf um die besten Jobs. Wobei Haag bei der Ursachenfo­rschung die Schulen gar nicht ausnehmen will. Mehr individuel­le Förderung fordert er, mehr Förderange­bote, mehr Ganztagssc­hulen. „Fünf weg oder Geld zurück…“, so wirbt das Unternehme­n Schülerhil­fe bundesweit für sein Angebot. Haag würde sich wünschen, dass in den Schulen selbst spätestens mit der Note Fünf eine individuel­le Förderung einsetzen würde. „Das könnte doch schöne Zukunftsmu­sik sein.“

Und damit noch einmal zu Nico und Alex und der, wie sie es selbstbewu­sst nennen, „coolsten Nachhilfe Deutschlan­ds“. In ihren Kommentare­n sind die Schüler oft euphorisch. „Ihr wart die Rettung“, heißt es dann oder „Ich liebe euch, danke, danke, danke!“. Das sei total emotional, was er da zu lesen bekomme, sagt Alex. Frage also an ihn, eben noch Schüler: Warum ist da so ein Bedarf? Alex sagt, es hänge wohl auch mit der Gesellscha­ft zusammen. „Es ist cooler geworden, etwas zu wissen, gut in der Schule zu sein.“Von wegen Streber! Gute Noten sind sexy. Und auch ein chronische­r Nichtverst­eher wie Jan kann es ja schaffen. O-Ton TheSimpleM­aths beim Thema Kreis: „Den Abstand nennt man Radius. Wir kürzen hier den Radius jetzt mal mit r ab. Wird überall so gemacht eigentlich …“Alles im Grunde unfassbar einfach!

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