Donauwoerther Zeitung

Die Geister, die Erdogan rief

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Das neue Jahr hat in Istanbul mit Hass begonnen – und es gibt wenig Hoffnung, dass der Hass die Türkei in Zukunft verschonen wird. Das Land ist zur Geisel von Extremiste­n geworden, für die jeder Andersdenk­ende den Tod verdient. Präsident Erdogan muss sich vorwerfen lassen, zumindest zum Teil für die Entwicklun­g verantwort­lich zu sein. Mit drei fatalen Richtungse­ntscheidun­gen hat er radikale Kräfte ermuntert.

Erstens hat Erdogan den Friedenspr­ozess mit den Kurden, den er selbst begonnen hatte, 2015 aufgekündi­gt. Seitdem tobt der Krieg zwischen der kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK und dem türkischen Staat wieder mit voller Härte. Tausende Menschen starben, zerbombte Städte wurden zu neuen Brutstätte­n des Hasses.

Erdogans zweiter, noch folgenreic­herer Fehler hängt mit dem Syrien-Konflikt zusammen. Zumindest in den ersten Jahren des Krieges im Nachbarlan­d glaubte seine Regierung, radikalisl­amische Milizen dort als Instrument­e im Kampf gegen den verhassten syrischen Staatschef Assad lenken zu können. Das hat sich als Fehlschlus­s erwiesen, für den die Türkei nun teuer bezahlt. Der erstarkte Islamische Staat schickt Selbstmord­attentäter nach Istanbul und Ankara. Drittens hat Erdogan es zugelassen, dass in der Türkei eine muslimisch­e Intoleranz um sich gegriffen hat, durch die sich Extremiste­n bestärkt fühlen. Erdogan hat den Muslimen ein neues Selbstvert­rauen geschenkt. Doch er hat nicht verhindern können oder wollen, dass dieses Selbstvert­rauen in Feindselig­keit gegen Andersdenk­ende umgeschlag­en ist.

Der Präsident hätte es in der Hand, dies zu ändern. Er könnte die Friedensve­rhandlunge­n mit den Kurden neu beginnen lassen. Und er könnte durch Gesten der Toleranz seinen Anhängern eine neue Richtung vorgeben und für Verständig­ung werben. Leider ist das nicht zu erwarten.

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