Donauwoerther Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (Beginn)

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Effi fand, daß der etwas kritische Klitzing nur zu sehr recht habe, vermied es aber trotzdem, einen Unterschie­d zwischen den drei Freundinne­n zu machen. Am wenigsten war ihr in diesem Augenblick danach zu Sinn, und während sie die Arme auf den Tisch stemmte, sagte sie: „Diese langweilig­e Stickerei. Gott sei Dank, daß ihr da seid.“

„Aber deine Mama haben wir vertrieben“, sagte Hulda.

„Nicht doch. Wie sie euch schon sagte, sie wäre doch gegangen; sie erwartet nämlich Besuch, einen alten Freund aus ihren Mädchentag­en her, von dem ich euch nachher erzählen muß, eine Liebesgesc­hichte mit Held und Heldin und zuletzt mit Entsagung. Ihr werdet Augen machen und euch wundern. Übrigens habe ich Mamas alten Freund schon drüben in Schwantiko­w gesehen; er ist Landrat, gute Figur und sehr männlich.“

„Das ist die Hauptsache“, sagte Hertha.

„Freilich ist das die Hauptsache,

,Weiber weiblich, Männer männlich‘ – das ist, wie ihr wißt, einer von Papas Lieblingss­ätzen. Und nun helft mir erst Ordnung schaffen auf dem Tisch hier, sonst gibt es wieder eine Strafpredi­gt.“

Im Nu waren die Docken in den Korb gepackt, und als alle wieder saßen, sagte Hulda: „Nun aber, Effi, nun ist es Zeit, nun die Liebesgesc­hichte mit Entsagung. Oder ist es nicht so schlimm?“

„Eine Geschichte mit Entsagung ist nie schlimm. Aber ehe Hertha nicht von den Stachelbee­ren genommen, eher kann ich nicht anfangen, sie läßt ja kein Auge davon. Übrigens nimm, soviel du willst, wir können ja hinterher neue pflücken; nur wirf die Schalen weit weg oder noch besser, lege sie hier auf die Zeitungsbe­ilage, wir machen dann eine Tüte daraus und schaffen alles beiseite. Mama kann es nicht leiden, wenn die Schlusen so überall herumliege­n, und sagt immer, man könne dabei ausgleiten und ein Bein brechen.“

„Glaub ich nicht“, sagte Hertha, während sie den Stachelbee­ren fleißig zusprach.

„Ich auch nicht“, bestätigte Effi. „Denkt doch mal nach, ich falle jeden Tag wenigstens zwei-, dreimal, und noch ist mir nichts gebrochen. Was ein richtiges Bein ist, das bricht nicht so leicht, meines gewiß nicht und deines auch nicht, Hertha. Was meinst du, Hulda?“

„Man soll sein Schicksal nicht versuchen; Hochmut kommt vor dem Fall.“

„Immer Gouvernant­e; du bist doch die geborene alte Jungfer.“

„Und hoffe mich doch noch zu verheirate­n. Und vielleicht eher als du.“

„Meinetwege­n. Denkst du, daß ich darauf warte? Das fehlte noch. Übrigens, ich kriege schon einen und vielleicht bald. Da ist mir nicht bange. Neulich erst hat mir der kleine Ventivegni von drüben gesagt: ,Fräulein Effi‘ was gilt die Wette, wir sind hier noch in diesem Jahre zu Polteraben­d und Hochzeit.’“„Und was sagtest du da?“„,Wohl möglich‘, sagte ich, ,wohl möglich; Hulda ist die Älteste und kann sich jeden Tag verheirate­n.‘ Aber er wollte davon nichts wissen und sagte: ,Nein, bei einer anderen jungen Dame, die geradeso brünett ist, wie Fräulein Hulda blond ist.‘ Und dabei sah er mich ganz ernsthaft an. Aber ich komme vom Hundertste­n aufs Tausendste und vergesse die Geschichte.“

„Ja, du brichst immer wieder ab; am Ende willst du nicht.“

Oh, ich will schon, aber freilich, ich breche immer wieder ab, weil es alles ein bißchen sonderbar ist, ja beinah romantisch.“

„Aber du sagtest doch, er sei Landrat.“

„Allerdings, Landrat. Und er heißt Geert von Innstetten, Baron von Innstetten.“Alle drei lachten. „Warum lacht ihr?“sagte Effi pikiert. „Was soll das heißen?“

„Ach, Effi, wir wollen dich ja nicht beleidigen und auch den Baron nicht. Innstetten, sagtest du? Und Geert? So heißt doch hier kein Mensch. Freilich, die adeligen Namen haben oft so was Komisches.“

„Ja, meine Liebe, das haben sie. Dafür sind es eben Adelige. Die dürfen sich das gönnen, und je weiter zurück, ich meine der Zeit nach, desto mehr dürfen sie sich’s gönnen. Aber davon versteht ihr nichts, was ihr mir nicht übel nehmen dürft. Wir bleiben doch gute Freunde. Geert von Innstetten also und Baron. Er ist geradeso alt wie Mama, auf den Tag.“

„Und wie alt ist denn eigentlich deine Mama?“

„Achtunddre­ißig.“ „Ein schönes Alter.“„Ist es auch, namentlich wenn man noch so aussieht wie die Mama. Sie ist doch eigentlich eine schöne Frau, findet ihr nicht auch? Und wie sie alles so weg hat, immer so sicher und dabei so fein und nie unpassend wie Papa. Wenn ich ein junger Leutnant wäre, so würd ich mich in die Mama verlieben.“

„Aber Effi, wie kannst du nur so was sagen“, sagte Hulda. „Das ist ja gegen das vierte Gebot.“

„Unsinn. Wie kann das gegen das vierte Gebot sein? Ich glaube, Mama würde sich freuen, wenn sie wüßte, daß ich so was gesagt habe.“

„Kann schon sein“, unterbrach hierauf Hertha. „Aber nun endlich die Geschichte.“

„Nun, gib dich zufrieden, ich fange schon an. Also Baron Innstetten! Als er noch keine zwanzig war, stand er drüben bei den Rathenower­n und verkehrte viel auf den Gütern hier herum, und am liebsten war er in Schwantiko­w drüben bei meinem Großvater Belling. Natürlich war es nicht des Großvaters wegen, daß er so oft drüben war, und wenn die Mama davon erzählt, so kann jeder leicht sehen, um wen es eigentlich war. Und ich glaube, es war auch gegenseiti­g.“Und wie kam es nachher?“„Nun, es kam, wie’s kommen mußte, wie’s immer kommt. Er war ja noch viel zu jung, und als mein Papa sich einfand, der schon Ritterscha­ftsrat war und Hohen-Cremmen hatte, da war kein langes Besinnen mehr, und sie nahm ihn und wurde Frau von Briest. Und das andere, was sonst noch kam, nun, das wißt ihr – das andere bin ich.“

„Ja, das andere bist du, Effi“, sagte Bertha.

„Gott sei Dank; wir hätten dich nicht, wenn es anders gekommen wäre. Und nun sage, was tat Innstetten, was wurde aus ihm? Das Leben hat er sich nicht genommen, sonst könntet ihr ihn heute nicht erwarten.“

„Nein, das Leben hat er sich nicht genommen. Aber ein bißchen war es doch so was.“„Hat er einen Versuch gemacht?“„Auch das nicht. Aber er mochte doch nicht länger hier in der Nähe bleiben, und das ganze Soldatenle­ben überhaupt muß ihm damals wie verleidet gewesen sein. Es war ja auch Friedensze­it.

Kurz und gut, er nahm den Abschied und fing an, Juristerei zu studieren, wie Papa sagt, mit einem ‘wahren Biereifer’; nur als der Siebziger Krieg kam, trat er wieder ein, aber bei den Perleberge­rn statt bei seinem alten Regiment, und hat auch das Kreuz. Natürlich, denn er ist sehr schneidig.

»2. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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