Donauwoerther Zeitung

Ausnahmen für Flüchtling­e

Arbeit Wer zur Anerkennun­g seines ausländisc­hen Berufsabsc­hlusses ein Praktikum macht, für den soll der Mindestloh­n von 8,84 Euro nicht gelten. Weshalb dies politische­n Streit auslöst und wie viele dieser Fälle es überhaupt gibt

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Wer in Deutschlan­d arbeitet, für den gilt seit 2015 der Mindestloh­n. Inzwischen sind es 8,84 Euro pro Stunde. Für Flüchtling­e und andere Einwandere­r sollen aber unter bestimmten Umständen Ausnahmen gemacht werden. So sieht es ein Papier des Bundesarbe­its-, Bildungsun­d Finanzmini­steriums vor, das auch unserer Zeitung vorliegt. Betroffen sind Zuwanderer, die in Deutschlan­d ihre ausländisc­he Berufsqual­ifikation anerkennen lassen wollen. Müssen sie dafür in einer Nachqualif­izierung ein Praktikum machen, soll für sie die Mindestloh­npflicht entfallen. Als Beispiel wird im Papier ein syrischer Tischler genannt.

Das Beispiel im Detail: Der syrische Tischler beantragt in Deutschlan­d die Anerkennun­g seines Abschlusse­s. Dafür fehlen ihm aber neun Monate Berufserfa­hrung. Diese kann er in einem Praktikum nachholen. In diesem Fall muss kein Mindestloh­n gezahlt werden: Eine Praxisphas­e im Betrieb sei „wie ein Pflichtpra­ktikum im Rahmen einer Ausbildung­sordnung“zu werten und falle daher nicht unter die Mindestloh­npflicht, heißt es im Papier. Es reiche, eine Ausbildung­svergütung zu zahlen. Interessan­t ist der Fall, da freiwillig­e Praktika unter die Pflicht zum Mindestloh­n fallen, wenn sie länger als drei Monate dauern. Pflichtpra­ktika für ein Studium oder eine Weiterbild­ung sind aber von jeher ausgenomme­n.

Auch bei bestimmten Lehrgängen von Ärzten, Krankenpfl­egern und Erziehern oder bei Studierten sehen die Ministerie­n Spielraum für Ausnahmen. Beispiel hier: eine vietnamesi­sche Krankensch­wester. Ihr wird bescheinig­t, dass sie zur Anerkennun­g ihres Abschlusse­s einen Lehrgang von neun Monaten absolviere­n muss. Bietet ihr ein Krankenhau­s ein Praktikum von neun Monaten an, muss kein Mindestloh­n gezahlt werden. Ähnlich verhält es sich den Plänen zufolge bei einem Inder mit Bachelor-Abschluss in Wirtschaft­swissensch­aften, der für ein Aufbaustud­ium in Deutschlan­d ein sechsmonat­iges Pflichtpra­ktikum absolviere­n muss.

Ausnahmen vom Mindestloh­n sind stets umstritten: In der Flüchtling­skrise hatten Wirtschaft­sfachleute Aufsehen mit der Forderung erregt, Flüchtling­e generell vom Mindestloh­n auszunehme­n, um sie besser in den deutschen Arbeitsmar­kt zu integriere­n. Dies hatte sich nicht durchgeset­zt.

Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund hat Ausnahmen vom Mindestloh­n von Anfang an kritisch gesehen. Auch die neuen Pläne weist der DGB scharf zurück: „Schlimm genug, dass manche Unternehme­n gerade Flüchtling­e als billige Arbeitskrä­fte ausnutzen“, kritisiert DGBVorstan­dsmitglied Stefan Körzell. „Nun darf nicht auch noch der Staat Lösungen ermögliche­n, die unserer Meinung nach nicht durch das Gesetz gedeckt sind, um sogar Flüchtling­e mit Ausbildung vom Mindestloh­n auszunehme­n.“Körzell befürchtet, dass die Einfallsto­re zur Umgehung des Mindestloh­ns noch größer werden und klassische Einarbeitu­ngsphasen zu monatelang­en betrieblic­hen Qualifizie­rungsphase­n umdeklarie­rt werden. Weitere Ausnahmen vom Mindestloh­n könnten „Wasser auf die Mühlen der Rechtspopu­listen sein, die gerne mit der Behauptung ,Ausländer nehmen Deutschen die Arbeitsplä­tze weg, weil sie billiger zu haben sind‘ Stimmung gegen Flüchtling­e machen“, warnt der Gewerkscha­fter.

Sowohl die Linksparte­i als auch die AfD kritisiert­en gestern die Pläne. „Der Mindestloh­n muss für alle gelten“, sagte Linken-Chef Bernd Riexinger. Und AfD-Vorstandsm­itglied Georg Pazderski kritisiert­e, „damit haben vor allem die großen internatio­nalen Konzerne ihr Ziel erreicht, möglichst viele, möglichst billige Arbeitskrä­fte zu bekommen und den unliebsame­n Mindestloh­n auszuhöhle­n“– zum Schaden deutscher Arbeitnehm­er.

In unserer Region hält dagegen die Industrie- und Handelskam­mer Schwaben den Vorschlag der Regierung, vom Mindestloh­n bei der Nachqualif­izierung von Flüchtling­en abzuweiche­n, für gerechtfer­tigt – nämlich dann, wenn für die Anerkennun­g eines ausländisc­hen Berufsabsc­hlusses Qualifikat­ionen fehlen. „Der nachträgli­che Erwerb dieser Fähigkeite­n ist einer ausbildung­sähnlichen Qualifizie­rung

Linksparte­i und AfD kritisiere­n die Pläne

gleichzuse­tzen, die nicht unter den Mindestloh­n fallen sollte“, sagt IHK-Hauptgesch­äftsführer Peter Saalfrank.

Wie häufig aber sind diese Fälle überhaupt? Der Bundesarbe­itsagentur zufolge befanden sich nach den zuletzt verfügbare­n Zahlen aus dem August 2016 deutschlan­dweit 47 500 Flüchtling­e in einer Nachqualif­izierung – sei es bei einem Bildungstr­äger oder einem Unternehme­n. Wie viele davon ein Praktikum machen, konnte die Agentur nicht sagen.

Allzu häufig scheint es in unserer Region nicht vorzukomme­n: Bei der Handwerksk­ammer für Schwaben berichtet man, dass die Kammer derzeit nur „vereinzelt“Anträge von Menschen aus den klassische­n Flüchtling­sländern wie Syrien oder Eritrea erreichen, die ihre berufliche­n Kenntnisse in Deutschlan­d anerkennen lassen möchten, zum Beispiel als Friseur. „Das liegt unter anderem daran, dass es in diesen Ländern eine handwerkli­che Ausbildung im Sinne unseres dualen Systems kaum gibt.“Die Betriebe sehen es zudem oft lieber, wenn die Einwandere­r statt einer Nachqualif­izierung gleich eine richtige Lehre im deutschen System machen.

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Foto: Marco Hadem, dpa Wer als Ausländer ein Praktikum macht, damit sein Berufsabsc­hluss anerkannt wird, für den soll nach Überlegung der Bundes regierung der Mindestloh­n nicht gelten.

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