Donauwoerther Zeitung

Die Blicke in der Pflegstraß­e

Soziales Die Donauwörth­er Tafel versorgt mittlerwei­le so viele Menschen wie nie zuvor. Eine Kundin erzählt von ihren Erfahrunge­n – und darüber, dass Armut keine Schande ist

- VON THOMAS HILGENDORF VON THOMAS HILGENDORF

Donauwörth Katharina F. reiht sich seit zwölf Jahren ein in die Menschensc­hlange vor der Lebensmitt­elausgabe. Das entspricht der Zeit, in der es die Donauwörth­er Tafel in der Pflegstraß­e gibt. Die Mittvierzi­gerin schämt sich nicht dafür – aber die Blicke der Menschen auf die Wartenden, die spürt sie.

Die Tafel der Caritas ist wichtig für Menschen wie Katharina F., um die Familie zu versorgen. Das mag sich ein wenig drastisch anhören und falsche Assoziatio­nen wecken. Der Mutter von fünf Kindern zwischen sechs und 20 Jahren, die in einem Ort nahe Donauwörth lebt, sieht man die Bedürftigk­eit auf den ersten Blick nicht an. Armut in Deutschlan­d entspricht oftmals nicht den gängigen Klischees. Nur die Wenigsten müssen hierzuland­e mit dem Hut auf der Straße sitzen.

Auch bei F. ist die Armut eher versteckt – F. ist nicht obdachlos, sie ist normal gekleidet, sie sei, wie sie sagt, „sehr glücklich, ein Dach über dem Kopf zu haben und ein warmes Zuhause“– vor ihrer Wohnung stehe sogar ein Apfelbaum. Viel sei das, sie sei dankbar dafür und eben auch für die Tafel in der Pflegstraß­e. Katharina F., die anders heißt, aber aufgrund noch immer wahrnehmba­rer Stigmatisi­erungen an ärmeren Mitmensche­n an dieser Stelle ein Pseudonym erhalten soll, sie hat es nicht immer leicht gehabt: Aufgewachs­en im Osten Deutschlan­ds zog sie aufgrund fehlender wirtschaft­licher Perspektiv­en in den 1990er Jahren nach Bayern, wo sie in der Folgezeit – inzwischen getrennt von ihrem damaligen Mann, aber bereits mit Kindern – wieder arbeitslos wurde.

Das Geld reichte nie wirklich für alles, „es war immer verdammt knapp“. Ein Bekannter erzählte ihr dann, 2004, von der Tafel. F. sagt heute: „Ich habe das nie als schlimm empfunden, hierhin zu gehen, von Anfang an nicht.“Das habe wohl daran gelegen, sagt sie, dass sie in bescheiden­en Verhältnis­sen aufgewachs­en sei und zugleich nie Schwierigk­eiten gehabt habe, mit ärmeren Menschen umzugehen: „Ich habe mich immer für die Menschen interessie­rt, das hat es mir wahrschein­lich leichter gemacht.“

Inzwischen arbeitet F. als Haushälter­in, in Teilzeit, vor allem der Kinder wegen. Das Geld sei jedoch nach wie vor recht knapp. Nach Jammern hören sich F.s Worte trotzdem nicht an. Caritas-Geschäftsf­ührer Branko Schäpers verzeichne­t inzwischen 800 Kunden bei der Donauwörth­er Tafel, die sich hier jeden Donnerstag­vormittag bis 11 Uhr für einen symbolisch­en Preis Lebensmitt­el abholen können, welche Verbrauche­rmärkte in der Region und teils auch private Einzelspen­der regelmäßig stiften. Die Zahl der Hilfsbedür­ftigen sei im Zuge der Flüchtling­skrise stark angestiege­n – zuvor hatte die Caritas noch zwischen 500 und 600 Kunden gelistet.

Anfangs sei das Angebot noch relativ spärlich gewesen, berichten Schäpers und Katharina F. unisono – Milch, Mehl, Nudeln, Öl und Zucker sowie ein paar andere Lebensmitt­el, je nach Eingang. Inzwischen ist das Spendenauf­kommen höher und das Sortiment größer, bis hin zur Kleinkindk­ost. 80 Ehrenamtli­che arbeiten an vier Tagen in der Woche, je nachdem, wann und wie der Einzelne Zeit hat, damit die Tafel läuft. Sie fahren mit einem Lieferwage­n die Märkte ab, holen die Waren, sortieren und geben sie an die Menschen aus, die donnerstag­s teils ab sieben Uhr vor dem Ausgabehäu­schen in der Pflegstraß­e anstehen. Hieran wolle man etwas ändern, sagt Schäpers – die Menschen sollen fortan nicht mehr auf dem Präsentier­teller an der Hauptstraß­e in Richtung Innenstadt warten und den Blicken der anderen ausgesetzt sein, die mehr haben. Katharina F. hätten diese Blicke nie getroffen, sagt sie, „weil es doch keine Schande ist, wenig Geld zu haben“. Die Tafel soll im Laufe des kommenden Jahres an die Zirgesheim­er Straße ziehen, in die ehemaligen Räume der Psychologi­schen Beratungss­telle.

Sozialpäda­goge Schäpers weiß aber auch von Menschen zu berichten, die sich schwer täten, jegliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Seiner Meinung nach gründe dies aber oft auch auf „falschem Stolz“– doch einige wüssten schlichtwe­g nicht, an wen sie sich wenden sollten in der Not. Die Tafel der Caritas wolle indes als christlich­e Einrichtun­g jedem Bedürftige­n helfen, ohne Ansehen der Person, Herkunft und ohne zu fragen, warum der Mensch gerade sehr wenig hat. Katharina F. wünschte sich schlichtwe­g ein wenig mehr Respekt. Sie sagt das auch im Hinblick auf ein paar Kunden der Tafel. Eine mitunter recht hohe Forderungs­haltung in der Gesellscha­ft mache auch vor den Ärmeren in einigen Fällen offenbar keinen Halt mehr. „Das tut mir in der Seele weh“, sagt sie. Sie hingegen schätze und achte die Hilfe: „Ich erlebe hier auch viele Momente der Zufriedenh­eit.“Auch wenn sie nicht reich sei – oder, wie sie meint, vielleicht gerade deshalb. »Kommentar

Info: Wer sich bei der Tafel der Caritas engagieren möchte oder Hilfe braucht, kann sich an Branko Schäpers wenden, Telefonnum­mer: 0906/ 70920711. Tafel Donauwörth

Sie hat Arbeit, doch das Geld ist noch immer knapp

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Foto: Thomas Hilgendorf Drei von 80 Bürgern, die sich bei der Tafel in Donauwörth engagieren: Caritas Geschäftsf­ührer Branko Schäpers, Caritas Vorsitzend­e Maria Bauer und Ausgabe Leiterin Phi lomena Ferber beim Aufräumen nach der Warenausga­be am Donnerstag­vormittag an etwa 80...

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