Donauwoerther Zeitung

Ein Mann mit viel Fingerspit­zengefühl

Welt Braille Tag Der Buchdorfer Helmut Maier ist von Kindesbein­en an stark sehbehinde­rt. Mithilfe der Blindensch­rift meistert der 57-Jährige seinen Berufsallt­ag. Privat ist die Musik seine große Leidenscha­ft, er leitet sogar einige Chöre

- VON MANUEL WENZEL

Heute ist Welt-Braille-Tag. Ohne diese Schrift könnte der sehbehinde­rte Helmut Maier seinen Berufsallt­ag nicht meistern.

Donauwörth/Buchdorf Konzentrie­rt sitzt Helmut Maier an seinem Schreibtis­ch. Seine Finger wandern sicher über die Tastatur. Links davon das Telefon, stets griffberei­t. Eine normale Szene aus einem Büro – wäre da nicht dieser Bildschirm. Dieser ist nicht etwa besonders groß oder klein, speziell geformt oder auffällig platziert. Er sieht ganz normal aus. Ist er auch. Nur er bleibt schwarz. Den ganzen Arbeitstag lang. Helmut Maier muss seinen Bildschirm nicht einschalte­n, er würde auch so gut wie nichts erkennen. Der Buchdorfer ist stark sehbehinde­rt, von Geburt an. Retinitis pigmentosa heißt seine Krankheit. „Dabei löst sich im Lauf der Jahre die Netzhaut auf“, erklärt Maier. Als Kind habe er besser gesehen, erinnert sich der 57-Jährige. Beim Kartenspie­len habe er die Bilder erkannt. „Mittlerwei­le sehe ich nur noch hell und dunkel sowie ein paar Umrisse.“

Maier besuchte die Blindensch­ule in München, lebte dort in einem Internat. Nach der mittleren Reife machte er eine Ausbildung für Büroberufe: Telefonist, Stenotypis­t, Phonotypis­t. Seine berufliche Laufbahn begann er vor 38 Jahren in der Schreibstu­be der Arbeitsage­ntur in Donauwörth. Bis 2005 war er als Telefonist tätig, ehe er ins Servicecen­ter wechselte. Dieses ist eigentlich in Augsburg angesiedel­t, doch Maier durfte weiter in seinem vertrauten Umfeld in Donauwörth arbeiten. „Hier kenne ich mich aus“, sagt er. Meist nehmen ihn Kollegen mit zur Arbeit und nach Feierabend wieder mit nach Hause. Ab und an lässt er sich auch von seiner Frau abholen. Irgendeine Lösung gebe es immer. „Ich hab’ jedenfalls noch nie im Büro übernachte­n müssen“, scherzt Maier.

Er ist im sogenannte­n „Outbound“tätig. Das bedeutet, er nimmt aktiv telefonisc­hen Kontakt mit den Kunden „draußen“auf. Dabei geht es größtentei­ls um Terminerin­nerungen und die Aufnahme von aktuellen Daten in die Kundenhist­orie. Wenn Maier etwas auf seiner Tastatur eingibt, bekommt er unmittelba­r Rückmeldun­g – und zwar gleich doppelt, über ein spezielles Programm für Blinde. Zum einen sagt ihm eine elektronis­che Stimme über Lautsprech­er an, was er gerade getippt hat. Und dann gibt es noch die sogenannte Braille-Zeile: eine Art zweite Tastatur, die unterhalb der eigentlich­en liegt. „Da wird praktisch zeitgleich alles mitgeschri­eben. So kann ich meine Eingaben gleich kontrollie­ren.“

Dieses Instrument verdankt seinen Namen Louis Braille, der das Punktschri­ftsystem für Blinde und Sehbehinde­rte entwickelt­e. Heute, am Geburtstag des vor 208 Jahren auf die Welt gekommenen Franzosen, wird der Welt-Braille-Tag be- Die Braille-Zeile bietet Platz für 80 Zeichen. Jedes dieser Felder besteht aus sechs Punkten, drei in der Höhe und zwei in der Breite. Jeder Buchstabe des Alphabets hat eine eigene Form, die dann als Erhöhung zu ertasten ist. Das „A“etwa wird mit dem Punkt links oben dargestell­t, das „B“mit den zwei Punkten links oben und links in der Mitte. Und so fährt Maier mit seinem linken Zeigefinge­r die Brailgange­n. le-Zeile nach rechts ab und liest so seinen Text. „Ab und zu muss man mal nachgreife­n, wenn man nicht ganz sicher ist. Generell bin ich nicht der schnellste Leser, ich würde mich als durchschni­ttlich bezeichnen.“ Im Berufsallt­ag aber kommt er gut zurecht. „Das klappt alles.“

Das kann Maier auch von seinem Privatlebe­n behaupten, in dem er vielen Hobbys nachgeht. So spielt der verheirate­te Vater einer Tochter Orgel in den Kirchen in Buchdorf, Baierfeld und Monheim. Sein Talent wurde schon früh erkannt, auf der Blindensch­ule in München bekam er kostenlos Musikunter­richt. „Ich habe das Glück, dass ich mich sehr viel auf mein Gehör verlassen kann.“Geht es an ein neues Lied aus dem Gotteslob, spielt es seine Frau, „eine begabte Flötenspie­lerin“, vom Buch weg. Maier speichert das Ganze in einem Aufnahmege­rät. „Dann lerne ich die Melodie auswendig, die Harmonien mache ich selbst.“Dabei bemüht er sich, dass es für die Besucher der Messen leicht ins Ohr geht. „Das bereitet mir viel Spaß und ich mache das auch, weil ich überzeugte­r Christ bin“, sagt der 57-Jährige. Darüber hinaus leitet er noch einen Kinderchor in Buchdorf und Kirchenchö­re in Itzing und Baierfeld. „Die Kinder lernen die Lieder notenfrei, in dem ich ihnen vorspiele. Die Erwachsene­n haben ihre Noten. Da muss ich es so lernen, wie die es auf dem Blatt stehen haben.“Dirigieren muss und kann Maier nicht, da er ja zeitgleich spielt.

Musik sei ein wunderbare­s Mittel, um unter Leute zu kommen. „Jemand, der eine Behinderun­g hat, sollte nicht warten, bis einen die Leute abholen. Man muss aktiv nach draußen gehen.“So ist er unter anderem auch Mitglied beim FSV Buchdorf – bei den Heimspiele­n der Fußballer ist er regelmäßig hinter dem Tor anzutreffe­n („dort bekommt man am meisten mit“) – und dem Schützenve­rein Itzing. Früher hat Maier auch aktiv gekegelt und Torball – eine Mannschaft­ssportart für Blinde und Sehbehinde­rte – gespielt. Diese betreiben seine Brüder Fritz und Werner noch heute sehr erfolgreic­h, im November wurden sie mit dem SV Reha Augsburg bayerische­r Meister. Seine Brüder leiden ebenfalls unter Retinitis pigmentosa. „Sie haben es aber erst später bekommen. Beide haben den Führersche­in gemacht. Das muss man dann erst einmal verkraften, aber sie haben das toll gemeistert“, sagt Helmut Maier über seine Brüder, die als Telefonist­en in Behörden tätig sind. Die Blindensch­rift hätten sie aber nicht so recht gelernt, verrät Helmut Maier über die Geschwiste­r. „Dementspre­chend wenden sie sie auch nicht oft an.“Im Gegensatz zu ihm, der schon im Berufsallt­ag ständig damit zu tun hat.

In der Agentur für Arbeit bewegt er sich ohne seinen Langstock, lediglich der gelbe Anstecker mit den drei schwarzen Punkten weist auf seine Blindheit hin. Mitleid benötige er wegen seiner Erkrankung nicht. Maier sagt, es gebe deutlich schlimmere Schicksale, als das seine. „Ich kann ja nur nichts sehen.“

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Fotos: Wenzel So sieht ein ganzes Buch aus, das in der Braille Schrift geschriebe­n ist. Die einzelnen Buchstaben sind als Erhöhung zu erfühlen. Welcher Buchstabe gemeint ist, das ergibt sich nach der Anordnung in einem sechs Punkte umfassende­n Feld.
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Helmut Maier an seinem Arbeitspla­tz in Donauwörth. Wenn er etwas in der Tastatur eingibt, bleibt sein Bildschirm schwarz. Er „kommunizie­rt“auf andere Weise mit dem PC.
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Diesen Anstecker trägt Maier bei der Ar beit. Auch seinen Langstock hat er im mer dabei.
 ??  ?? Mit der sogenannte­n Braille Zeile, die unterhalb der eigentlich­en Tastatur liegt, überprüft er seine Eingaben.
Mit der sogenannte­n Braille Zeile, die unterhalb der eigentlich­en Tastatur liegt, überprüft er seine Eingaben.

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