„Von Entwarnung kann keine Rede sein“
Interview Droht auf der Klausurtagung der Bundestags-CSU in Kloster Seeon im Streit um die Flüchtlingsobergrenze der Bruch mit der Schwesterpartei CDU? Wo Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt den eigentlichen Gegner sieht
Das Wahljahr hat begonnen und noch streiten CDU und CSU um wichtige Themen. CSU-Chef Horst Seehofer hat angekündigt, nur in eine Koalition zu gehen, wenn die Obergrenze für Flüchtlinge kommt. Droht bei der Klausurtagung der CSU-Landesgruppe, die heute in Seeon beginnt, der Anfang vom Ende der Union? Gerda Hasselfeldt: Auch wenn wir in einzelnen Sachfragen noch Diskussionsbedarf haben, überwiegen die Gemeinsamkeiten. Vergleichen Sie mal unsere Positionen zur inneren Sicherheit, wie zum Beispiel die Forderung nach Transitzentren an der Grenze oder einen neuen Haftgrund für Gefährder. Ich kann da keine großen Differenzen erkennen. Das Thema innere Sicherheit wird ein Schwerpunkt unserer Klausur sein. Dazu zählt für uns auch die Begrenzung der Flüchtlingszahlen auf ein Maß, das unser Gemeinwesen nicht überfordert. Ich bin zuversichtlich, dass wir da zu guten Ergebnissen kommen, auch bei der Obergrenze. Uns eint nicht nur die gemeinsame Wertebasis, uns eint auch der gemeinsame Gegner: Wir kämpfen gegen die Gefahr eines rotrot-grünen Bündnisses und gegen die AfD.
Mitunter entsteht aber genau dieses Bild: Dass CSU und CDU, speziell Horst Seehofer und Angela Merkel, völlig zerstritten sind … Hasselfeldt: Horst Seehofer hat zu Recht deutlich gemacht, wie wichtig das Thema Obergrenze für uns ist. Bayern war stärker von der Flüchtlingswelle im Jahr 2015 betroffen als andere Bundesländer. Die Kommunen und sozialen Einrichtungen sind an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gelangt, das darf sich nicht wiederholen. Es ist unbestritten, dass Humanität und Integration nur dann gelingen können, wenn die Zahl der Zuwanderer begrenzt wird. Natürlich sind die Zahlen zuletzt zurückgegangen, aber von Entwarnung kann noch keine Rede sein.
Wenn sich Kanzlerin Merkel in dieser Frage nicht bewegt und die CSU das hinnimmt, steht Horst Seehofer dann als Maulheld da, der ständig nur leere Drohungen ausspricht? Hasselfeldt: Schauen Sie sich mal an, was die CSU alles durchgesetzt hat. Erst gibt es einen großen Aufschrei und am Ende waren viele Forderungen dann Allgemeingut. Wie zum Beispiel die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzbedürftige, schnellere Asylverfahren oder die Einstufung der Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsländer, um nur einige Beschlüsse zu nennen.
Viele Bürger haben aber nicht erst seit dem Terroranschlag von Berlin den Eindruck, dass der Staat gerade in Sachen Sicherheit seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Der mutmaßliche Attentäter von Berlin, Anis Amri, etwa war längst als Gefährder bekannt und konnte trotzdem morden. Haben die Behörden da versagt? Hasselfeldt: Wir müssen jetzt genau analysieren, wie es zu dem Attentat von Berlin kommen konnte, ob und wo es Defizite gegeben hat. Tatsache ist aber, dass unsere Sicherheitsbehörden insgesamt hervorragend arbeiten. Mehrere Anschläge konnten ja verhindert werden. Trotzdem gibt es noch Handlungsbedarf. Wir brauchen etwa mehr Videoüberwachung öffentlicher Plätze. Hier sind die Länder gefordert. Dass Rot-RotGrün in Berlin nicht endlich Konsequenzen zieht, kann ich nicht verstehen. In zahlreichen Fällen hat die Videoüberwachung bei der Ermitt- der Täter geholfen. Außerdem brauchen wir einen lückenlosen Datenaustausch auf nationaler und internationaler Ebene und vor allem einen effektiven Schutz der Grenzen.
Ist das nicht bereits mit geltendem Recht möglich und greift der Ruf nach immer mehr Überwachung zu kurz? Hasselfeldt: Wir müssen unterscheiden zwischen Vollzugsdefiziten und Gesetzeslücken. Alle bereits bestehenden rechtlichen Möglichkeiten müssen ausgeschöpft werden, auch im Hinblick auf die Überwachung von Gefährdern. Daneben besteht auch gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Wir sind etwa überzeugt, dass wir an den Grenzen Transitzentren für Flüchtlinge brauchen, deren Identität nicht geklärt ist. Niemand darf sich durch Mehrfachidentitäten den Behörden entziehen. Doch das blockiert die SPD. Wir sind außerdem der Ansicht, dass bekannte Gefährder, die ausreisepflichtig sind, in Abschiebehaft genommen werden müssen. Das hätte etwa für Anis Amri gegolten. Offenbar tut sich der Staat sehr schwer damit, abgelehnte Asylbewerber abzuschieben, selbst wenn diese straffällig geworden sind. Warum? Hasselfeldt: In der Tat fehlt es da in manchen Bundesländern am politischen Willen. Der rot-rot-grüne Senat von Berlin hat zum Beispiel angekündigt, nur als Ultima Ratio abzuschieben. Das konterkariert unsere Anstrengungen auf Bundesebene. Ländern, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, sollten die entsprechenden Bundesmittel gestrichen werden. Wer Ausreisepflichtige nicht abschiebt, muss selbst für sie aufkommen. 2017 muss auch das Jahr der Rückführung werden. Dazu brauchen wir aber entsprechende Abkommen mit den Regierungen in den Herkunftsländern.
Wie soll das in der Praxis gehen, wenn Millionen von Menschen etwa in Afrika von einer besseren Zukunft in Europa träumen? Hasselfeldt: Wir haben national und international klare Regelungen, wer als Flüchtling anerkannt wird. Klar ist, wir müssen die illegale Migratilung on auf dem Seeweg stoppen und den kriminellen Schleppern das Handwerk legen. Nicht sie entscheiden, wer zu uns kommt, sondern wir. Wir plädieren daher für verbindliche Abkommen mit nordafrikanischen Staaten, damit die geretteten Personen in sichere Einrichtungen in Nordafrika gebracht werden können.
Die Flüchtlingskrise betrifft ganz Europa, doch die Europäische Union steckt selbst mitten in einer tiefen Krise. Die Briten haben der Union den Rücken gekehrt, Staaten wie Italien, Griechenland und Portugal stehen am Rande des Abgrunds. Ist Europa selbst ein Sanierungsfall? Hasselfeldt: Wir dürfen nicht vergessen, welch große Erfolgsgeschichte die europäische Einigung ist. Tatsächlich sorgen wir uns um den Zusammenhalt in Europa. Europa muss sich um die Probleme kümmern, die ein Land allein nicht bewältigen kann, wie zum Beispiel die Bewältigung der Flüchtlingsströme und die wachsende Terrorgefahr.
2016 stand im Zeichen von Krisen, Kriegen und Konflikten. Was erwarten, was erhoffen Sie sich von 2017? Hasselfeldt: 2017, da darf man sich nichts vormachen, wird ein sehr schwieriges Jahr werden. Die Politik in Europa wird sehr gefordert sein. Wie begegnen wir der populistischen Gefahr? Wie verhindern wir das Auseinanderbrechen der Gesellschaft? Vor uns liegt ein hartes Stück Arbeit. Ein realistischer Blick auf unser Land zeigt, dass wir gut darin
„Schauen Sie, was die CSU durchgesetzt hat. Erst gibt es einen großen Aufschrei und am Ende waren viele Forderungen Allgemeingut.“
Gerda Hasselfeldt „Klar ist, wir müssen kriminellen Schleppern das Handwerk legen. Nicht sie entscheiden, wer zu uns kommt, sondern wir.“
Gerda Hasselfeldt
sind, Krisen erfolgreich zu bewältigen.
Sind Sie da nicht fast erleichtert, dass Sie bei der Bundestagswahl im Herbst selbst nicht mehr antreten? Hasselfeldt: Ich stehe zu meiner Entscheidung, dass es nach 30 Jahren im Bundestag Zeit ist, auch den Jüngeren eine Chance zu geben. Bis es so weit ist, werde ich aber selbstverständlich all meine Kraft dafür einsetzen, dass die CSU auch künftig in der Regierung bleibt.
Interview: Bernhard Junginger
Gerda Hasselfeldt ist seit 2011 Vor sitzende der CSU Landesgruppe im Deutschen Bundestag. Die 1950 in Strau bing geborene Volkswirtin war von 1989 bis 1991 Bundesbauministerin und von 2005 bis 2011 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags. Mitte 2016 hatte sie angekündigt, im Herbst 2017 nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren.