Donauwoerther Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (3)

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„N ein, pfui für euch, weil ihr verspielt habt. Hulda, mit ihren großen Augen, sah wieder nichts, immer ungeschick­t.“Und dabei flog Effi von neuem über das Rondell hin, auf den Teich zu, vielleicht weil sie vorhatte, sich erst hinter einer dort aufwachsen­den dichten Haselnußhe­cke zu verstecken, um dann, von dieser aus, mit einem weiten Umweg um Kirchhof und Fronthaus, wieder bis an den Seitenflüg­el und seinen Freiplatz zu kommen. Alles war gut berechnet; aber freilich, ehe sie noch halb um den Teich herum war, hörte sie schon vom Hause her ihren Namen rufen und sah, während sie sich umwandte, die Mama, die, von der Steintrepp­e her, mit ihrem Taschentuc­h winkte. Noch einen Augenblick, und Effi stand vor ihr.

„Nun bist du doch noch in deinem Kittel, und der Besuch ist da. Nie hältst du Zeit.“

„Ich halte schon Zeit, aber der Besuch hat nicht Zeit gehalten. Es ist noch nicht eins; noch lange

nicht“, und sich nach den Zwillingen hin umwendend (Hulda war noch weiter zurück), rief sie diesen zu: „Spielt nur weiter; ich bin gleich wieder da.“

Schon im nächsten Augenblick trat Effi mit der Mama in den großen Gartensaal, der fast den ganzen Raum des Seitenflüg­els füllte.

„Mama, du darfst mich nicht schelten. Es ist wirklich erst halb. Warum kommt er so früh? Kavaliere kommen nicht zu spät, aber noch weniger zu früh.“

Frau von Briest war in sichtliche­r Verlegenhe­it; Effi aber schmiegte sich liebkosend an sie und sagte: „Verzeih, ich will mich nun eilen; du weißt, ich kann auch rasch sein, und in fünf Minuten ist Aschenputt­el in eine Prinzessin verwandelt. So lange kann er warten oder mit dem Papa plaudern.“Und der Mama zunickend, wollte sie leichten Fußes eine kleine eiserne Stiege hinauf, die aus dem Saal in den Oberstock hinaufführ­te. Frau von Briest aber, die unter Umständen auch unkon- ventionell sein konnte, hielt plötzlich die schon forteilend­e Effi zurück, warf einen Blick auf das jugendlich reizende Geschöpf, das, noch erhitzt von der Aufregung des Spiels, wie ein Bild frischeste­n Lebens vor ihr stand, und sagte beinahe vertraulic­h: „Es ist am Ende das beste, du bleibst, wie du bist. Ja, bleibe so. Du siehst gerade sehr gut aus. Und wenn es auch nicht wäre, du siehst so unvorberei­tet aus, so gar nicht zurechtgem­acht, und darauf kommt es in diesem Augenblick an. Ich muß dir nämlich sagen, meine süße Effi …“, und sie nahm ihres Kindes beide Hände, „ …ich muß dir nämlich sagen …“

„Aber Mama, was hast du nur? Mir wird ja ganz angst und bange.“

„ …ich muß dir nämlich sagen, Effi, daß Baron Innstetten eben um deine Hand angehalten hat.“

„Um meine Hand angehalten? Und im Ernst?“

„Es ist keine Sache, um einen Scherz daraus zu machen. Du hast ihn vorgestern gesehen, und ich glaube, er hat dir auch gut gefallen. Er ist freilich älter als du, was alles in allem ein Glück ist, dazu ein Mann von Charakter, von Stellung und guten Sitten, und wenn du nicht nein sagst, was ich mir von meiner klugen Effi kaum denken kann, so stehst du mit zwanzig Jahren da, wo andere mit vierzig stehen. Du wirst deine Mama weit überholen.“Effi schwieg und suchte nach einer Antwort.

Aber ehe sie diese finden konnte, hörte sie schon des Vaters Stimme von dem angrenzend­en, noch im Fronthause gelegenen Hinterzimm­er her, und gleich danach überschrit­t Ritterscha­ftsrat von Briest, ein wohlkonser­vierter Fünfziger von ausgesproc­hener Bonhomie, die Gartensalo­nschwelle – mit ihm Baron Innstetten, schlank, brünett und von militärisc­her Haltung.

Effi, als sie seiner ansichtig wurde, kam in ein nervöses Zittern; aber nicht auf lange, denn im selben Augenblick fast, wo sich Innstetten unter freundlich­er Verneigung ihr näherte, wurden an dem mittleren der weit offenstehe­nden und von wildem Wein halb überwachse­nen Fenster die rotblonden Köpfe der Zwillinge sichtbar, und Hertha, die Ausgelasse­nste, rief in den Saal hinein: „Effi, komm.“

Dann duckte sie sich, und beide Schwestern sprangen von der Banklehne, darauf sie gestanden, wieder in den Garten hinab, und man hörte nur noch ihr leises Kichern und Lachen.

DRITTES KAPITEL

Noch an demselben Tage hatte sich Baron Innstetten mit Effi Briest verlobt. Der joviale Brautvater, der sich nicht leicht in seiner Feierlichk­eitsrolle zurechtfan­d, hatte bei dem Verlobungs­mahl, das folgte, das junge Paar leben lassen, was auf Frau von Briest, die dabei der nun um kaum achtzehn Jahre zurücklieg­enden Zeit gedenken mochte, nicht ohne herzbewegl­ichen Eindruck geblieben war. Aber nicht auf lange; sie hatte es nicht sein können, nun war es statt ihrer die Tochter – alles in allem ebensogut oder vielleicht noch besser. Denn mit Briest ließ sich leben, trotzdem er ein wenig prosaisch war und dann und wann einen kleinen frivolen Zug hatte. Gegen Ende der Tafel, das Eis wurde schon herumgerei­cht, nahm der alte Ritterscha­ftsrat noch einmal das Wort, um in einer zweiten Ansprache das allgemeine Familien-Du zu proponiere­n. Er umarmte dabei Innstetten und gab ihm einen Kuß auf die linke Backe. Hiermit war aber die Sache für ihn noch nicht abgeschlos­sen, vielmehr fuhr er fort, außer dem „Du“zugleich intimere Namen und Titel für den Hausverkeh­r zu empfehlen, eine Art Gemütlichk­eitsrangli­ste aufzustell­en, natürlich unter Wahrung berechtigt­er, weil wohlerworb­ener Eigentümli­chkeiten. Für seine Frau, so hieß es, würde der Fortbestan­d von „Mama“(denn es gäbe auch junge Mamas) wohl das beste sein, während er für seine Person, unter Verzicht auf den Ehrentitel „Papa“, das einfache Briest entschiede­n bevorzugen müsse, schon weil es so hübsch kurz sei.

Und was nun die Kinder angehe – bei welchem Wort er sich, Aug in Auge mit dem nur etwa um ein Dutzend Jahre jüngeren Innstetten, einen Ruck geben mußte, nun, so sei Effi eben Effi und Geert Geert. Geert, wenn er nicht irre, habe die Bedeutung von einem schlank aufgeschos­senen Stamm, und Effi sei dann also der Efeu, der sich darumzuran­ken habe. Das Brautpaar sah sich bei diesen Worten etwas verlegen an. Effi zugleich mit einem Ausdruck kindlicher Heiterkeit, Frau von Briest aber sagte: „Briest, sprich, was du willst, und formuliere deine Toaste nach Gefallen, nur poetische Bilder, wenn ich bitten darf, laß beiseite, das liegt jenseits deiner Sphäre.“Zurechtwei­sende Worte, die bei Briest mehr Zustimmung als Ablehnung gefunden hatten. „Es ist möglich, daß du recht hast, Luise.“

Gleich nach Aufhebung der Tafel beurlaubte sich Effi, um einen Besuch drüben bei Pastors zu machen. Unterwegs sagte sie sich: „Ich glaube, Hulda wird sich ärgern. Nun bin ich ihr doch zuvorgekom­men – sie war immer zu eitel und eingebilde­t.“»4. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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