Ein geschichtsträchtiger Platz am Rande der Stadt
Kirchenserie Die Zerstörung des Klosters Sandau bei Landsberg erweist sich 1000 Jahre später als Glücksfall für die Wissenschaft
Landsberg Was für die Sandauer Benediktiner im 10. Jahrhundert eine Katastrophe war, hat sich 1000 Jahre später als Glücksfall für die Geschichtsforschung erwiesen. Weil die Ungarn damals auf einem ihrer Streifzüge durch Bayern auch das Kloster Sandau zerstörten, wurde der Ort nie zu einer der großen barocken Klosteranlagen, wie man sie sonst im Land kennt. Sandau blieb ein einsamer Ort am Rande der späteren Stadt. Das hat sich auch nicht geändert, als 150 Meter entfernt die Autobahnbrücke über den Lech gebaut wurde. Das moderne Straßenbauwerk folgt einem alten Übergang, der als Furt schon vorhanden war, lange bevor Jahrhunderte später der Fluss in Kaufering und Landsberg überquert werden konnte.
Weil das Klosterleben in Sandau früh erlosch, finden sich hier noch sehr viele Spuren aus der Gründungszeit. Der Ort ist heute einer der am besten erforschten und dokumentierten frühmittelalterlichen Kirchenanlagen. Zu verdanken ist dies unter anderem dem Mittelalterarchäologen Hermann Dannheimer und lange vor ihm dem Historischen Verein und der Bauernbruderschaft in Landsberg, etlichen engagierten Bürgern und dem damaligen Stadtpfarrer Gabriel Beißer. Sie zählten zum Kreis derjenigen, die das in den 1960er-Jahren vom Verfall bedrohte Gotteshaus am Lechhang retteten und das Ausgrabungsgelände mit dem Kunstprofessor Franz Bernhard Weißhaar wieder in eine Kirche verwandelten.
Sandau ist seit Alters her ein beliebtes Ausflugsziel der Landsberger: Auf einem eineinhalb Kilometer langen Fußweg am Lech entlang kommt man vom Sandauer Tor dorthin. Die Hauptattraktion war früher eher die Waldwirtschaft als das Kirchlein – zumindest für die Erwachsenen, so wird erzählt. „Während die Eltern im Wirtshaus saßen, haben die Kinder in der Kirche getobt – und sie haben sich oft vor einer Figur gefürchtet, weil sie so groß und dunkel war“, erzählt Weißhaar. Die furchteinflößende Skulptur war nicht der Heilige Benedikt, der heute noch in Sandau zu finden ist, sondern ein noch etwas strengerer Ordensgründer: Ignatius von Loyola, dessen Skulptur die Landsberger Jesuiten einst nach Sandau brachten. In der feuchten Kirche wuchsen Brennnesseln, die gebrochenen Fensterscheiben waren mit Kartons zugemacht.
Dass Sandau einmal mehr als ein Weiler mit einer heruntergekommenen Kirche gewesen sein könnte, deuteten seit dem 12. Jahrhundert nur die Benediktbeurer Klostertraditionen an. In diesen schriftlichen Quellen wird Sandau als eines der Tochterklöster Benediktbeuerns genannt. „Diese Überlieferungen wurden aber damals von den Historikern stark angezweifelt“, sagt Weißhaar. Dass die Skeptiker irrten, zeigten die Ausgrabungen. Da- bei kamen die Strukturen zweier frühmittelalterlicher Vorgängerbauten zutage: Ein erster Komplex aus einer dreiapsidialen Klosterkirche mit diversen Anbauten für das monastische Leben und ein Friedhof wurden im 8. Jahrhundert errichtet. Die ausschließlich horizontalen Kellenstriche im Mauerwerk verweisen auf die Karolingerzeit, macht Weißhaar aufmerksam. Bei den Ungarneinfällen in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts ging die Anlage in Flammen auf. Sie wurde als querschifflose Pfeilerbasilika neu errichtet, bevor das Kloster spätestens beim letzten Einfall der Ungarn 955 unterging. Die Kirche diente dann noch als Sitz einer Pfarrei, der im 16. Jahrhundert ins einige Kilometer östlich gelegene Untermühlhausen verlegt wurde. Heute ist Sandau eine Filiale der Landsberger Stadtpfarrei Mariä Himmelfahrt.
Nachdem die Grabungen der damaligen Prähistorischen Staatssammlung die Benediktbeurer Schriften bestätigt hatten, sollte aus Sandau ein Kirchenraum mit musealem Anspruch werden. Das war manchmal ein durchaus spannungsreicher Prozess. Dabei musste immer die richtige Balance zwischen den liturgischen und den konservatorischen Ansprüchen gefunden werden, wie sich Weißhaar erinnert. Er erzählt vom Ringen um Kirchenbänke, die der Archäologe eigentlich nicht haben wollte, und erklärt auch, warum es in Sandau nur einen statt der sonst üblichen zwölf Apostelleuchter gibt. Zugleich erzählen die auf Pfeilerstümpfen montierten Metalltafeln im Kirchenraum die Sandauer Geschichte und im Kirchhof zeigen Pflasterzeilen die mittelalterlichen Grundmauern an.
2016 jährt sich die Altarweihe nach der Neugestaltung zum 30. Mal. Das geschah seinerzeit gerade noch rechtzeitig, zumindest für den damals 92-jährigen Nachbarn der Kirche, Max Weber: „Jetzt weiht’s doch die Kirche endlich ein, damit ich das auch noch erleben kann“, habe ihm Weber nach den langen Jahren der Forschung und Sanierung gesagt, erzählt Weißhaar. Zum Benediktusfest am 11. Juli 1986 war es so weit: Bischof Josef Stimpfle nahm die erneute Altarweihe in der 1200 Jahre alten Kirche vor. Max Weber war noch dabei, bevor er im folgenden Oktober 92-jährig starb und auf dem Sandauer Kirchhof seine letzte Ruhe fand.
Die damaligen Wiedererwecker der Sandauer Kirche sind inzwischen auch älter geworden. Um das liturgische Leben und dieses besondere bayerische Geschichtsdenkmal auch in Zukunft pflegen zu können, wurde bereits 2003 der Freundeskreis von Sankt Benedikt in Sandau gegründet, dem rund 100 Personen angehören.
An den benediktinischen Festtagen finden hier Gottesdienste statt und Sandau ist heute wieder ein Ort, an dem Eltern gerne ihre Kinder taufen lassen. Die Reste eines frühmittelalterlichen Taufbeckens wurden bei den Grabungen freigelegt und bilden heute einen zentralen Punkt der kleinen Basilika, die den Besucher hinter der barocken äußerlichen Anmutung überrascht.