Es begann im Sommer 1927...
… und endete am 1. Januar 2017. Das Familienunternehmen Deibl in Rain war fast 90 Jahre lang eine feste Institution am Kirchplatz. Jetzt wurden Druckerei und Schreibwarengeschäft an die Stiftung St. Johannes übergeben.
Noch sind Inge und Franz Deibl zu beschäftigt, um die großen Veränderungen in ihrem Rainer Familienunternehmen allzu emotional zu begleiten. Noch stecken sie mitten im Trubel, den die Geschäftsübergabe an die Schweinspointer Stiftung St. Johannes mit sich bringt. Sichten, sortieren, ausräumen, organisieren – das lenkt ab.
Und trotzdem fühlt es sich „ein bisschen komisch an“, als jetzt die tonnenschweren Druckmaschinen zerlegt, per Kran hinausgehievt und schließlich mit dem Lastwagen abtransportiert werden. Sie sind verkauft und kommen „irgendwohin ins Ausland“– mehr wissen die Deibls selbst nicht. Das älteste Stück, eine Original Heidelberg Hochdruckmaschine, hat 60 Jahre im Familienbetrieb gestanden. „Sie ist fast so alt wie ich“, sagt der 67-jährige Franz Deibl schmunzelnd. Drei Generationen von Druckern haben damit gearbeitet: Martin, Xaver und Franz Deibl. Fast 90 Jahre waren Druckerei und Schreibwarenladen am Kirchplatz eine Institution. Ein fester Bestandteil im Erscheinungsbild der Tillystadt. Fast neun Jahrzehnte lang hat diese Geschichte gedauert, die 1927 so begonnen hat:
„Grüß Gott alle miteinander!“Echt bayerisch stellte sich damals im Sommer der 44-jährige Martin Deibl in Rain vor. Auf dem Handzettel, den er im Tillystädtchen verteilen ließ, war dann unter anderem zu lesen: „Ich habe meine Buchdruckerei von Kleinhadern bei München nach Rain verlegt und werde bestrebt sein, durch saubere, zeitgemäße Drucksachen zu reellen Preisen Sie zufriedenzustellen.“
Damit war Martin Deibl an seinen Geburtsort zurückgekehrt, denn das Licht der Welt hatte der rührige Buchdrucker am 20. März 1883 in Rain erblickt. Der Name Deibl war in der Lechstadt schon längst geläufig. Martins Vater Anton war im Jahr 1856 ebenfalls dort geboren. Und noch ein weiteres Mal ist der Name Deibl im Rainer Standesamtsregister nachzublättern. Unter der Nummer 11/1880 wird von einem Daniel Deibl berichtet, 1833 in Hohenwart geboren und in der Tillystadt als Gastwirt der „Goldenen Gans“(heute Stadtsparkasse) bestens bekannt.
Und nun also, im Sommer 1927, hatte Martin Deibl wieder in den Schoß seiner Heimatstadt zurückgefunden. Drei Wochen nach seiner Ankunft machte er deutlich, dass er im nur 1600 Einwohner zählenden Ort für einen kleinen Farbtupfer sorgen wollte. Und so erschien am Donnerstag, 1. September 1927, die erste Ausgabe des „Rainer Stadt- und Landboten“, über dessen Sinn und Zweck Martin Deibl in diesem ersten Exemplar schrieb:
„Der kleine Bote soll ein echtes Lokalblatt, ein Heimatblatt, ein Bindeglied zwischen Rain und seiner Umgebung werden. Volkstümliche Heimatpflege, Ausschaltung politischer Streitigkeiten und Eintreten für das Wohl der Allgemeinheit, das sind die Richtlinien, nach denen das Blatt geleitet wird. Der Rainer Stadt- und Landbote wird nicht mit Parteitinte geschrieben und lässt sich auch vor keinen Parteikarren spannen, ganz gleich, ob dieser eine rote, schwarze oder scheckige Deichsel hat.“
Der Bote erschien einmal wöchentlich und machte sich schon bald einen guten Namen, weil die gezeichnete Figur, die da im Zeitungskopf mahnend den Zeigefinger hob, kein Blatt vor den Mund nahm. In der Ausgabe vom 20. Januar 1928 etwa schrieb Martin Deibl folgende Zeilen an einen imaginären „werten Spezl“:
„Es sind nun schon fünf Monate, dass mir der Münchner Boden zu heiß wurde und ich mein Wigwam in Rain aufgeschlagen habe. Dank meiner spießbürgerlichen Veranlagung habe ich mich sehr schnell eingewöhnt. (...) Gewiss, es gibt manchmal a so a Zwiderwurzn, die gleich die gekränkte Leberwurst spielt, wenn amol a Spaßl im Blattl drin steht. (...) In Rain hat sich gegen früher vieles verändert. Vorbei sind die Zeiten, wo man sich nur dem Suff hingab (...).“Und am 9. März 1928: „Werter Spezl, du schriebst, ob ich dir nicht einen Beruf weiß, bei dem du keine dreckigen Hände bekommst und doch etwas verdienst. Da du es mit der Wahrheit nie recht genau genommen hast und auch das Maul recht weit aufreißen kannst, wärst du sehr geeignet als Angeordneter.“
Dieses offene Ansprechen dessen, was manche nicht mal hinter vorgehaltener Hand zu flüstern wagten, hat dem Rainer Stadt- und Landboten freilich kein biblisches Alter beschert. Martin Deibl eckte mitunter an und hatte auch Beleidigungsklagen am Hals. Am Donnerstag, 30. März 1939, wurde die letzte Ausgabe gedruckt. Den Grund formulierte Martin Deibl auf Seite eins so:
„Das Reichs- und Preußische Ministerium des Inneren hatte mit einem Erlass für die deutsche Tagespresse auch dem Rainer Stadt- und Landboten den Garaus gemacht – die Neuburger Nationalzeitung verbreitet jetzt die vorgekaute Meinung.“
Die Buchdruckerei des Martin Deibl hatte an diesem Verbot natürlich arg zu beißen und auch die weiteren Kriegs- und Nachkriegsjahre waren kein Honigschlecken. Dennoch wurde die Buchdruckerei durch großen Fleiß immer leistungsfähiger – wobei jetzt Xaver, der älteste der Deibl-Kinder, längst die treibende Kraft war.
Ein entscheidender Schritt in der Entwicklung des Betriebs wurde im Jahr 1955 getan, als dort am Kirchplatz 6 ein neues Geschäftshaus mit eigenem Gebäude für die Druckerei errichtet wurde. Diese Vergrößerung erlebte Martin Deibl allerdings nicht mehr mit. Er war am 18. Juni 1954 gestorben.
So führte also sein Sohn Xaver den Betrieb allein weiter, unterstützt von Ehefrau Anneliese, die das angegliederte Schreibwarengeschäft ausbaute. Das Arbeitsgebiet der Druckerei hatte sich erheblich erweitert und reichte nun von einfachen Geschäftsdrucksachen bis hin zum aufwendigen Vierfarbendruck. Und auch der Rainer Stadt- und Landbote bekam einen Nachfolger – das „Rainer Anzeigenblatt“, jetzt kostenlos an alle Haushaltungen verteilt und inzwischen mit einer Auflage von 6100 Stück, wurde zu einem beliebten Werbeträger für Stadt und Umland.
Am 1. Januar 1980 gab es dann erneut einen Generationswechsel in der Buchdruckerei Deibl – der älteste Sohn trat in die Fußstapfen seines Vaters. Dieser stand immerhin kurz vor seinem 70. Geburtstag und übergab nun die Geschäfte an Franz, der den Beruf des Schriftsetzers von der Pike auf gelernt hatte und schon seit vielen Jahren im elterlichen Betrieb arbeitete. Jetzt also führte Franz Deibl die Druckerei zusammen mit seiner Ehefrau Inge (heute 66), die seit der Hochzeit 1973 schon im Ladengeschäft mitarbeitete und dieses nun 1980 federführend übernahm. Damit war das letzte Kapitel der Geschichte des Familienunternehmens aufgeschlagen, das freilich noch 36 Jahre dauern sollte. – Jahrzehnte, die von großem Wandel in der Rainer Geschäftswelt, aber auch von globalen Entwicklungen geprägt waren, die an dem Familienbetrieb nicht spurlos vorbei gingen.
„Nach dem Tod meines Vaters 1987 haben sich große Veränderungen in der Druckerei ergeben“, erzählt Franz Deibl. „Wir hatten sehr lange nur mit Hochdruckmaschinen gearbeitet und sind dann auf Offsetdruck, ein Flachdruckverfahren, umgestiegen. Es war für uns höchste Zeit, wir hatten damit ganz neue Möglichkeiten. Offset war schneller, besser zu handhaben und hat uns auch Bilddarstellungen vereinfacht.“
Und dann kam die digitale Entwicklung, die eine Revolution bedeutet hat – nicht nur zum Vorteil der kleinen Rainer Druckerei. Haben viele Kunden früher Bestellungen in Auftrag gegeben wie bedrucktes Briefpapier, mit Adressen versehene Kuverts, Visitenkarten, Rechnungsblöcke für Firmenrechnungen, Lieferscheinbücher und manches mehr, so war vieles plötzlich von Privatleuten selbst am Computer zu erledigen. „Ein gravierender Einschnitt in unserem Beruf“, sagt Franz Deibl.
Auch Veränderungen in der Rainer Geschäftswelt haben Konkurrenz bedeutet, die es zu den Anfangszeiten des Unternehmens nicht gegeben hat. Mitbewerber auf dem Markt hatten jetzt ebenfalls Schreibwaren im Angebot. „Wenn wir das Rainer Anzeigen-Blatt nicht gehabt hätten, gäbe es die Druckerei Deibl schon längst nicht mehr“, ist sich Franz Deibl sicher. Buchaufträge wie etwa historische Abhandlungen über die Stadt Rain, waren eher selten. Das Rainer Anzeigen-Blatt aber – im Volksmund auch „Deibl-Blatt“genannt – war auch jetzt in der dritten Generation etwas ganz Besonderes für die Bevölkerung.
Wie schon Martin und Xaver, so führte auch Franz Deibl dieses Druckwerk fort, beließ es aber ausschließlich bei Inseraten. „Ein redaktioneller Teil stand zwar durchaus einmal zur Debatte, aber damit hätten wir dann auch unsere Anzeigenpreise erhöhen müssen.“Zudem beherzigte Franz Deibl den wohlmeinenden Rat seines Vaters, sich nicht politisch zu engagieren. Inhaltlich nahm er folglich so gut wie nie Einfluss. Auch nicht auf die Anzeigentexte. Mit einer Ausnahme: Als sich zwei Kontrahenten im Deibl-Blatt einen fortwährenden Schlagabtausch lieferten, beschloss er irgendwann, diesen zu unterbinden.
Das Deibl-Blatt soll auch in Zukunft weitergehen. Wie genau und unter welcher Federführung – das wird derzeit noch verhandelt.
Abschließend sei noch wiedergegeben, was der erste der Deibl’schen Druckergeneration, Martin, in seiner Werbeschrift 1927 erklärt hatte:
„Was druckt Deibl nicht? Deibl druckt keine Geldscheine. Deibl druckt keine verbotenen Schriften. Deibl druckt sich
nicht vor der Arbeit.“Ein Leitsatz der in allen drei Generationen des Familienunternehmens beherzigt wurde – bis zuletzt.