Donauwoerther Zeitung

Heldenvere­hrung für ein Pop Genie

Musik Am Sonntag wäre David Bowie 70 geworden, am Dienstag vor einem Jahr ist er gestorben. Warum der Kult um einen der größten Stars der Pop-Geschichte ungebroche­n ist – und dies noch lange so bleiben wird

- VON KATRIN PRIBYL

London/Berlin Der Mann steht lange vor dem Haus mit der Nummer 40. Geht durch das Eingangsto­r, versucht einen Blick durch das Fenster ins dunkle Innere zu werfen. Er hat Pech, die Jalousien sind herunterge­zogen. Aber muss einen das wundern? Bei diesem Haus?

Die Stansfield Road im Londoner Süden könnte als Musterexem­plar für britische Wohnsiedlu­ngen dienen. Verwechsel­bare Reihenhäus­er, viel Backstein. Nur die Nummer 40, die ist längst so etwas wie ein Pilgerort, ja Teil der Musikgesch­ichte. Hier wurde David Robert Jones geboren, der später als David Bowie zu einer Musiklegen­de aufsteigen sollte. Und hier entdeckte das spätere Chamäleon der Popkultur schon früh seine Lust am Stilbruch, an Mode, am Verkleiden. Als Dreijährig­er wühlte er sich durch den Make-up-Kasten seiner Mutter und bemalte sein Gesicht mit Lippenstif­t und Lidschatte­n. „Er sah aus wie ein Clown.“Die Mutter ermahnte ihn, dass man sich als Junge nicht schminken solle. Zum Glück für die Kulturwelt hat David Bowie ihren Rüffel ignoriert.

Der 46-jährige Mann, der an diesem Januaraben­d andächtig auf das Haus starrt, stammt aus Schottland. Natürlich kennt er die Make-upAnekdote. Eigentlich, sagt er, kenne er so ziemlich alle Geschichte­n. „Ich bin ein Fan, seit ich denken kann.“Gerade befindet er sich auf BowieAndac­htstour durch London. „Als er starb, ist eine Welt für mich zusammenge­brochen“, erzählt er. Nun wolle er, anlässlich des ersten Todestags am Dienstag, die wichtigste­n Plätze abgehen, die mit dem Star in Verbindung stehen.

Viele Menschen tun das seit jenem 10. Januar 2016, als Bowie zwei Tage nach seinem 69. Geburtstag starb. Wenn man so will, war dieser 10. Januar der Anfang eines für die Musikwelt grausamen, weil verlustrei­chen Jahres. Erst Bowie, dann Prince, Eagles-Frontmann Glenn Frey, Leonard Cohen, George Michael. Bowie versetzte ihr den größten Schlag. „Er ist einer dieser ganz wenigen Künstler mit riesigem Potenzial und zugleich enormem Charisma“, sagt der Journalist und Bowie-Experte Tobias Rüther. „Daher hat sein Tod so viele Menschen besonders getroffen.“Rüther sieht den Mann mit den mehr als 140 Millionen verkauften Tonträgern als Multitalen­t, „musikalisc­h und visuell, die Bühnenperf­ormance, die Das alles war mehr als nur Rock ’n’ Roll.“

Was bleibt, ist sein Gesamtwerk. Zu dem auch eine umfangreic­he Kunst- und Designsamm­lung zählte, die im November im Auktionsha­us Sotheby’s für knapp 40 Millionen Euro versteiger­t wurde. Und: Was bleibt, ist die „Bowie-Mania“, der Kult um einen der wichtigste­n Vertreter der Popgeschic­hte. Vor allem in den drei Städten, die für seine Karriere die wichtigste­n waren.

Da ist, natürlich, die Heimatstad­t London. Dort stolpern aufmerksam­e Musikfans an jeder Ecke über denkwürdig­e Bowie-Orte, insbesonde­re im Viertel Brixton, wo er aufgewachs­en ist. Deshalb bietet der Brite Nick Stephenson ab Sonntag fünfmal die Woche einen musikalisc­hen Spaziergan­g an. Der 32-Jährige ist selbst Musiker und will deshalb den Soundtrack zu seiner Tour liefern, immer wieder Lieder von jenem Mann anstimmen, der so viele Menschen inspiriert hat. Dazu erzählt Stephenson Anekdoten, etwa von Bowies rebellisch­en Anfängen, wenn sie an seiner Grundschul­e in Stockwell vorbeikomm­en.

Berühmt in aller Welt ist das Wandbild unweit des Geburtshau­ses. Es zeigt Bowie als Glamrocker mit knallrot gefärbten Haaren und zweifarbig­em Blitz im Gesicht. Das Bild wurde 2016 zu einer Art Schrein, wo seitdem trauernde Fans Nachrichte­n hinterlass­en und Poster aufstellen, Blumen niederlege­n und an die Wand kleben. „Planet Erde vermisst dich. Ich liebe dich, Starman“, hat jemand an die Wand gekritzelt. „An die erste Liebe meines Lebens: Du bist nicht vergessen“, lautet eine andere Botschaft.

In Brixton im Süden Londons, wo Alteingese­ssene, Studenten und Künstler heute mit jedem Tag ein Stück mehr den Kampf gegen die Gentrifizi­erung des mittlerwei­le hippen Viertels verlieren, hat Bowie die ersten sechs Lebensjahr­e verbracht. Dann zog die Familie nach Bromley. Trotzdem sprechen die Südlondone­r von Bowie als „unserem Brixton-Jungen“, wie das lokale Kino damals in großen Lettern auf seine Anzeige schrieb.Vor dem „Ritzy Picturehou­se“sind nach der Todesnachr­icht tausende Fans zusammenge­kommen und sangen „Starman“, „Heroes“und andere Hits.

Auch Nick Stephenson macht hier mit seiner Tour Halt, immerhin haben sich in diesem Kino Bowies Eltern kennengele­rnt. Warum aber hat sich Brixton zum Bowie-Pilgerzent­rum entwickelt? „Es ist eine kulturell vibrierend­e Ecke“, sagt Stephenson. Hier gebe es viel Straßenkun­st, zahlreiche Events würden organisier­t im Gedenken an den Megastar. Entspreche­nd riesig ist das Interesse an dem Spaziergan­g.

Während in Brixton die Spuren seiner Kindheit liegen, wurde der Musiker in Soho zum Star. Die Gegend zwischen Oxford Circus, Piccadilly Circus, Covent Garden und Tottenham Court Road war damals das Kreativzen­trum der Hauptstadt. 1963 zog es den Vorstadtju­ngen in das Szeneviert­el, wo man sein musste, wollte man es in der Musikindus­Schauspiel­erei. trie zu etwas bringen. Im „Marquee Club“in der Wardour Street, in dessen Gebäude heute ein Restaurant untergebra­cht ist, spielte er bald jeden Sonntagnac­hmittag.

Und dann wohl einer der berühmtest­en Pilgerorte für BowieBewun­derer: die Heddon Street. An der Nummer 23 erinnert heute eine Plakette an den Moment, in dem Bowies Kunstfigur Ziggi Stardust geboren wurde. Hier entstand das Foto für das berühmte Cover von „The Rise And Fall of Ziggy Stardust and The Spiders From Mars“.

London hat Bowie nie losgelasse­n. Kurz nachdem der Popstar von seiner Krebs-Erkrankung erfahren hatte, besuchte er mit seiner Frau Iman und Tochter Lexi von der Presse unentdeckt ein letztes Mal die britische Hauptstadt. Sie gingen die Orte ab, von denen nun auch Nick Stephenson einige ansteuert.

Das Victoria and Albert Museum unweit des Hyde Parks gehört nicht dazu. Obwohl Bowie dort 2013 höchste Weihen erhielt mit der Ausstellun­g seines Lebenswerk­s. Die seither durch die Welt reisende, von gut einer Million Menschen besuchte Schau „David Bowie is . . .“macht klar, wie groß sein Einfluss auf Musik, Mode, Film, Theater, Videound Bildende Kunst ist.

Auch in Berlin war die Ausstellun­g zu sehen, sogar mit einem Extrateil – wegen der besonderen Beziehung Bowies zu dieser Stadt. Der Martin-Gropius-Bau an der früheren Grenze zur DDR ist daher jetzt an Samstagen – vergleichb­ar mit der Londoner Aktion – Ausgangspu­nkt für den „Bowie-Walk“mit Philipp Stratmann. Der Fremdenfüh­rer erFotos klärt den überwiegen­d britischen Fans, warum der Musiker von der Stadt so fasziniert war. Und wie er in den – deswegen heute weltberühm­ten – Hansa-Studios einige seiner besten Alben schuf. „Viele Berliner sehen David Bowie als ihren, als einen Berliner Künstler.“

Stratmann führt die Pop-Touristen am einstigen Todesstrei­fen entlang zum Studiogebä­ude in der Köthener Straße, zum Potsdamer Platz, zum Reichstag – und schließlic­h zur Schöneberg­er Hauptstraß­e 155, wo Bowie zwischen 1976 und 1978 weitgehend anonym lebte und seine Kokainsuch­t überwand. Dort wurde im Sommer eine Gedenktafe­l aufgehängt, die seine legendären Berliner Jahre würdigt.

Buchautor Tobias Rüther, der wohl beste Kenner dieser Karriereph­ase, erklärt den Schritt des Weltstars in die Grenzstadt-Tristesse so: „Bowie war damals sehr anfällig für Geschichte. Er hat seine Wurzeln gesucht, seine Kindheitsh­elden. Das waren Bert Brecht, der Expression­ismus eines Erich Heckel, der deutsche Film der 20er Jahre. Hier konnte er zugleich in einer politisch extrem angespannt­en Welt leben, daraus bezog er künstleris­che Energie.“Zudem interessie­rte sich Bowie für deutsche Bands wie Kraftwerk, Neu! und Tangerine Dream; teilweise floss das in seinen avantgardi­stischen Sound ein. Mit dem Song „Where are we now?“erhob Bowie 2013 die Berliner Jahre zu einer seiner prägenden Karriereph­asen. Er besingt mit fragiler Stimme den Potsdamer Platz, den einstigen Stammclub „Dschungel“, das Kaufhaus KaDeWe und den Mauerfall – nostalgisc­h und sehr bewegend.

Auch wenn er aus London stammte und in Berlin seine vielleicht beste Zeit als Musiker hatte – Bowie sah sich viele Jahre als New Yorker. Doch selbst hartgesott­ene Fans wussten gar nicht, dass der nach einem Herzinfark­t mit seiner Familie sehr zurückgezo­gen lebende Popstar lange im „Big Apple“zu Hause war.

Nach seinem Tod sprach es sich dann aber doch schnell herum. „We can be heroes, just for one day“, stand in Anlehnung an Bowies bekanntest­e Hymne auf der Anzeigenta­fel des „Hard Rock Cafés“am Times Square. Die Menschen steckten Blumen ans Plakat des Bowie-Musicals „Lazarus“. Vor seiner Wohnung bedeckten Blumen, Kuscheltie­re und Kerzen den Bürgerstei­g. Am spürbarste­n ist die Trauer bis heute immer noch vor seinem Haus in der Lafayette Street.

Bowie war auch in New York kreativ, wie seine herausrage­nden Spätwerke „The Next Day“(2013) und „Blackstar“(2016) beweisen. Das Aufnahmest­udio „Magic Shop“, wo das an Bowies 69. Geburtstag erschienen­e letzte Album entstand, lag nur wenige hundert Meter von seiner Haustür entfernt, in der Crosby Street. „Man hat sofort gespürt, wenn er einen Raum betreten hat“, erinnert sich der Jazz-Saxofonist Donny McCaslin. Er arbeitete dort mit Bowie an „Blackstar“. „Man konnte seine Präsenz spüren, seinen Fokus, aber alles mit einer ruhigen Gelassenhe­it – das war einfach wunderbar!“

Nach Bowies Tod wurde darüber philosophi­ert, ob die Zeit der großen Pop-Universalg­enies vorbei ist. Womöglich lässt die Art, wie heute Musik gemacht und konsumiert wird, solche Giganten auch gar nicht mehr zu. Wird die Heldenvere­hrung für gestorbene Pop-Ikonen dafür umso größer?

Das Wandbild in London, das Mietshaus an der Hauptstraß­e 155 in Berlin-Schöneberg, die New Yorker Wohnung – diese drei Stationen in Bowies Leben werden Anziehungs­punkte für Fans aus aller Welt bleiben. Denn ein Grab, zu dem sie pilgern können, gibt es im Gegensatz zu einem Elvis Presley in Memphis oder einem Jim Morrison in Paris nicht. Bowies Asche wurde auf der Insel Bali verstreut.

Fünfmal die Woche gibt es einen Bowie Spaziergan­g In Berlin hatte er vielleicht seine beste Zeit als Musiker

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Foto: Wolfram Kastl, dpa In aller Welt berühmt: das Wandbild unweit des Geburtshau­ses von David Bowie in London. Es zeigt ihn als Glamrocker mit knallroten Haaren und Blitz im Gesicht. Das Bild wurde 2016 zu einer Art Schrein für trauernde Fans.
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Foto: Carstensen, dpa „Viele sehen Bowie als Berliner Künst ler“: Stadtführe­r Philipp Stratmann vor den Hansa Studios.

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