„Vollkommen aus dem Häuschen“
Elbphilharmonie Der Dirigent Thomas Hengelbrock spricht über die Akustik in dem großen Konzertsaal
Sie kennen zahlreiche Konzertsäle im In- und Ausland. Wie würden Sie den Großen Saal der Elbphilharmonie, den Sie am Mittwochabend mit dem NDR-Elbphilharmonie-Orchester offiziell einweihen, klassifizieren? Als einen der besten der Welt? Thomas Hengelbrock: Das ist er mit Sicherheit. Er ist traumhaft schön geworden. Wir sind seit dem 2. September mit dem ElbphilharmonieOrchester im Saal. Die Musiker sind seit der ersten Probe wie verwandelt.
Lassen sich in der Akustik des Großen Saals nun Dinge verwirklichen, die in anderen Sälen nicht möglich wären? Ein noch zarteres Piano vielleicht .. . Hengelbrock: Ganz sicher. Es gibt verschiedene großartige Aspekte. Zunächst einmal, dass Sie Musik in einer unglaublichen dynamischen Bandbreite spielen können. Sie können hier vom leisesten Pianissimo bis zum stärksten Fortissimo alles wagen. Zudem werden alle Instrumentenfarben sehr naturgetreu abgebildet. Die Trennschärfe zwischen den einzelnen Farben ist hoch. Zugleich strahlt der Gesamtklang Wärme aus. Gut fürs Publikum: Sogar auf den preisgünstigsten Plätzen hört man phänomenal gut. Es gibt keine schlechten Plätze.
Das Publikum sitzt ja rund um das Orchester. Ist das für den Dirigenten nicht ein bisschen ungewohnt, wenn er auf allen Seiten Zuhörer hat? Hengelbrock: Es werden immer mehr Säle so gebaut, etwa die im Januar 2015 eröffnete Pariser Philharmonie. In Hamburg beginnen die Publikumsplätze sehr dicht am Orchester und steigen dann recht steil an. Sie haben hier durchaus nicht das Gefühl, in einem riesigen Konzertsaal mit 2100 Plätzen zu sitzen. Als Hörer sind Sie sehr dicht am Geschehen dran. Das ergibt eine tolle Atmosphäre.
Und wie empfinden Sie und die Musiker das? Hengelbrock: Man fühlt sich fast wie auf einem Silbertablett. Jeder Musiker wird präsentiert. Dadurch, dass das Publikum um das Orchester angeordnet ist, sitzen die Menschen direkt hinter dem Paukisten, dem Schlagwerk oder links und rechts hinter den Ersten und Zweiten Geigen – und zwar direkt hinter den letzten Pulten der Geigen. Diese Musiker sitzen näher am Publikum als am Konzertmeister. Das ist eine Herausforderung, aber auch eine schöne Aufgabe. Dieser direkte Kontakt, den wir vorher in der Laeiszhalle nicht hatten, sorgt auch für einen großen Motivationsschub im Orchester.
Und Sie glauben, dass das Publikum den Aufwand, etwa die Lagerung des Saals auf Federpaketen, tatsächlich hört? Hengelbrock: Absolut. Ich glaube, dass die Elbphilharmonie ein ganz neues, faszinierendes und auch tief emotionales Musikhören ermöglicht. Es waren ja schon Zuhörer bei den Proben, und die sind vollkommen aus dem Häuschen. Selbst Leute, die zuerst dagegen waren, sind begeistert.
Wird das Eröffnungskonzert am 11. Januar das wichtigste Ihrer Karriere? Hengelbrock: Das weiß ich nicht. Für mich war der 2. September der wichtigste Termin, als wir zum ersten Mal mit dem Orchester hier gespielt haben. Stellen Sie sich vor, das wäre alles nicht gelungen! Dann wäre es jetzt ganz schwierig. Man hätte unglaublich arbeiten müssen, man würde dann sozusagen sehenden Auges auf eine Eröffnung zusteuern, von der man sich vielleicht nicht so viel verspricht. Ich freue mich ganz einfach auf den 11. Januar und die vor mir liegende Saison. Ich dirigiere hier in den nächsten Monaten an die 70 Konzerte.
Interview: Ralph Heringlehner
Thomas Hengelbrock, 58, ist seit 2011 Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters in Hamburg – das Orchester, das seinen Stammsitz in der Elbphilhar monie in Hamburg beziehen wird.