Frühstück für die Ärmsten
Interview Uschi Glas ist längst nicht mehr nur die populäre Schauspielerin, sondern setzt sich seit Jahren für benachteiligte Kinder ein. Sie erzählt, warum ihr dieses Engagement wichtiger ist, als einen guten Film zu drehen
Servus Frau Glas, haben Sie heute schon eine gscheide Brotzeit gegessen? Uschi Glas (lacht): Soll ich Ihnen die Wahrheit sagen?
Ich bitte darum. Glas: Ich war heute früh beim Zahnarzt. Dann habe ich mich gleich in die Arbeit gestürzt und tatsächlich noch nichts gegessen. Aber nach dem Gespräch hole ich das nach – versprochen!
Sie engagieren sich seit vielen Jahren ehrenamtlich in Projekten. Eines, das Ihnen am Herzen liegt, ist „BrotZeit“, wo die von Ihnen und Ihrem Mann gegründete Organisation dafür sorgt, dass Kinder in der Schule etwas Vernünftiges zum Frühstück bekommen. Glas: Ja, das ist mir ein Anliegen. Wir versorgen inzwischen Schulen in München, Berlin, Hamburg, Leipzig, Heilbronn, Duisburg, Nürnberg, Braunschweig, Wolfsburg. Wir haben also acht Leuchttürme.
Wie viele Kinder und Schulen versorgen Sie dabei? Glas: 185 Schulen und täglich rund 8500 Kinder. Wir haben das Wort Brotzeit in zwei Teile geteilt. Einerseits geben wir Brot, also ein Frühstück, und andererseits Zeit. Das heißt, in Freistunden am Nachmittag fördern wir die Kinder in ihren Schwachstellen. Wir organisieren aber auch Vorlesestunden oder wir richten alte Schulgärten her, säen und ernten später gemeinsam. Wir organisieren also eine allgemeine Rundumbetreuung für die Kinder.
Warum ist in einer Zeit des Überflusses so ein Projekt überhaupt notwendig? Glas: Ja, ich muss Ihnen sagen, als ich 2008 gehört habe, dass es in der reichen Stadt München zwischen 3000 und 5000 massiv hungernde Grundschulkinder gibt, hat mich das umgehauen. Ich dachte, das gibt es doch nicht. Da reifte der Gedanke, da muss man etwas dagegen tun. Das ist eine Parallelgesellschaft, die unsereins im normalen Alltag gar nicht mitbekommt. Es macht mich immer wieder fassungslos.
Was läuft falsch in einer Gesellschaft, wenn Kinder nicht einmal das Elementare von ihren Eltern bekommen – nämlich Essen und Trinken? Glas: Um ein bisserl gerecht zu sein. Wir haben natürlich auch sehr viele Kinder von Alleinerziehenden im Projekt, die vielleicht früh raus müssen oder Schichtdienst haben. Tatsache aber ist schon, dass es in vielen Familien nicht mehr eingesehen wird, dass Frühstück und Pausenbrot etwas sehr Wichtiges sind. Was passiert an den Schulen? Glas: Die Schulleiter sagten mir damals bei den ersten Gesprächen, die Kinder seien aggressiv und erschöpft, oft hätten sie Bauchschmerzen. Die einen schliefen im Unterricht ein, die anderen müssten ins Krankenzimmer. Dort bekämen sie einen Zwieback und etwas zu trinken. In der Tat sind die oft völlig unterzuckert. Anfangs haben wir die Kinder mit Notfallboxen mit Butterkeksen, Müsliriegel oder Zwieback versorgt.
Wie waren Sie als Mutter, hatten Ihre Kinder täglich eine Brotzeitbox dabei? Glas: Immer. Die haben alles Mögliche gekriegt, immer bunt gemischt. Bei meinen Kindern wares so, dass andere ihnen das Pausenbrot wieder einmal geklaut haben. Wahrscheinlich geschah das damals schon aus Hunger.
Welche Kinder werden denn „BrotZeit“betreut? Glas: Kinder, die wir betreuen, sind oft Kinder, deren Eltern bereits in der dritten Generation Sozialhilfe beziehen. Wir haben als Gesellschaft versäumt, die mit an die Hand zu nehmen und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie zu uns gehören. Vor lauter Toleranz, vielleicht war es auch Ignoranz, haben wir einfach
bei nicht hingeschaut. Das sollte bei den Flüchtlingen anders laufen. Und vor allem müssen wir uns aber auch um die kümmern, die seit Jahrzehnten bei uns leben und wo Oma und Opa noch immer kein Deutsch können.
Erhalten Sie ausreichend Förderung? Glas: Ja, wir wollen auch die Länder mit ins Boot holen. Das ist uns in Bayern nach zäher Arbeit gelungen. Der Freistaat Bayern beteiligt sich zu 40 Prozent. In Hamburg ist es besser. Da können wir in Kürze die gesamten Brennpunktschulen abdecken. Jetzt sind wir mit Sachsen in Verhandlung. Mein größter Wunsch wäre es, eine Situation zu schaffen, dass Hunger kein Grund mehr ist, warum Kinder nicht am Unterricht teilnehmen können.
Wer verteilt denn das Essen? Da sind die Schulen doch überfordert? Glas: Das machen Senioren, Menschen, die nicht mehr im Beruf stehen. Über 1000 Senioren unterstützen uns. Das ist großartig. Wir haben das große Glück, diese Menschen zu haben. Und es ist eine wunderbare Symbiose. Viele unserer Mitarbeiter sagen: „Endlich habe ich wieder einen Lebensinhalt.“
Kennen Sie das Gefühl, benachteiligt zu sein, wie es diese Kinder sind? Glas: Oh ja. Das war nicht dramatisch, aber ich bin als Kind eines evangelischen Vaters im niederbayerischen Landau aufgewachsen. Da ist mir sehr schnell aufgefallen, dass wir anders sind – evangelisch, nicht katholisch. Da fühlst du dich bald ausgegrenzt. Und dann hatte ich noch einen dunklen Teint, da war ich das Negerlein. Ich will nicht rumjammern, aber ich weiß, was es heißt, ein Außenseiter zu sein.
Was verschafft einem mehr Befriedigung: Brot streichen oder einen tollen Film drehen? Glas: Ich drehe gerne Filme und liebe meinen Beruf. Aber ich muss sagen, wenn ich ehrlich mit mir bin: Jedes gerettete Kind, sei es, dass es einen Abschluss schafft oder eine höhere Schule, das ist für mich ein Sieg.
Apropos Film: Gibt es da etwas Neues? Glas: Wir sind gerade an zwei Drehbüchern dran. Das eine wird hoffentlich bald finalisiert. Ich muss allerdings auch zugeben, dass ich die Schauspielerei ein bisserl nebenher laufen lasse, weil mich „BrotZeit“so beschäftigt. Das ist mir halt gerade wichtiger. Ich hoffe, dass ich wieder drehen kann, es fehlt mir schon.
Sie sind mit dem „Prix Courage“ge- ehrt worden. Ist Ihnen so eine Auszeichnung Bestätigung für Ihr Tun? Glas: Es freut mich natürlich, weil ich glaube, dass dadurch unser Anliegen mehr Öffentlichkeit bekommt. Es wäre so wichtig: Es gibt in München Kinder, die waren noch nie am Marienplatz, oder andere, die waren noch nie in einem Wald. Da kann man so viel tun.
Sie hatten ein außerordentlich erfolgreiches Leben. Trotzdem: Wenn Sie noch einmal die Chance hätten, in Ihrem persönlichen Drehbuch etwas umzuschreiben, was würden Sie ändern? Glas: Ach, da erwischen Sie mich am ganz falschen Eck. Ich sage mir immer: Ich kann eh nix zurückdrehen. Das Wort „hätte“kann man sofort streichen. Ich kann nur versuchen, aus den Erfahrungen zu lernen und es in der Gegenwart besser zu machen. Die Gegenwart mit Vergangenheit zu besetzen ist verlorene Zeit. Interview: Josef Karg
info Ursula Helga (Uschi) Glas, 72, ist in Landau an der Isar geboren. Sie er regte mit dem Film „Zur Sache Schätzchen“1968 die Republik. Seitdem ist sie im mer wieder als couragierte Frau zu sehen. 2008 gründete sie mit ihrem Mann die Organisation „BrotZeit“und unterstützt damit erfolgreich in verschiedenen deutschen Städten bedürftige Kinder.