Donauwoerther Zeitung

Er lässt es krachen

Porträt Ob Feuer aus einem Blecheimer oder die wachsende Pinocchio-Nase: Im siebten Stock des Münchner Residenzth­eaters bastelt Elektromei­ster Robert Stoiber an ungewöhnli­chen Erfindunge­n

- VON SEBASTIAN MAYR

München Die Schauspiel­erin auf der Bühne des Münchner Residenzth­eaters schabt zwei Messer aneinander. Sie tritt einen Schritt zurück und pustet kräftig in Richtung eines Blecheimer­s. Eine Stichflamm­e gleißt. Drei Reihen Kinder auf Klappsesse­ln zucken zusammen. Doch nicht die Schauspiel­erin hat das Feuer zum Brennen gebracht. Sondern Robert Stoiber. Er steht im siebten Stock über dem Geschehen. Er dreht die Flamme eines Bunsenbren­ners auf und lässt blassgelbe­s Pulver darüber rieseln. Lycopodium. Das Licht gleißt wie im Eimer. Stoibers Reich beginnt hinter einer roten Metalltür: Raum 710, Rüstkammer, Werkstatt. Der Aufzug führt nur bis in die vierte Etage. Stoiber steigt jeden Tag mehrmals 51 Stufen zusätzlich hinauf. Robert Stoiber, 46 Jahre alt, breite Schultern, runder Bauch und ein fein rasierter Bart um Mund und Kinn, ist einer von zwei Rüstmeiste­rn am Residenzth­eater. Seit 16 Jahren Herr über die größte Waffenkamm­er aller Theater in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz und mehr: Requisiten­bastler, Erfinder, Daniel Düsentrieb des Residenzth­eaters. Er lässt es krachen, blitzen, brennen.

Stoiber legt eine Messingfor­m an einen spitz zulaufende­n Edelstahlk­egel und klopft sie mit dem Holzhammer rund. Ein Fingerring entsteht. Auf den Werkbänken liegen Schraubenz­ieher, Zangen, Scheren, Kabelbinde­r, Prüfgeräte und eine alte Schreibmas­chine. „Das Chaos beherrscht die Welt“, sagt Robert Stoiber und greift gezielt nach einer dünnen braunen Kunststoff­platte. Aus ihr hat er für das Stück „Robin Hood“einen Effekt gebaut, der nicht auffallen soll: Eine Pfeilspitz­e, die sich eine Schauspiel­erin auf den Finger steckt. Der Pfeil darf die Zuschauer nicht treffen. Deswegen legt die Schauspiel­erin keinen auf, lässt nur die Sehne des Bogens schnalzen und klappt den Finger mit der aufgesteck­ten Pfeilspitz­e ein. Die Kin- der, die das Stück ansehen, legen die Köpfe in den Nacken. Ein weißer Plüschvoge­l fällt von oben auf die Bühne. Die Kinder lachen.

Fast täglich ist die Rüstkammer besetzt, von acht am Morgen bis nachts, wenn die Aufführung­en enden. Stoiber und sein Kollege Peter Jannach arbeiten in zwei Schichten. Der 46-Jährige war früher Elektromei­ster und ließ sich für die Effektmach­erei zum Pyrotechni­ker schulen. Wenn er von seiner Arbeit am Theater spricht, werden seine Augen größer und die Brauen wandern ein Stück näher zu den kurzen schwarzgra­uen Haaren. „Mein Beruf ist der Traum von jedem Mann“, sagt er. „Du kannst basteln, zündeln, experiment­ieren.“Fast jedes „h“in seinen Sätzen wird zu einem „ch“, das tief aus der Kehle kommt. Robert Stoiber ist in Kroatien geboren.

In der Werkstatt im siebten Stock zeigt eine Gipsbüste Stoibers Gesicht und ein Foto seinen tätowierte­n Rücken. Das eine: ein Modell für eine Bastelei. Das andere: „Eine Jugendsünd­e.“Der Rüstmeiste­r grinst. Vor Kurzem hat er zwei weitere Fotos aufgehängt. Eins zeigt ihn mit seiner Familie, das andere mit einem Mann ohne Haare. Robert Stoibers Züge werden wieder glatt. Es ist nicht lang her, dass seine Mutter gestorben ist und ein Freund, der krebskrank war.

Auch Robert Stoiber ist dem Tod nah gewesen. Ein Motorradun­fall. Vier Monate Koma, acht Monate Krankenhau­s. Er war 28. Danach: „Rentner, ich war behindert.“Seine linke Seite war zertrümmer­t, als Elektronik­er konnte er nicht mehr arbeiten. Zwei Jahre nach dem Unfall suchte das Residenzth­eater eine Aushilfe. Stoiber stellte sich vor und bastelte einen silberfarb­enen Reif mit bunten Steinen. Zwei Minuten brauchte er dafür. Er blieb.

Das Theater wirft nichts weg, den Reif nicht und keine andere Requisite. In der Rüstkammer liegen Helme, Waffen und Brustpanze­r in nummeriert­en Schränken. Und in einem Nebenraum die Erfindunge­n. Die Pinocchio-Nase, die wachsen kann. Die Torte, die explodiert. Die Maschine, die Papierblät­ter schießt. Die Materialie­n: Feuerwerks­körper. Säuren und Pulver. Blech, Pappe, Plastik, Messing, Silber, Gold. Wärmflasch­en, Luftballon­s, Milchreis, zerlegte Modellauto­s und Kartuschen für Silikonspr­itzpistole­n.

Die Tricks am Theater sind anders als in Hollywood. „Das Schlimmste ist, wenn Regisseure Filme sehen, zum Beispiel Rambo, und dann das gleiche wollen. Das geht nicht“, sagt Stoiber. Seine Erfindunge­n halten nicht nur einen Dreh aus, sondern 50 Aufführung­en oder mehr. Er selbst geht nicht oft ins Kino. Seine Frau hat keine Lust, dass er immer jeden Effekt erklärt.

 ?? Foto: Matthias Horn ?? Wenn es im Residenzth­eater krachen, donnern, blitzen oder brennen soll, dann sind Robert Stoiber und seine Kollegen aus der Rüstkammer gefragt. So wie hier bei der Inszenieru­ng von „Faust“mit dem Schauspiel­er Werner Wölbern.
Foto: Matthias Horn Wenn es im Residenzth­eater krachen, donnern, blitzen oder brennen soll, dann sind Robert Stoiber und seine Kollegen aus der Rüstkammer gefragt. So wie hier bei der Inszenieru­ng von „Faust“mit dem Schauspiel­er Werner Wölbern.
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Robert Stoiber

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