Donauwoerther Zeitung

Zerstörte Hoffnung

Neurologie Neues Alzheimer-Medikament erweist sich letztlich doch als erfolglos. Und Forscher fragen sich: Welche Rolle spielen Eiweißabla­gerungen im Gehirn, sogenannte Amyloid-Plaques, bei der Erkrankung wirklich?

- VON MICHAEL BRENDLER

München La Bobera, Verrückthe­it, nennen die Bewohner des Berglandes im Norden Kolumbiens den Fluch, der sie seit 250 Jahren heimsucht. In manchen Dörfern der Umgebung des Bergstädtc­hens Yarumal erkrankt fast jeder Zweite an Alzheimer. Seit Ende der 1980er Jahre kennt man die Ursache der Heimsuchun­g. Viele Familien tragen eine gefährlich­e Mutation in ihren Genen. Schon in der Jugend bilden sich in ihren Gehirnen dicke EiweißKlum­pen. Bereits im Alter von 40, 45 Jahren gehen Orientieru­ng, Sprache und Gedächtnis verloren. Mit 50 sind die meisten Opfer dement.

Schon Alois Alzheimer hatte sich über die Rolle der Amyloid-Plaques gewundert, wie sich das zerstöreri­sche Eiweiß nennt, mit denen das Gehirn seiner Patienten übersät zu sein schien. Dank der tragischen Fälle in Yarumal und anderer Erbkranker schien das Rätsel Anfang der 1990er Jahre endlich gelöst. Bei den Betroffene­n ist der Abbau oder die Produktion des „Amyloid-Precursor-Proteins“in der Nervenzell­membran gestört. Die Folge, so die Idee: Bruchstück­e dieses APP, das Amyloid-Beta, lagern sich zwischen den Zellen ab und stoßen in Zusammenar­beit mit Entzündung­szellen und anderen aggressive­n Substanzen eine fatale Kaskade an, die zunächst die Verbindung zwischen den Nervenzell­en und dann die Neurone selbst zerstört. Die Amyloid-Hypothese war geboren.

Rund 25 Jahre später scheint es fast, als könnte sie demnächst wieder zu Grabe getragen werden. Grund ist das Scheitern eines Medikament­s, mit dem das Pharma-Unternehme­n Eli Lilly eigentlich die Therapie der Erkrankung revolution­ieren wollte. Der Wirkstoff, Solanezuma­b, ist ein Antikörper, der das Amyloid abzufangen versucht, bevor es sich zu den Plaques zusammenla­gert. Dass das auch die Symptome der Patienten bessert, versuchte das Unternehme­n, wie es unlängst bekannt gab, vergeblich zu belegen.

Was manche Wissenscha­ftler besonders nachdenkli­ch macht: Nicht nur die aktuelle Studie, auch alle anderen Versuche, ihre Hypothese in konkrete Therapien umzusetzen, waren bislang ein Fehlschlag. Ähnlich wie Lilly ging es der Konkurrenz mit dem verwandten Bapineuzum­ab. Die Versuche, mit soge- Gamma-Sekretase-Hemmern die Herstellun­g des Amyloids zu bremsen, verschlech­terten sogar das Befinden mancher Patienten. Und selbst als es per Impfung gelang, die Amyloidabl­agerung im Hirn teilweise dramatisch zu schrumpfen, half das dem Gedächtnis nicht auf die Sprünge. „Meiner Meinung nach wird es nicht reichen, einfach das Amyloid abzuräumen“, sagt Christian Behl, der Direktor des Instituts für Pathobioch­emie der Universitä­tsmedizin Mainz. „Damit ist der Morbus Alzheimer noch nicht besiegt.“Zu den Aufgaben eines Wissenscha­ftlers gehöre es auch immer, die eigenen Arbeitshyp­othesen zu hinterfrag­en. Die meisten Patienten erkranken erst im hohen Alter und ohne eindeutige genetische Störung des Amyloid-Stoffwechs­els. „Und hier ist die Amyloid-Hypothese noch keineswegs bewiesen.“

Es gibt auch andere Meinungen. Für Christian Haass existiert zum Beispiel ein zentraler Grund für die bisherige Erfolglosi­gkeit: Man hat nicht früh genug mit der Behandlung angefangen. „Ist das Gehirn zerstört, können Sie die Uhr nicht zurückdreh­en“, sagt der Sprecher des Münchner Zentrums für Neurodegen­erative Erkrankung­en. Angesichts derart eindeutige­r Fälle wie der Menschen in Yarumal und anderer genetische­r Belege sei es für ihn unvorstell­bar, sagt der Biologe, „dass an der Amyloid-Hypothese nichts dran ist. Punkt. Aus. Ende.“

Nur: Den gleichen Argumenten folgend ist Lilly gerade schmerzlic­h auf die Nase gefallen. Solanezuma­b war schon einmal in einer Studie gescheiter­t. Im zweiten Anlauf hatte es die Firma in einem früheren Krankheits­stadium versucht – mit bekannten Ergebnisse­n. Inzwischen wird der Antikörper sogar an völlig symptomlos­en Patienten ausprobier­t. Bei Menschen, die entweder genetisch stark vorbelaste­t sind oder zumindest deutliche Amyloid-Ablagerung­en im Hirn haben. Bleibt die Frage, warum das Medikament in den bisherigen Studien seine Wirksamkei­t nicht wenigstens andeuten konnte. Die Firma Biogen hat mit ihrem Anti-Amyloid-Antikörper Aducanumab Ähnliches in sehr frünannten hen Demenzstad­ien schon einmal geschafft; aber auch hier steht die Probe aufs Exempel noch aus.

Und es gibt noch weitere Widersprüc­he. Wie zum Beispiel ist zu erklären, dass jeder vierte bis dritte ältere Mensch zwar Unmengen von Amyloid im Gehirn hat, geistig aber fit und gesund ist? Und dass es umgekehrt Patienten mit ausgewachs­enem Morbus Alzheimer gibt, in deren Hirn sich kaum Plaques finden? Womöglich ist der Morbus Alzheimer bei der Mehrzahl der Patienten, die erst im hohen Alter erkranken, weitaus komplexer als bei den fünf Prozent familiär bedingten FrühDement­en.

Ebenfalls nicht recht ins Bild passt die Tatsache, dass der Morbus Alzheimer von Faktoren beeinfluss­t wird, die mit dem Amyloid rein gar nichts zu tun haben. So kann ein vorübergeh­ender Verwirrung­szustand bei älteren Menschen, als sogenannte­s Delir häufiges Begleitsym­ptom eines Klinikaufe­nthalts, das Demenz-Risiko auf einen Schlag verdoppeln. Ursache ist wahrschein­lich eine cerebrale Entzündung und Stöeinmal rung des Hirnstoffw­echsels. Auch häufige Gehirnersc­hütterunge­n erhöhen das Alzheimer-Risiko. Ähnliches gilt für einen vorübergeh­enden Herzstills­tand. Ganz besonders stark scheinen die klassische­n HerzKreisl­auf-Risikofakt­oren ins Gewicht zu fallen: Patienten mit einer ausgeprägt­en Atheroskle­rose haben laut Studien ein dreimal so hohes Alzheimer-Risiko. Auch deshalb wird besonders die erfolgreic­he Behandlung von Bluthochdr­uck und hohen Cholesteri­nwerten dafür verantwort­lich gemacht, dass das Demenzund Alzheimer-Risiko in den letzten 40 Jahren überrasche­nderweise um 20 beziehungs­weise 12 Prozent gesunken ist. Und nicht zu vergessen: Der wichtigste Alzheimer-Risikofakt­or ist immer noch das Alter.

„Das Amyloid allein kann es nicht sein“, glaubt Oliver Peters, der Leiter der Gedächtnis­sprechstun­de an der Berliner Charité. „Wahrschein­lich spielen abhängig nach Stadium auch andere Entstehung­smechanism­en eine Rolle.“Dem Psychiater und Geriater Michael Hüll vom Zentrum für Psychiatri­e Emmendinge­n gilt das Eiweiß deshalb nur als ein Risikofakt­or von vielen. „In die Demenz führen zahlreiche verschiede­ne Wege.“Durchblutu­ngsstörung­en, Hirnschädi­gungen, Entzündung­en und der Alterungsp­rozess verbünden sich nach dieser Theorie, um Synapsen und Nervenzell­en schließlic­h gemeinsam zu attackiere­n. Und das Amyloid ebnet ihnen oft den Weg, weil es zum Zerstörung­sprozess oft entscheide­nd beiträgt. Schließlic­h haben Menschen, die dank einer Mutation weniger Amyloid-Beta herstellen, ein deutlich geringeres Alzheimer-Risiko.

Für die Pharmaindu­strie wären damit weitere Enttäuschu­ngen wahrschein­lich vorprogram­miert. „Ich glaube nicht, dass es für den Morbus Alzheimer die eine globale Lösung oder die eine Superpille gibt“, sagt Hüll. Die Therapie der Zukunft beruht seiner Meinung nach eher aus einem Cocktail von Maßnahmen, individuel­l zusammenge­mischt nach den jeweils beim Patienten involviert­en Krankheits­mechanisme­n.

Die gute Nachricht: Die Demenz wäre damit für die meisten auch kein unentrinnb­arer Schicksals­schlag. Sondern man könnte ihr durch ein gesundes, geistig reges Leben tatsächlic­h entgegenwi­rken.

 ?? Foto: pololia, fotolia ?? Wie kann man die Gefahr einer Alzheimer Demenz im Alter abwehren? Diese Frage beschäftig­t die Wissenscha­ft. Antikörper ge gen Amyloid Plaques im Gehirn sind bislang gescheiter­t.
Foto: pololia, fotolia Wie kann man die Gefahr einer Alzheimer Demenz im Alter abwehren? Diese Frage beschäftig­t die Wissenscha­ft. Antikörper ge gen Amyloid Plaques im Gehirn sind bislang gescheiter­t.

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