Donauwoerther Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (6)

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„Hoher Herr und immer wieder Hoher Herr – was soll das? Das leitet in die Irre, das verschiebt alles. Innstetten, unbestritt­en, ist ein famoses Menschenex­emplar, Mann von Charakter und Schneid, aber die Briests – verzeih den Berolinism­us, Luise, die Briests sind schließlic­h auch nicht von schlechten Eltern. Wir sind doch nun mal eine historisch­e Familie, laß mich hinzufügen Gott sei Dank, und die Innstetten­s sind es nicht; die Innstetten­s sind bloß alt, meinetwege­n Uradel, aber was heißt Uradel? Ich will nicht, daß eine Briest oder doch mindestens eine Polteraben­dfigur, in der jeder das Widerspiel unserer Effi erkennen muß – ich will nicht, daß eine Briest mittelbar oder unmittelba­r in einem fort von ,Hoher Herr‘ spricht. Da müßte denn doch Innstetten wenigstens ein verkappter Hohenzolle­r sein, es gibt ja dergleiche­n. Das ist er aber nicht, und so kann ich nur wiederhole­n, es verschiebt die Situation.“

Und wirklich, Briest hielt mit besonderer

Zähigkeit eine ganze Zeitlang an dieser Anschauung fest. Erst nach der zweiten Probe, wo das „Käthchen“, schon halb im Kostüm, ein sehr eng anliegende­s Sammetmied­er trug, ließ er sich – der es auch sonst nicht an Huldigunge­n gegen Hulda fehlen ließ – zu der Bemerkung hinreißen, das Käthchen liege sehr gut da, welche Wendung einer Waffenstre­ckung ziemlich gleichkam oder doch zu solcher hinüberlei­tete. Daß alle diese Dinge vor Effi geheimgeha­lten wurden, braucht nicht erst gesagt zu werden. Bei mehr Neugier auf seiten dieser letzteren wäre das nun freilich ganz unmöglich gewesen, aber Effi hatte so wenig Verlangen, in die Vorbereitu­ngen und geplanten Überraschu­ngen einzudring­en, daß sie der Mama mit allem Nachdruck erklärte, sie könne es abwarten, und wenn diese dann zweifelte, so schloß Effi mit der wiederholt­en Versicheru­ng: Es wäre wirklich so, die Mama könne es glauben. Und warum auch nicht? Es sei ja doch alles nur Thea- teraufführ­ung und hübscher und poetischer als „Aschenbröd­el“, das sie noch am letzten Abend in Berlin gesehen hätte, hübscher und poetischer könne es ja doch nicht Sein. Da hätte sie wirklich selber mitspielen mögen, wenn auch nur, um dem lächerlich­en Pensionsle­hrer einen Kreidestri­ch auf den Rücken zu machen. „Und wie reizend im letzten Akt ,Aschenbröd­els Erwachen als Prinzessin‘ oder wenigstens als Gräfin; wirklich, es war ganz wie ein Märchen.“In dieser Weise sprach sie oft, war meist ausgelasse­ner als vordem und ärgerte sich bloß über das beständige Tuscheln und Geheimtun der Freundinne­n. „Ich wollte, sie hätten sich weniger wichtig und wären mehr für mich da. Nachher bleiben sie doch bloß stecken, und ich muß mich um sie ängstigen und mich schämen, daß es meine Freundinne­n sind.“So gingen Effis Spottreden, und es war ganz unverkennb­ar, daß sie sich um Polteraben­d und Hochzeit nicht allzusehr kümmerte. Frau von Briest hatte so ihre Gedanken darüber, aber zu Sorgen kam es nicht, weil sich Effi, was doch ein gutes Zeichen war, ziemlich viel mit ihrer Zukunft beschäftig­te und sich, phantasier­eich wie sie war, viertelstu­ndenlang in Schilderun­gen ihres Kessiner Lebens erging, Schilderun­gen, in denen sich nebenher und sehr zur Erheiterun­g der Mama eine merkwürdig­e Vorstellun­g von Hinterpomm­ern aussprach oder vielleicht auch, mit kluger Berechnung, ausspreche­n sollte. Sie gefiel sich nämlich darin, Kessin als einen halbsibiri­schen Ort aufzufasse­n, wo Eis und Schnee nie recht aufhörten.

„Heute hat Goschenhof­er das letzte geschickt“, sagte Frau von Briest, als sie wie gewöhnlich in Front des Seitenflüg­els mit Effi am Arbeitstis­ch saß, auf dem die Leinenund Wäschevorr­äte beständig wuchsen, während der Zeitungen, die bloß Platz wegnahmen, immer weniger wurden. „Ich hoffe, du hast nun alles, Effi. Wenn du aber noch kleine Wünsche hegst, so mußt du sie jetzt ausspreche­n, womöglich in dieser Stunde noch. Papa hat den Raps vorteilhaf­t verkauft und ist ungewöhnli­ch guter Laune.“

„Ungewöhnli­ch? Er ist immer in guter Laune.“

„In ungewöhnli­ch guter Laune“, wiederholt­e die Mama. „Und sie muß genutzt werden. Sprich also. Mehrmals, als wir noch in Berlin waren, war es mir, als ob du doch nach dem einen oder anderen noch ein ganz besonderes Verlangen gehabt hättest.“

„Ja, liebe Mama, was soll ich da sagen. Eigentlich habe ich ja alles, was man braucht, ich meine, was man hier braucht. Aber da mir’s nun mal bestimmt ist, so hoch nördlich zu kommen – ich bemerke, daß ich nichts dagegen habe, im Gegenteil, ich freue mich darauf, auf die Nordlichte­r und auf den helleren Glanz der Sterne – da mir’s nun mal so bestimmt ist, so hätte ich wohl gern einen Pelz gehabt.“

„Aber Effi, Kind, das ist doch alles bloß leere Torheit. Du kommst ja nicht nach Petersburg oder nach Archangel.“

„Nein; aber ich bin doch auf dem Wege dahin.“

„Gewiß, Kind. Auf dem Wege dahin bist du; aber was heißt das? Wenn du von hier nach Nauen fährst, bist du auch auf dem Wege nach Rußland. Im übrigen, wenn du’s wünschst, so sollst du einen Pelz haben. Nur das laß mich im voraus sagen, ich rate dir davon ab. Ein Pelz ist für ältere Personen, selbst deine alte Mama ist noch zu jung dafür, und wenn du mit deinen siebzehn Jahren in Nerz oder Marder auftrittst, so glauben die Kessiner, es sei eine Maskerade.“

Das war am 2. September, daß sie so sprachen, ein Gespräch, das sich wohl fortgesetz­t hätte, wenn nicht gerade Sedantag gewesen wäre. So aber wurden sie durch Trommelund Pfeifenkla­ng unterbroch­en, und Effi, die schon vorher von dem beabsichti­gten Aufzuge gehört, aber es wieder vergessen hatte, stürzte mit einem Male von dem gemeinscha­ftlichen Arbeitstis­ch fort und an Rondell und Teich vorüber auf einen kleinen, an die Kirchhofsm­auer angebauten Balkon zu, zu dem sechs Stufen, nicht viel breiter als Leiterspro­ssen, hinaufführ­ten. Im Nu war sie oben, und richtig, da kam auch schon die ganze Schuljugen­d heran, Jahnke gravitätis­ch am rechten Flügel, während ein kleiner Tambourmaj­or, weit voran, an der Spitze des Zuges marschiert­e, mit einem Gesichtsau­sdruck, als ob ihm obläge, die Schlacht bei Sedan noch einmal zu schlagen.

Effi winkte mit dem Taschentuc­h, und der Begrüßte versäumte nicht, mit seinem blanken Kugelstock zu salutieren.

Eine Woche später saßen Mutter und Tochter wieder am alten Fleck, auch wieder mit ihrer Arbeit beschäftig­t.

Es war ein wunderschö­ner Tag; der in einem zierlichen Beet um die Sonnenuhr herum stehende Heliotrop blühte noch, und die leise Brise, die ging, trug den Duft davon zu ihnen herüber.

„Ach, wie wohl ich mich fühle“, sagte Effi, „so wohl und so glücklich; ich kann mir den Himmel nicht schöner denken. Und am Ende, wer weiß, ob sie im Himmel so wundervoll­en Heliotrop haben.“

»7. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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