Hitlers geheimer Kunstschatz
Raubkunst 1938 marschierten die Nazis in Österreich ein und plünderten tausende Gemälde. Der Führer wollte sich so das größte Museum der Welt schaffen. Eine Geschichte über berühmte Bilder, einzigartige Erbstücke und die schwierige Frage nach Gerechtigkei
Wien/Linz Es gibt Gemälde, die kennt man. Auch, wenn man sie noch nie im Original gesehen hat. Auch, wenn man noch nie im Museum davor stand. Die „Goldene Adele“ist so ein Fall. Jahrelang hing das berühmte Werk, von Gustav Klimt vor über hundert Jahren gemalt, im Wiener Schloss Belvedere, wurde sogar als „die Mona Lisa Österreichs“gefeiert, als das berühmteste Bild des Landes. Und wer mit offenen Augen durch Wien geht, dem begegnet die „Frau in Gold“immer wieder. Auf Postkarten, Kaffeetassen, Halstüchern und all den anderen kitschigen Souvenirs.
Und dann ist da die andere Geschichte der „Goldenen Adele“. Die Geschichte der dunklen Vergangenheit jenes berühmten Bildes, das die Nazis geraubt hatten. Die Geschichte einer Jüdin, die geflohen war und Jahre später um ihr Erbe kämpft. Die Geschichte ist so gut, dass sie sogar zum Stoff für einen HollywoodFilm wird: Maria Altmann, die gebürtige Österreicherin, die die Republik Österreich verklagt, ihr das Porträt ihrer Tante Adele BlochBauer und vier weitere Klimt-Gemälde zurückzugeben. Nach acht Jahren juristischer Auseinandersetzung bekommt Altmann recht. Monate später kauft der Milliardär und Kunstsammler Ronald Lauder das Bild – für 135 Millionen US-Dollar, damals das teuerste Gemälde der Welt. Inzwischen hängt es in der Neuen Galerie in New York.
Auch heute, mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wird erbittert um die Rechte an Kunstwerken gestritten, die von den Nazis geraubt wurden. Etwa um die Sammlung des berühmten jüdischen Galeristen Alfred Flechtheim. Im vergangenen Monat haben seine Erben nun den Freistaat Bayern und die Bayerischen Gemäldesammlungen vor einem amerikanischen Gericht verklagt. Und dann ist da natürlich der Fall Cornelius Gurlitt, der 2013 öffentlich wurde: Der alte Mann versteckte in seiner Wohnung in München fast 1280 wertvolle Kunstwerke. Zwei Jahre später tauchten weitere 238 Gemälde in seinem Haus in Salzburg auf. Bei hunderten davon bestand Verdacht auf NS-Raubkunst.
Der Fall wurde zum Symbol für all die Kunstschätze, die die Nationalsozialisten an sich gerissen hatten – und er zeigt zugleich, wie schwierig man sich nach wie vor mit der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit tut. Kultusstaatsministerin Monika Grütters (CDU) appellierte unlängst an Museen, sich der Aufklärung nicht zu verschließen. In Österreich ist man da weiter. Das liegt schon daran, dass 1998 zwei Bilder von Egon Schiele („Bildnis Wally“und „Tote Stadt III“) aus der Sammlung Leopold nach einer Ausstellung in New York als Diebesgut beschlagnahmt wurden. Seither gibt es eine Kommission, die sich mit der Herkunft von Kunstwerken befasst. Und seither regelt ein Restitutionsgesetz die Rückgabe von NS-Raubkunst aus österreichischen Museen. Tausende ehemals beschlagnahmter Werke fanden so zu ihren rechtmäßigen Besitzern zurück.
Susanne Hehenberger kennt die Geschichten von Plünderungen und Enteignungen, die sich nach der Machtergreifung der Nazis in Österreich 1938 zugetragen haben. Und sie weiß, welche Kunstobjekte die Nazis systematisch geraubt haben. Hehenberger arbeitet als Archivarin am Wiener Kunsthistorischen Museum. Als Provenienzforscherin versucht sie nachzuvollziehen, woher die Werke stammen, die hier gezeigt werden und wie sie in deren Besitz gelangt sind.
Am 15. März 1938 verkündete Hitler auf dem Heldenplatz in Wien den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. „Schon drei Tage später legte das Amt für Denkmalschutz seine Hand auf die ersten jüdischen Kunstsammlungen, zum Beispiel die des tschechischen Industriellen Oskar Bondy mit rund 1600 Kunstwerken“, sagt Hehenberger. Während in Deutschland erst nach den Novemberpogromen jüdische Sammlungen massiv geplündert wurden, begann die „systematische Enteignung“in Öster- reich früher. Nachbarn und Kunstexperten raubten Wohnungen und Depots jüdischer Sammler aus.
Lokale Museen rissen sich sofort um die Kunstschätze. Kunsthändler und das Auktionshaus Dorotheum plünderten und handelten. Die Sammlungen von Alphonse und Louis Rothschild, des Großindustriellen Rudolf Gutmann oder des damaligen Inhabers der Ottakringer Brauerei, Moritz Kuffner, fielen ihnen zum Opfer.
Hinzu kam, dass viele Juden sich gezwungen sahen, ihre Kunstschätze weit unter dem tatsächlichen Wert zu verkaufen, um Geld für die Ausreise aufzubringen. Dabei half auch das Dorotheum. Diejenigen Experten, die in der Nazizeit für das Auktionshaus tätig waren, tauchten nach dem Krieg als Experten für die Kunstwerke wieder auf.
Als Hehenberger 2009 in Wien auf die Karteikästen des ehemaligen Bundesdenkmalamtes stieß, war ihr nicht sofort klar, welch einzigartigen Fund sie gemacht hatte. Die Karteikarten zeigen, welchen Museen welche Kunstwerke aus jüdischem Besitz zugeteilt wurden.
Und die Karteikarten zeigen auch, welchen Plan die Nationalsozialisten verfolgten. Fritz Dworschak, seit 1938 Leiter des „Zenauch traldepots für beschlagnahmte Sammlungen“, hatte großes Interesse, die Werke für die Wiener Museen zu bekommen. Doch Hitler machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Die Bilder, Skulpturen und Möbel, die er zusammenraffen ließ, sollten Linz, seine fünfte „Führerstadt“, schmücken. Hitler hatte hochtrabende Pläne für die Donaustadt, in der er seine Jugend verbracht hatte: eine architektonische Umgestaltung, vor allem aber ein opulentes „Führermuseum“, größer als der Louvre, die Uffizien und die Nationalgalerie in Washington.
Hitler legte fest, dass er persönlich über Bilder und Kunstwerke zu entscheiden hatte, die durch „Beschlagnahme staatsfeindlichen, insbesondere jüdischen Vermögens in Österreich“an das Reich gefallen waren. Er habe einen Gegenpol zum „egoistisch überfütterten Wien“schaffen wollen. So behauptete es zumindest seine rechte Hand für den „Sonderauftrag Linz“, der Kunsthistoriker und Museumsdirektor Hans Posse aus Dresden.
Ab Herbst 1938 lagerten mehrere tausend Kunstwerke im Zentraldepot, die Hitler persönlich besichtigte und für die er einen Verteilungsplan anlegen ließ. Dazu schickte er anfangs den Berliner Kunsthändler Karl Haberstock nach Wien. Dort aber hatte man eigene Vorstellungen davon, wohin die Kunstwerke gehen sollten. Hitler kam am 11. Juni 1939 selbst ins Zentraldepot und stritt sich mit dem österreichischen Kunstbeauftragten Kajetan Mühlmann über Rembrandt-Gemälde aus dem Besitz von Alphonse Rothschild. Mühlmann kostete der Widerspruch sein Amt.
Ein sogenannter „Führervorbehalt“sicherte Posse das Zugriffsrecht auf beschlagnahmte jüdische Sammlungen wie die der Familien Rothschild, Gutmann oder Bondy. Dabei standen ihm schier unbegrenzte Mittel zur Verfügung. Im Lauf des Krieges wurden Kunstschätze waggonweise aus den besetzten Gebieten ins Dritte Reich gekarrt. Nach Schätzungen rafften die Nazis insgesamt 16 Millionen Kunstgegenstände zusammen. Wie österreichische Medien berichten, wurden allein für den „Sonderauftrag Linz“zwischen 4000 und 6000 Gemälde gekauft und beschlagnahmt. Demnach hätte dieser Linzer Kunstschatz heute einen Wert von etwa fünf Milliarden Euro.
Posse und Hitler hatte aber nicht nur das „Führermuseum“in Linz im Blick. Auch die anderen Teile Österreichs sollten von der Raubbeute profitieren. Posse fuhr zunächst nach Graz und Klagenfurt, dann nach Innsbruck und Salzburg. Er schickte Hitler einen Verteilungsplan. An erster Stelle stand Linz, dann Innsbruck, Graz, Klagenfurt und zuletzt Salzburg.
In zahllosen Briefen bemühten sich die Direktoren der Landesmuseen darum, nicht zu kurz zu kommen. Konkurrenz, Intrigen und Sticheleien finden sich darin. Sie blieben nicht ohne Folgen. So konnte sich das Landesmuseum Tirol, Ferdinandeum, in Innsbruck über Zuwachs in den Beständen freuen, das Museum Linz konnte die Sammlung Albin Egger-Lienz vergrößern.
Das Linzer Museum sollte „nur das Beste enthalten aus allen Zeiten“, berichtet Posse in seinem Tagebuch. Aus Hitlers Privatsammlung erschienen Posse nur wenige Objekte geeignet. Hitler sah sich selbst als begnadeten Maler und Architekten. Er mochte die Romantik sowie Münchner und Wiener Maler des 19. Jahrhunderts. Knapp 800 Bilder befanden sich in seiner Privatsammlung. Adolf Menzel, der Ringstraßenmaler Hans Makart, Moritz von Schwind und Anselm Feuerbach sind als Hitlers Lieblingsmaler dokumentiert.
Als sich 1939 abzeichnete, dass es zum Zweiten Weltkrieg kommen würde, machte man sich im Wiener Zentraldepot daran, die Raubkunst aus ganz Europa zu bergen – darunter der Genter Altar der Brüder van
Der Streit um die „Mona Lisa Österreichs“dauert Jahre Hitler sah sich selbst als begnadeten Maler
Eyck, Gemälde von Arcimboldo, Pieter Brueghel dem Älteren, von Dürer, da Vinci oder Rembrandt. Zunächst wurden sie in das ehemalige Rothschild-Schloss Steinbach gebracht. Alle Werke, die für das Führermuseum in Linz gedacht waren, kamen ins Benediktinerstift Kremsmünster. Bald aber waren auch diese Lager nicht mehr sicher genug. 1943 ließ Hitler die Kunstwerke in den Salzstollen in Altaussee in der Steiermark bringen.
In den letzten Kriegstagen schmiedete August Eigruber, Gauleiter von Oberdonau, einen perfiden Plan. Er ließ acht Fliegerbomben ins Bergwerk bringen. Sie sollten die Kunstwerke zerstören, falls sich der Feind näherte. Panzersoldaten sollten vor dem Eingang des Stollens darüber wachen, dass niemand die Bomben herausschaffte. Kunstexperten und der Generaldirektor der Salinen versuchten zu intervenieren – vergeblich. Nach Tagen des Bangens gelang es Bergleuten, die Bomben aus dem Stollen zu schaffen. Dann sprengten sie die Eingänge zum Stollen und sicherten so die Kunstwerke.
Schon wenige Tage nach Kriegsende konnte die amerikanische Spezialeinheit „Monument Men“damit beginnen, die Werke zu bergen. Allein mehr als 6755 für das Führermuseum sollen darunter gewesen sein. 2014 wurde ihre Arbeit unter dem gleichnamigen Titel verfilmt – mit George Clooney in der Hauptrolle. Schon wieder so eine Geschichte für Hollywood.