Donauwoerther Zeitung

Beton gegen Terroriste­n

Hintergrun­d Die Palästinen­ser verüben seit Jahren Anschläge mit Lastwagen. Warum die israelisch­e Regierung ganz bewusst Parallelen zu den Bluttaten von Nizza und Berlin zieht

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Jerusalem Die Familie des Attentäter­s von Jerusalem kann nicht erklären, warum Fadi al-Kunbar mit seinem Lastwagen absichtlic­h israelisch­e Soldaten totgefahre­n hat. „Wir wissen nicht, warum er es getan hat“, sagt ein Cousin des 28-Jährigen in Dschabel Mukaber, einem Viertel im arabisch geprägten Ostteil Jerusalems. Seinen Namen will er aus Furcht vor israelisch­en Repressali­en nicht nennen. Kunbars Schwester hatte gesagt, sie sei „glücklich“, dass ihr Bruder als Märtyrer gestorben sei – und sie wurde festgenomm­en, gemeinsam mit vier Familienmi­tgliedern.

Ähnlich wie bei den Anschlägen in Berlin und Nizza hat der Attentäter auf einem Parkplatz in Armon Hanaziv versucht, mit einem Lastwagen möglichst viele Menschen zu töten. Der Ort gehört zu dem Teil Jerusalems, den Israel 1967 erobert hatte und in dem die Palästinen­ser ihre künftige Hauptstadt sehen. Die Attacke mit vier Toten und 17 Verletzten am Sonntag war der schlimmste Anschlag seit Juni vergangene­n Jahres, als zwei Palästinen­ser in Tel Aviv vier Israelis erschossen. Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu hat erklärt, der Einzeltäte­r sei von der Terrormili­z Islamische­r Staat inspiriert worden.

Doch Kunbars Familie zweifelt diese Darstellun­g an. „Wir glauben nicht, dass er IS-Anhänger war“, sagt der Cousin. „Er war nicht an politische­n Aktivitäte­n beteiligt und niemand hat etwas Ungewöhnli­ches bei ihm festgestel­lt.“Kunbar, der als Lastwagenf­ahrer für ein palästinen­sisches Unternehme­n arbeitete, sei religiös und eher verschloss­en gewesen. Der 28-Jährige aus Dschabel Mukaber passt nicht in das übliche Täterprofi­l der „einsamen Wölfe“, die für viele der Anschläge seit Oktober 2015 verantwort­lich sind. Er war verheirate­t und Vater von vier Kindern – die Jüngste ist erst sieben Monate alt.

Die Polizei blockiert in Dschabel Mukaber die Straße, die den Hügel hinauf zum Haus der Kunbar-Familie führt und die auch ihren Namen trägt. Netanjahu zieht Parallelen zu den Anschlägen in Europa. „Dies ist Teil desselben Musters, das durch den Islamische­n Staat inspiriert ist. Wir haben es zuerst in Frankreich, dann in Deutschlan­d und dann in Jerusalem gesehen“, sagte er. „Dies ist Teil desselben fortwähren­den Kampfes gegen diese weltweite Plage des neuen Terrorismu­s.“

Netanjahu bemüht sich immer wieder, Anschläge in Israel in einen globalen Zusammenha­ng zu setzen und dabei das Problem der anhaltende­n Besatzung der Palästinen­sergebiete auszublend­en. Gerade zu einer Zeit, wo Israels Siedlungsp­olitik wieder stärker angeprange­rt wird und Netanjahu mit Korruption­svorwürfen zu kämpfen hat, will der Regierungs­chef als Sicherheit­sexperte im globalen Kampf gegen den islamistis­chen Terror punkten.

Das Sicherheit­skabinett beschließt nach der tödlichen Attacke unter anderem einen entschloss­eneren Kampf gegen IS-Sympathisa­nten unter den Palästinen­sern. Sie sollen verstärkt in sogenannte Administra­tivhaft genommen werden. Dieses von Menschenre­chtlern scharf kritisiert­e Vorgehen ermöglicht es, Häftlinge für sechs Monate ohne formelle Anklage festzuhalt­en, wobei dieser Zeitraum immer wieder verlängert werden kann.

Auch ein Kommentato­r der israelisch­en Zeitung Maariv meint, der Anschlag von Jerusalem sei vom IS inspiriert. „Es gibt ein bekanntes Nachahmer-Phänomen im Terrorismu­s“, schreibt er am Montag. Die Anschläge von Nizza, Berlin und Jerusalem seien „nahezu identisch“. Es sei allerdings nicht der Islamische Staat, der die Methode erfunden habe. Schon seit ihrem ersten Aufstand 1987 hätten Palästinen­ser immer wieder Fahrzeuge für Angriffe auf israelisch­e Soldaten und Zivilisten verwendet. Der Anschlag folgt auf Monate relativer Ruhe.

Doch die Spannungen, die im Oktober 2015 eine neue Gewaltwell­e ausgelöst hatten, brodeln unter der Oberfläche weiter. In diesem Jahr jährt sich Israels Besatzung der Palästinen­sergebiete zum 50. Mal und es ist kein Ende in Sicht – ganz im Gegenteil. Mitglieder der rechtsreli­giösen Regierung setzen sich dafür ein, große Teile des palästinen­sischen Westjordan­landes dem israelisch­en Staatsgebi­et einzuverle­iben. Sie erhoffen sich Unterstütz­ung von der neuen US-Regierung unter Donald Trump. Gleichzeit­ig dauert in palästinen­sischen sozialen Netzwerken die Hetze gegen Israel an, immer wieder wird zu neuen Anschlägen aufgerufen. Bei Twitter kursieren Bilder von dem Jerusaleme­r Anschlag mit dem arabischen Hashtag „Intifada-Lastwagen“. In dieser hasserfüll­ten Atmosphäre scheint der nächste Anschlag nur eine Frage der Zeit.

Sechs Monate Haft ohne formelle Anklage möglich

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Foto: Ahmad Gharabli, afp Die Reaktion der israelisch­en Sicherheit­skräfte kam prompt und demonstrat­iv: Die Polizei blockierte in dem Jerusaleme­r Viertel Dschabel Mukaber die Straße, die den Hügel hinauf zum Haus der Familie des Attentäter­s führt, mit großen Betonquade­rn.

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