Der Wald hat 1000 Augen
Datenschutz Wildkameras sollen Rehe, Waschbären oder Füchse beobachten. Aber immer wieder kommen auch Menschen vor die Linse. Wie allein sind wir im Wald eigentlich noch?
Augsburg Der Schein trügt. Die absolute Einsamkeit im Wald ist oft nur mehr eine Illusion. Wir wähnen uns allein – sind es aber nicht. Denn zwischen Büschen und Bäumen, irgendwo im Unterholz, verstecken sich Augen. Nicht nur die von Vögeln, Rehen oder Eichhörnchen, sondern auch immer mehr elektrische: Wildkameras, die sogar nachts gestochen scharfe Bilder liefern.
Wie viele Kameras genau in den Wäldern des Freistaates hängen, weiß niemand. Experten gehen aber von mehreren tausend aus. Eine Meldepflicht gibt es nicht. „Wir haben keine Erkenntnisse darüber, wer wie viele aufhängt“, sagt Thomas Schreder, Pressesprecher des Bayerischen Jagdverbandes. Die Jäger positionieren die Wildkameras an Stellen, an denen sich viele Tiere aufhalten: an Futterplätzen, Salzlecksteinen oder Wasserstellen. Ziel ist es, mehr Informationen über die Waldbewohner zu bekommen. Etwa darüber, ob sich ein Wolf oder ein Luchs in der Gegend aufhält, wie viele Junge eine Wildschweinmutter hat oder wie groß eine Schwarzwildrotte ist. Früher, bevor immer mehr Kameras aufgestellt wurden, mussten sich die Jäger allein auf das Spurenlesen verlassen. Noch immer werden durch Haarbüschel auf dem Waldboden, gerissene Beutetiere oder angeknabberte Pflanzen Rückschlüsse auf die Wildtiere gezogen – mit der Kamera aber bekommen die Jäger zusätzliche Informationen, etwa über den Gesundheitszustand der Tiere.
Aufnahmen von Menschen müssen sofort gelöscht werden. Weil man aber nicht weiß, wer die Kameras aufstellt, ist eine Kontrolle nicht möglich. In manchen Fällen werden die Aufnahmen auch an die Polizei weitergegeben, zum Beispiel als in der Nähe von Freising im Jahr 2014 von einer Wildkamera ein maskierter Mann im Tarnanzug mit einer Armbrust in der Hand aufgezeichnet worden war. „Durch die Bilder haben wir erfahren, dass es in dieser Gegend Wilderer gibt“, sagt Jagdverbandssprecher Schreder.
Auch in einem weiteren Fall hofft er auf die Unterstützung der Technik: Im Ebersberger Forst wurden immer wieder enthauptete Wildschweine gefunden. „Die Kameras könnten helfen, die Sache aufzuklären“, sagt er.
Dass man im Wald längst nicht so unbeobachtet ist, wie man es sich manchmal erhofft, das musste ein österreichischer Politiker am eigenen Leib erfahren: Eine Wildkamera lichtete ihn vor einigen Jahren mit einer Frau beim Liebesspiel ab. Der Vorfall löste eine heftige Debatte über die Praxis der elektronischen Waldüberwachung aus. Was genau erlaubt ist, das ist nach Angaben des bayerischen Datenschutzbeauftragten Thomas Petri rechtlich festgelegt: Eine Überwachung auf öffentlichen Wanderwegen oder Straßen, wo auch Menschen unterwegs sein können, ist nach dem bayerischen Datenschutzgesetz unzulässig. An entlegeneren Stellen, dort, wo für gewöhnlich keine Menschen durch den Wald streifen, sich der österreichische Politiker aber vermutlich aufhielt, sind Kameras erlaubt – allerdings müssen Schilder auf die Überwachung hinweisen. Jagdpächter, die privat tätig sind, dürfen Kameras gemäß den Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes aufstellen. Eine Kontrolle, ob diese Vorgaben auch umgesetzt werden, gibt es aber nicht.
Petri sieht die zunehmende Überwachung in den Jagdrevieren kritisch. „Muss man denn jetzt wirklich den Wald mit Wildkameras zupflastern?“Er habe nichts dagegen, Tiere zu beobachten – allerdings müsse man auch an die Menschen denken, die im Wald einfach nur für sich sein wollten. „Man muss berücksichtigen, dass die Menschen im Wald oft einen Rückzug vom Leben suchen und in Ruhe gelassen werden möchten.“
Petri glaubt, dass sich die Überwachungspraxis in Zukunft noch deutlich verschärfen wird. „Das ist ja schon jetzt inflationär, weil die Technik so preiswert ist.“
Politiker beim Liebesspiel abgelichtet