Donauwoerther Zeitung

Kurz und abgründig

Literatur Daniel Kehlmann legt mit „Du hättest gehen sollen“eine Schauerges­chichte vor. Aber so einfach macht er es seinen Lesern dann doch nicht

- VON RICHARD MAYR

Vordergrün­dig ist die neue Erzählung „Du hättest gehen sollen“des Schriftste­llers Daniel Kehlmann eine Schauerges­chichte. Ein Paar verbringt mit seinem Kind ein paar Tage in einem schicken Ferienhaus in den Bergen. Er ist Drehbuchau­tor, der die Zeit auch zum Schreiben nützen möchte; aber er kommt nicht gut voran. Sie ist Schauspiel­erin und hätte gerne, dass er seine Zeit mit ihr und dem Kind verbringt. Beste Voraussetz­ungen also, um sich zu streiten. Was beide auch ausgiebig tun.

Alles wäre vorhersehb­ar in diesem Kurzurlaub, gäbe es dieses Haus nicht. Unten im Dorf raunt der kauzige Verkäufer im einzigen Geschäft dem Drehbuchau­tor zu, dass etwas mit dem Haus dort oben nicht stimme. Der Drehbuchau­tor bekommt den ersten Albtraum, später verschwind­et für kurze Zeit sein Spiegelbil­d. Das Haus bekommt neue Zimmer, es verändert sich.

Gleichzeit­ig findet der Erzähler heraus, dass Susanne eine Affäre hat. Die Situation zwischen ihr und dem Drehbuchau­tor eskaliert. Sie fährt mit dem Auto davon, er bleibt mit dem Kind abgeschnit­ten von der Welt in dem Gruselhaus.

Vordergrün­dig ist die neue Erzählung von Daniel Kehlmann eindeutig Genre-Literatur. Alles erinnert an „Shining“von Stephan King und irgendwie auch an Schauerges­chichten, die sich Kinder erzählen. Aber das ist nur die Vorderseit­e der flott zu lesenden Geschichte. Und wie bei Münzen auch, wo sich vorne die exakte Zahl befindet und hinten das viel schwerer deutbare Bildmotiv, sollte man in Kehlmanns „Du hättest gehen sollen“vor allem den Hintergrun­d im Auge behalten.

Da geht es nicht um das Erzeugen von Horror, sondern um Literatur, um das Schreiben, um die Konstrukti­on und das Konstruier­en eines Texts. Denn was der Leser liest, soll das neue Notizbuch des Drehbuchau­tors sein. Der Leser wird also direkt mit der Geschichte verbunden, weil er das entscheide­nde Stück ja selbst in den Händen hält – und er weiß doch, dass es ein gedrucktes Massenprod­ukt des Rowohlt-Verlags ist und nicht das Autograf dieses Drehbuchau­tors.

Und so geht dieses Vexierspie­l weiter. Denn was in dieser Geschichte möglicherw­eise als gesichert gelten kann, ist, dass sie in einem Notizbuch steht. Aber weil es nur diese Perspektiv­e gibt und keinen weiteren Erzähler, muss das alles gar nicht tatsächlic­h geschehen sein. Und wieder dreht sich alles. Denn wann bitte schön geschieht in einer fiktiven Geschichte etwas tatsächlic­h?

Und so legen Sätze wie: „Worte. Sie treffen nicht, wie es wirklich ist“eine Fährte zur Rückseite dieser Erzählung, um das Grundprobl­em des Schreibens, der Sprache und des Verständig­ens überhaupt. Die Worte benennen ja nur immer Dinge, sie sind nicht die Dinge. Später heißt es: „Wenn ich sage, dass man sich zu den drei Dimensione­n noch drei von der anderen Seite, oder eigentlich von innen, dazudenken muss ... Aber wem soll ich das erklären?“Man kann diese Sätze auch als Schlüssela­ussage über die Autorschaf­t an sich lesen. Da ist der Schriftste­ller mit seinen Ideen und dort – auf der anderen Seite – die Geschichte mit ihrer Logik, ihren Figuren, ihrem Leben.

Erstaunlic­h ist, dass diese so viel fruchtbare­re Ebene der Erzählung in kaum einer Kritik des Buchs eine Rolle gespielt hat. Dort wird fast ausschließ­lich über ein Stück Genre-, sprich Schauerlit­eratur geurteilt, das dem einen mal schlechter, mal besser gefällt. Was wiederum als großes Lob für den Schriftste­ller Daniel Kehlmann gewertet werden muss, der auf der Oberfläche so einfach erzählt, dass auch profession­ellen Lesern der doppelte Boden komplett aus dem Blick geraten kann.

Daniel Kehl mann: Du hättest gehen sollen. Rowohlt, 96 S., 15 ¤

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Foto: Billy & Hells, dpa Daniel Kehlmann legt eine neue Erzäh lung vor.
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