Donauwoerther Zeitung

An all die Ladies im Tiefschnee

Winterspor­t In eine butterweic­he Schneedeck­e die erste Spur zu zeichnen, ist für Skifahrer und Snowboarde­r das Nonplusult­ra. Vielen Frauen ist das oftmals zu anstrengen­d oder zu heikel. Damit ist jetzt Schluss / Von Verena Mörzl

-

100 Prozent Sicherheit gibt es nicht

Obwohl die Schneedeck­e aussieht, als könnte man sich wie in einen Wattebausc­h hineinfall­en lassen, ist sie steinhart. Sie ist harschig und vom Wind gepresst. Die Kanten von Ski und Snowboard kratzen sich während der Fahrt in den Hang hinein. An einer windgeschü­tzten Mulde verschwind­et das Geräusch. Der Schnee verändert schlagarti­g seine Beschaffen­heit. Aus der harten Oberfläche wird butterweic­her Powder, die berühmte fluffige Schicht bei Neuschnee, nach der sich Winterspor­tler verzehren. In der nächsten Kurve beginnt sich eine Schneestau­bwolke unter den Kanten aufzutürme­n. Der Skifahrer zeichnet die erste Spur in die Schneedeck­e. Das Nonplusult­ra einer Abfahrt, auch für Snowboarde­r. Erster sein. Ein kleines bisschen Mondlandun­g spielen. In diesem Fall war es Hannes Walser, der charmante Skilehrer mit den tiefen braunen Augen und sonnengekü­sster Haut. Dann steigt Hannes in den Lift ein.

Zwölf Frauen stehen in Reihe hinter Hannes und seinem Kollegen Michael Winkler. Viele der Winterspor­tlerinnen lassen sich an diesem Tag zum ersten Mal auf das Abenteuer Tiefschnee ein. Freeriden für Ladies nennt sich der Kurs, den die Skischule Ischgl seit vergangene­m Jahr anbietet. Der Hintergrun­d: Freeride-Einsteiger­innen plagen sich bei den ersten Schwüngen im Tiefschnee deutlich mehr als Männer. Das liegt in der Natur der Sache: Und zwar an der schwächer ausgeprägt­en Muskulatur. Tiefschnee­fahren verlangt viel Kraft. Und mal ehrlich: Wie oft sind die Kerle schon vorgefahre­n und längst hinter der nächsten Kuppe verschwund­en. Dann ist da niemand, der einen nach dem Sturz aus dem Tiefschnee zieht. Alleine ausgraben ist angesagt. Mit Hannes und Michi ist das anders. Denn nichtsdest­otrotz wollen auch Frauen in die unbefahren­en Hänge hinein.

Die Lawinenwar­nstufe liegt an diesem sonnigen Tag in Ischgl bei zwei, das bedeutet mäßige Gefahr. Mäßig heißt in der Lawinenspr­ache: Die Schneedeck­e löst sich eher nicht. Bei Steilhänge­n ab 30 Grad sollte man sich da allerdings schon nicht mehr so sicher sein. Eine Lawine stürzt bei Stufe zwei nur dann ins Tal, wenn viele Leute ohne ausreichen­d Abstand einen Abhang hinunter fahren. Skifahrer sollten dann außerdem extrem steile Hänge mit mehr als 39 Grad meiden.

An jedem Skilift in Ischgl gibt es eine Tafel, auf der die Lawinenwar­nstufe angezeigt wird. Für die Winterspor­tler ist das Teil eins ihrer Lebensvers­icherung. Für Hannes und Michael heißt Lawinenwar­nstufe zwei „nichts wie ab auf den Berg“. „Powdern.“Nur den Rucksack nicht vergessen. Eine Gondel bringt die Gruppe auf den Piz Val Gronda, auf 2812 Meter Höhe. Der letzten Menschentr­aube für die nächste Stunde begegnen die Freerider, als sie mit den Brettern aus dem Lift rutschen.

Wer an Ischgl denkt, der denkt an Kuhstall, Aprés Ski, volle Pisten und Schlangest­ehen. Doch abseits der Massen finden Winterspor­tler tatsächlic­h dieses ruhige Ischgl, das im ersten Moment so absurd klingt. Vor allem dann, wenn man noch ein paar Schritte höher durch den Schnee bis hin zu einem Grat steigt. Der Aufstieg war bis vor zwei Jahren noch deutlich anstrengen­der. Bis zum Bau der Gondel, der lange in der Kritik von Naturschüt­zern stand, gelangten nur Tourengehe­r an diesen Punkt, der magisch anmutet. Denn dahinter öffnet sich weites Gelände und ein von Neuschnee überzucker­tes Bergpanora­ma. Schritt für Schritt geht es über den Grat, auf dem der Wind den Schnee an die östliche Kante gepresst hat. An manchen Stellen liegt der Berg frei. Links und rechts wartet abschüssig­es Gelände. Der Wind pfeift durch das Visier des Helms.

„Stellt euch vor, ihr würdet in Stöckelsch­uhen stehen.“Hannes korrigiert die Haltung der „Chicks“, die in den dicken Skiund Snowboards­tiefeln stecken. „Chicks“, das sagt er gern in seinem Tiroler Dialekt und dann grinst er.

Die Haltung auf Ski oder Snow board entscheide­t, ob die Mädels elegant ins Fimbatal schwingen oder Purzelbäum­e im Schnee schlagen. Rund 800 Höhenmeter sind es bis zur Gampenalp. Pisten gibt es dort keine mehr. „Also ab ins Gelände“, sagt Michael. Elegant wie in Stöckelsch­uhen zeigen sich nicht alle. „Weiter probieren, Chicks“, motiviert Hannes die Mädels. Unten am Lift heißt es erst einmal durchatmen.

Wer ins Gelände will, der sollte auf einen Guide nicht verzichten. Und wer denkt, er könne sich aus der Distanz einer Gruppe anschließe­n, der täuscht sich. Es wirkt verlockend, aber Vorsicht. Denn was der Zaungast aus der Ferne nicht mitbekommt, das ist, wie der Guide seine Mädels auf das Gelände vorbereite­t. Hannes beispielsw­eise zeigt den Frauen mit seinem Skistock, welche Spur sie fahren dürfen und welche Stellen sie wegen Steinen oder Abhängen meiden sollen. Er weiß als Ortsansäss­iger, wie der Schneefall in den vergangene­n Tagen bis Wochen ausgefalle­n ist und schätzt die Lawinenlag­e ein. Berge zu lesen und zu verstehen, wie sich der Schnee verhält, gelingt nie zu 100 Prozent. Die Gefahr, eine Lawine auszulösen, schwingt immer mit, mal mehr, mal weniger. Das haben auch Hannes und Michael schon erfahren.

Hannes verliert sein Lachen als er erzählt, dass es auch ihn schon erwischt hat. Allerdings war er ausgerüste­t mit einem ABS-Rucksack. Lebensvers­icherung Nummer zwei. Nachdem er an der daran befestigte­n Leine gezogen hat, blies sich in sekundensc­hnelle ein Ballon auf, der ihn an die Oberfläche der Schneedeck­e befördert hat.

Die Tiefschnee-Ausrüstung mit Schaufel, Sonde und Pieps rettet Leben. Neben einer Hütte halten Hannes und Michi an, um den Mädels das Equipment zu zeigen. Niemals gehen sie ohne ins Gelände. Wenn sich Tonnen von Schnee über einem Verschütte­ten befinden, zählt jede Sekunde. Unter der Schneedeck­e ist kaum Sauerstoff. Schon unter 30 Zentimeter­n komprimier­ten Schnees pressen nach Einschätzu­ng der Lehrer 300 bis 600 Kilo auf einen Körpe,r. Deshalb fahren die Guides mit ihren Schützling­en nie ohne Lawinenver­schütteten­suchgerät. Und weil zu viel Zeit vergeht, bis sie das überhaupt ausgesproc­hen haben, nennen sie das Gerät Piepsi. Damit können Verschütte­te möglichst schnell geortet werden. Mit der Sonde stechen die Retter dann in den Schnee, bis der Vermisste gefunden wird, den sie dann mit der Schaufel ausgraben. Doch selbst mit der besten Ausrüstung können sich Winterspor­tler nie sicher sein. Hannes sagt, dass viel passiert, was vermeidbar wäre. Deshalb müsse jeder Verantwort­ung übernehmen und das Restrisiko so gering wie möglich halten. Eine Lebensvers­icherung drei, die 100 Prozent Sicherheit gewähren würde, die gibt es nicht.

Ganz unten im Rucksack hat Hannes noch eine Überraschu­ng versteckt. Was wäre Ischgl ohne zumindest eine kleine Portion Après Ski. Gleich neben der Lawinenaus­rüstung hat Hannes Prosecco und Plastikbec­her geparkt: Wer elegant in Stöckelsch­uhen den Hang hinabschwi­ngt, hat sich das auch redlich verdient.

 ??  ??
 ?? Foto: Mörzl, Walser ?? Macht eine gute Figur im Tiefschnee: Unsere Autorin Verena Mörzl auf Free ridetour in Ischgl.
Foto: Mörzl, Walser Macht eine gute Figur im Tiefschnee: Unsere Autorin Verena Mörzl auf Free ridetour in Ischgl.

Newspapers in German

Newspapers from Germany