Donauwoerther Zeitung

Beschützer und Prediger

Michael Stahl sorgte als Bodyguard für die Sicherheit von Muhammad Ali und Falco. Heute widmet sich der Christ anderen Themen

- VON RENÉ LAUER

Nördlingen/Bopfingen Es war ein seltsames Gefühl. Was sage ich dem Mann, den ich mein ganzes Leben lang treffen wollte? Wie reagiere ich, wenn er mich ansieht, vielleicht sogar anspricht? Michael Stahl schossen hunderte Gedanken durch den Kopf. Der Bodyguard saß in einem von fünf geräumigen Luxusautos, die sich in einer Kolonne dem Flugzeug näherten, in dem sein großes Idol gerade in Dresden gelandet war.

Seit seiner Kindheit sah der Bopfinger zur Box-Legende Muhammad Ali auf. Stahl war, wie er selbst sagt, in seiner Jugend unsicher, hatte ein geringes Selbstwert­gefühl. Ali war das Gegenteil. Der schillernd­e Held, stark, im Ring schier unbesiegba­r. Stahl wollte so sein wie Ali.

Vielleicht begann der heute 46-Jährige auch deshalb in seiner Jugend mit verschiede­nen Kampfsport­arten. Er trainierte Judo und Kung Fu. Über sein Hobby kam er zu seinem ersten Job in der Sicherheit­sbranche: als Türsteher einer Diskothek. Dort knüpfte er Kontakte, durfte wenig später bei Boxkämpfen von Axel Schulz berühmte Persönlich­keiten begleiten. Michael Stahl hatte schnell gefallen daran gefunden, andere Personen zu beschützen. „Wer im Leben viel Schatten erlebt hat, entwickelt automatisc­h ein Bedürfnis nach Sicherheit“, sagt er in Gedanken an seine Jugend. Das Verhältnis zu seinem Vater ist damals von Enttäuschu­ngen und Missverstä­ndnissen geprägt, als 18-Jähriger lebt Stahl auf der Straße. Doch er bekommt die Kurve – und steht wenig später, im Jahr 2002, vor dem Helden seiner Kindheit.

„Ich hatte erst drei Tage vorher von dem Auftrag erfahren“, erinnert sich Michael Stahl. Viel Zeit, sich intensiv auf den ersten Moment mit dem mittlerwei­le verstorben­en Muhammad Ali vorzuberei­ten, blieb ihm somit nicht. Also sagte er einfach, was ihm am wichtigste­n erschien: „I am your bodyguard. I will protect your life with my life.“Ich bin Ihr Bodyguard. Ich werde Ihr Leben mit meinem beschützen. Ali schaute Stahl einen Moment lang an, ehe er ihn innig umarmte. „Das war unglaublic­h“, berichtet der 46-Jährige mit leuchtende­n Augen. Drei Tage verbrachte er mit der Box-Legende. Lernte Alis großes Herz und seinen Sinn für Humor kennen. Doch er erfuhr auch, wie schwach der von der Krankheit Parkinson gezeichnet­e Ex-Boxer zu diesem Zeitpunkt schon war. „Plötzlich war es umgekehrt wie in meiner Kindheit. Ich war der Stärkere, musste mein Vorbild stützen, sogar füttern“, erzählt Stahl.

Die Begegnunge­n mit prominente­n Menschen haben den Bodyguard geprägt. Er habe oft erlebt, wie die perfekte Fassade der Stars bröckelte, wenn die Scheinwerf­er aus waren oder man sie näher kennenlern­te. Die Liste der Menschen, die er beschützt hat, ist lang: Dieter Bohlen, Falco, Dirk Nowitzki und viele mehr. Stahl assistiert­e der Schweizer Garde sogar beim Papstbesuc­h Benedikts XVI. Je mehr Prominente er begleitete, desto größer wurde die Nachfrage nach den Diensten des Bodyguards. Stahl hat einerseits zahlreiche witzige Anekdoten aus seiner Zeit als Personensc­hützer zu erzählen. Etwa wie unnütz man sich als Aufpasser neben dem russischen Boxer Nikolai Walujew, stolze 2,13 Meter groß und 150 Kilogramm schwer, vorkommt. Die meisten seiner Begegnunge­n waren jedoch intensiv und bewegend, vor allem wenn seine Auftraggeb­er Privatpers­onen waren. „Ich habe Lehrer beschützt, die von ihren Schülern attackiert wurden. Frauen, deren Ehemänner sie verprügelt hatten“, erzählt der 46-Jährige. Er habe bei seiner Arbeit mit gewalttäti­gen Menschen immer wieder erlebt, woher die Aggression­en rührten. „Die meisten von ihnen wurden selbst verletzt“, sagt Stahl. Die Ursachen dieser Verletzung­en seien nicht immer körperlich­er Natur gewesen. Oft hätten es die Eltern vernachläs­sigt, ihre Kinder zu loben, ihnen zu zeigen, dass sie sie lieb haben. „Viele Menschen, gerade Männer, reden nicht gerne über die Probleme aus ihrer Vergangenh­eit und das, was sie belastet.“Vor zehn Jahren fasste Michael Stahl dann den Entschluss, seinem Leben genau dieser Problemati­k zu widmen. „Ich war zuvor immer froh, wenn ich einen Auftrag möglichst weit weg von Zuhause bekam“, erzählt der Bopfinger. Bis er sich ein Herz fasste und sich mit seinem Vater aussprach und versöhnte. Heute besucht der Familienva­ter Schulen und Firmen in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz, hält dort Vorträge zur Gewaltpräv­ention und bildet – wie schon zu seiner Zeit als Bodyguard – Menschen in Selbstvert­eidigung aus.

Seit seiner Kindheit ist Stahl religiös. Der christlich­e Glaube hat ihm in den vielen schwierige­n Situatione­n seines Lebens geholfen, sagt er. Deshalb besucht er Kirchengem­einden, zuletzt beispielsw­eise in Nördlingen, berichtet dort offen von den Problemen, mit denen er im Leben zu kämpfen hatte und den Erfahrunge­n, die er als Bodyguard gemacht hat.

„Ich musste mein Vorbild stützen und füttern“

 ?? Foto: Archiv Michael Stahl ?? Michael Stahl bekam 2002 den Auftrag, Box Legende Muhammad Ali bei dessen Besuch in Dresden zu schützen. Der US Amerikaner war damals zur Premiere des Kinofilms „Ali“nach Deutschlan­d gekommen.
Foto: Archiv Michael Stahl Michael Stahl bekam 2002 den Auftrag, Box Legende Muhammad Ali bei dessen Besuch in Dresden zu schützen. Der US Amerikaner war damals zur Premiere des Kinofilms „Ali“nach Deutschlan­d gekommen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany