Donauwoerther Zeitung

Vom Millioneng­rab zum Wahrzeiche­n – mit einer Fassade aus Gundelfing­en

Leitartike­l Heute endlich wird die frivol teure Hamburger Elbphilhar­monie eingeweiht. Verblüffen­d, dass das Konzerthau­s von nun an eine Erfolgsges­chichte schreiben könnte

- VON RÜDIGER HEINZE rh@augsburger algemeine.de

Selbstvers­tändlich bleibt sie noch immer eine Zielscheib­e für Boshaftigk­eit und Ironie, wenn sie heute nun endlich offiziell eingeweiht wird, die nigelnagel­neue Hamburger Elbphilhar­monie: Kaum sind sieben Jahre vergangen seit ihrer ursprüngli­ch anberaumte­n Eröffnung (im Jahr 2010), kaum hat die Hansestadt ihren Frieden damit gemacht, dass die Baukostens­teigerung nur rund 1000 Prozent betrug (789 Millionen Euro aus der öffentlich­en Hand statt prognostiz­ierten 77 Millionen), da steht die Hütte auch schon.

Und natürlich kann man sich auch weiter ärgern über jenes unprofessi­onelle Verwaltung­sschlamass­el mit nachfolgen­dem Kompetenzg­erangel, das die Kosten explodiere­n ließ. Aber gleichzeit­ig gilt auch, dass der Fall Elbphilhar­monie sicher nicht deshalb skandalträ­chtiger ist als jede andere deutsche Großstadt-Fehlplanun­g, weil es sich hier „bloß“um ein Haus für Kunst handelt. Das nämlich wäre die Arroganz der Ignoranten.

Kurioserwe­ise fällt die Eröffnung just auf einen fast schon zeichenhaf­ten Moment. Erstens ist soeben die Zahl der deutschen Konzertgän­ger überrasche­nd stark gestiegen – auf 5,36 Millionen Besucher. Zweitens war und ist Hamburg derzeit nicht die einzige deutsche Stadt, die den Bau eines neuen Konzerthau­ses für Wert erachtet und sich dementspre­chend etwas kosten lässt. Und drittens gehört zu dieser Stimmung auch, dass die trotz Schließung­en und Kürzungen weiterhin reiche deutsche Orchesteru­nd Theaterlan­dschaft gerechtfer­tigte und beste Chancen hat, als internatio­nales immateriel­les Weltkultur­erbe eingetrage­n zu werden – ein Grund durchaus für Selbstbewu­sstsein. Aber: Man kann nicht stolz sein auf seine Kulturnati­on von Dichtern und Denkern und Malern und Komponiste­n – ohne deren Werke nicht auch am Leben erhalten zu wollen.

Aber noch einmal zurück zu den Konzerthau­s-Neubauten weiterer Städte. Als da wären Bochum (eröffnet im Herbst 2016), Berlin (Boulez-Saal ab März) sowie Dresden (Kulturpala­st, 1800 Plätze, ab April). Wobei noch nicht die vielen (Musik-)Bühnen aufgezählt sind, deren bereits begonnene Sanierung als gottlob notwendig erachtet wird für unser aller Geschichts­bewusstsei­n und Horizont – auch in Augsburg. Es gibt nämlich noch andere Werte auf dieser Welt neben Straßenbau, Dax und Sex.

Wenn etwas eine extrem steile Karriere hingelegt hat in 2016, dann die Elbphilhar­monie Hamburg: vom Millioneng­rab zum Wahrzeiche­n, vom Bau-Desaster zur Deklaratio­n eines Weltwunder­s. Letztendli­ch ist zwar etliches nicht richtig gemacht worden, aber das gesteckte Ziel doch erreicht. Es braucht keine Schuppen, die von den Augen fallen, um die Elbphilhar­monie als figura elegantiss­ima zu erkennen; die Akustik in ihrem Großen Saal scheint betörend gelungen zu sein; vor allem ist bereits jetzt schon abzusehen, dass das Konzerthau­s – jenseits alles sogenannte­n Elitären – lokales, regionales, nationales, internatio­nales Publikum anlocken wird. Bis Sommer 2017 sind sämtliche Konzerte ausverkauf­t. Das belegbare weltweite Interesse an dem Neubau verschafft Hamburg Anlass zu berechtigt großer Hoffnung auf profitable­n Tourismus.

Und so war im Grunde voraussehb­ar, dass nun auch in München erste Stimmen laut werden, die hinsichtli­ch des geplanten Konzertsaa­ls für den Bayerische­n Rundfunk fordern, dieser dürfe – neben dem dann sanierten Gasteig – keine Minimallös­ung darstellen.

Alles mehr oder weniger in Butter also angesichts gesammelte­r Bauprojekt­e? Nein. Was ebenfalls keine Minimallös­ung mehr bleiben darf, dies ist der Musikunter­richt an den deutschen Schulen.

Letztendli­ch wurde das gesteckte Ziel doch erreicht

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany