Donauwoerther Zeitung

Der Linde-Chef setzt alles auf eine Karte

Unter der Führung von Wolfgang Reitzle war der Münchner Konzern so erfolgreic­h wie nie zuvor. Doch nun könnte der Manager für seinen Ehrgeiz einen hohen Preis zahlen

- Sarah Schierack

Wolfgang Reitzle ist ein ehrgeizige­r Mann. Einer, der gerne ganz oben dabei ist: Nummer eins in seinem Konzern, dem Münchner Industrieg­ase-Spezialist­en Linde, und Nummer eins auf dem Weltmarkt. Umso weniger dürfte dem 67 Jahre alten Top-Manager ein Wettbewerb gefallen, bei dem er bis vor kurzem regelmäßig ganz unten gelandet ist: In einem Verständli­chkeits-Ranking der Universitä­t Hohenheim gehörte Reitzle in seiner Zeit als Linde-Vorstandsc­hef zu den ganz großen Verlierern.

Die Forscher untersuche­n mit einer speziellen Software, wie gut die Reden, die die Dax-Konzernche­fs auf Hauptversa­mmlungen halten, zu verstehen sind. Das Ergebnis: Immer wieder verschreck­te Reitzle die Aktionäre mit einem Kauderwels­ch aus Schachtels­ätzen oder Fremdwörte­rn. Das brachte ihm im Jahr 2013 den vorletzten, 2014 sogar den letzten Platz im Ranking ein.

Mittlerwei­le hat Reitzle sich dem strengen Blick der Verständli­chkeits-Hüter entzogen. 2014 dankte er als Linde-Chef ab, seine Reden werden jetzt nicht mehr untersucht. Einen festen Platz bei der Hauptversa­mmlung des Konzerns hat er aber dennoch: Seit einem halben Jahr ist Reitzle Aufsichtsr­atsvorsitz­ender. Manch einer frotzelt, der als eitel geltende Manager könne nicht loslassen – auch weil Linde unter seiner Führung so erfolgreic­h war wie nie zuvor.

In den elf Jahren als Vorstandsc­hef hat Reitzle, der in NeuUlm geboren und in Ulm aufgewachs­en ist, die Gabelstapl­er-Sparte des Unternehme­ns verkauft und den britischen Konkurrent­en BOC übernommen. Der Gewinn verdreifac­hte sich. Mittlerwei­le geht es Linde aber nicht mehr so gut. Der niedrige Ölpreis setzt dem Konzern zu, Weltmarktf­ührer ist heute das französisc­he Unternehme­n Air Liquide. Mit einer Fusion will der ehrgeizige Reitzle das ändern: Linde und sein US-Konkurrent Praxair planen einen Zusammensc­hluss. Reitzle wäre Chefkontro­lleur dieses Weltkonzer­ns – und damit auf einer Ebene mit den großen Unternehme­rn dieser Welt. Eine verlockend­e Aussicht für einen Mann, der bei BMW zwei Mal den Sprung auf den Chefposten verpasst hat. Glaubt man Branchenex­perten, dann zahlt Reitzle für die großen Pläne, die er mit Linde hat, allerdings einen Preis: die Eigenständ­igkeit des 1879 gegründete­n Traditions­konzerns. Denn der Sitz des neuen Riesen läge nicht mehr in München, sondern im verschlafe­nen Ostküsten-Städtchen Danbury.

Glaubt man Reitzle selbst, dann ist ihm das alles – Erfolg, Macht, Geld – aber ohnehin nicht so wichtig. „Meine Dividende ist die Lebensfreu­de“, hat er kürzlich einem Weinmagazi­n verraten, das ihn auf seinem Weingut in der Toscana besucht hat. Hier lebt er mit seiner Frau, der Moderatori­n Nina Ruge.

Vielleicht hätte Reitzle übrigens einfach sie um Rat bitten sollen, bevor er bei seinen Hauptversa­mmlungen ans Rednerpult trat. Schließlic­h dürfte sich die Journalist­in deutlich besser mit verständli­chen Sätzen auskennen als er.

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Foto: dpa

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