Warum Murnau Murnau heißt
Kino Im Lenbachhaus und im Filmmuseum München wird der Hut vor dem großen deutschen Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau gezogen – inklusive Stummfilmvorführungen
München Was für eine schöne Idee, einfach die Perspektive zu wechseln: Also nicht uns, das Publikum, auf Mia Farrow und Woody Allen oder die fabelhafte Judi Dench blicken zu lassen, sondern die Hollywood-Stars als begeisterte Zuschauer zu inszenieren. Das allerdings kann nur funktionieren, wenn sich auf der Leinwand wirklich Großes tut – in diesem Fall ein Zusammenschnitt von Friedrich Wilhelm Murnaus Liebesdrama „Sunrise“(1927), für das es 1929 die ersten Oscars der Kinogeschichte gab.
Der französische Filmessayist Luc Lagier, bekannt durch die Reihe „Blow Up“auf Arte, hat sich die Videoinstallation „Recut Murnau“einfallen lassen. Damit ist im Lenbachhaus nicht nur ein im besten Sinne theatralischer Ausstellungsauftakt gelungen – die sechsminütige Einstimmung macht auch gleich klar, dass der Filmpionier Friedrich Wilhelm Murnau (1888-1931) in der obersten Liga gespielt hat.
Das allein ist schon Grund genug für eine umfassende MuseumsHommage, doch es gibt noch einen besonderen Bezug zum Münchner Lenbachhaus. Friedrich Wilhelm Plumpe, wie Murnau eigentlich hieß, verbrachte den Sommer 1910 im oberbayerischen Murnau, lernte Franz und Maria Marc kennen und wurde zum leidenschaftlichen Anhänger der bald darauf gegründeten Blauen-Reiter-Gruppe. Durch seinen Namenswechsel kommt Murnaus pure Verehrung der Murnauer Expressionisten zum Ausdruck; zugleich markiert diese Namensänderung aber auch eine entscheidende Zäsur im Leben des Literaturwissenschaftlers, Kunsthistorikers und späteren Filmregisseurs. Denn als Friedrich Wilhelm Murnau konnte der bekennende Homosexuelle besser auf Distanz zur Familie im fernen Kassel gehen und mit „neuer Identität“in die Kunst tauchen.
Zunächst war es das Theater, das ihn mächtig anzog. Max Reinhardt hatte den Anfang Zwanzigjährigen in Murnau entdeckt und für sein Berliner Ensemble engagiert. Der Erste Weltkrieg stellte die Weichen dann anders: Murnau meldete sich – wie so viele – freiwillig und begann schon während des letzten Kriegsjahres, Drehbücher zu schreiben. „Der Knabe in Blau“war 1919 sein erster Film, und mit „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“gelang ihm 1922 der Durchbruch.
Den langkralligen Untoten, dargestellt von Max Schreck, kennt noch heute jeder. Und trotz der unfreiwilligen Komik, die sich beim Betrachten inzwischen einstellt, ist man sofort gebannt von diesen mi- nutiös choreografierten Szenen, den raffinierten Schnitten, dem Rhythmus der Sequenzen und dem grandiosen Spiel mit dem Schatten. Das gilt genauso für Murnaus „Faust“(1926) und seine effektreiche Sozialstudie „Der letzte Mann“(1924) mit dem magischen Emil Jannings sowie für „Tabu“, eine Romeo-und-JuliaGeschichte, die in die Südsee transportiert ist.
Neben diesen (permanent laufenden) Filmen, den Fotografien, Filmplakaten und Ausstattungsskizzen bilden dann aber fünf filmische Essays die eigentliche Hommage an Murnau. Da ziehen der eingangs erwähnte Luc Lagier, Alexander Kluge, das an der Ästhetik der Stummfilmzeit orientierte Duo Guy Maddin und Evan Johnson, Ulrike Ottinger und Studenten der Filmhochschule ehrfürchtig ihren Hut vor dem Regisseur – was nicht immer glücklich ausfällt. Man vermisst manchmal die Sinnlichkeit, für die Murnau steht. Umso mehr sticht der Beitrag Ulrike Ottingers heraus, denn ihr gelingt es, den alten Zauber wieder aufblitzen zu lassen.
Die Filmemacherin mit Faible fürs Ethnografische konzentriert sich auf Murnaus letzten Film „Tabu“und umspült ausgesucht kultische Szenen mit Ausschnitten etwa ihrer ziemlich schrillen „Madame X“. Das geht gut zusammen, und wenn Ottinger einen tanzenden Südsee-Fischschwarm mit Walzerklängen unterlegt, ist das fast schon ein lichtes spätes Requiem für den genialen Fantasten – Murnau kam wenige Tage nach der Uraufführung von „Tabu“bei einem Autounfall ums Leben.
Wirklich komplett wird die Würdigung des Kino-Wegbereiters Murnau freilich nur durch die große Leinwand, und hier ließ man sich – begleitend – im Filmmuseum des Münchner Stadtmuseums eine besondere Retrospektive einfallen: Bis 18. Februar wird dort das cineastische Gesamtwerk Murnaus in der restaurierten Fassung vorgeführt. Und um das Kinogefühl der 1920er Jahre aufleben zu lassen, sind renommierte Stummfilmmusiker wie unter anderem die Pianisten Richard Siedhoff und Mark Pogolski im Einsatz.
Ausstellung „Friedrich Wilhelm Murnau eine Hommage“bis 26. Februar im Münchner Lenbachhaus, Luisenstr. 33; Retrospektive des Filmmuseums bis 18. Februar im Münchner Stadtmuseum, Jakobsplatz 1.