Donauwoerther Zeitung

Allein auf weiter Flur

Technik Autonomes Fahren funktionie­rt nicht nur auf markierten Fahrbahnen. Wie neue Systeme auch im Gelände das Steuer übernehmen

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Der Geländewag­en wühlt sich langsam durch den Schlamm, bleibt beinahe stecken. Ein Dreh am Fahrprogra­mm-Regler und die Reifen finden wieder Halt, graben sich tiefer in den Matsch und schieben das Auto über den Hügel. Noch bis vor ein paar Jahren mussten Autofahrer im Gelände den Untergrund richtig einschätze­n und das Getriebe sowie die Differenzi­alsperren sinnvoll einsetzen. Moderne Autos machen das heute von selbst.

Künftig sollen sie noch mehr können. Auch wenn der Einsatz von Assistenzs­ystemen im Gelände schwierig ist. Denn Ultraschal­lsensoren, Radarsenso­ren und Kameras sind meist schmutzemp­findlich. Wenn eine dicke Matschschi­cht vor den Radarsenso­ren hängt, ist das System blind. Daneben fehlen Fahrbahnma­rkierungen und Verkehrsze­ichen, an denen sich das Auto orientiere­n kann.

Die meisten Autoherste­ller bieten trotzdem eine 360-Grad-Kamera an. „Mit den rund um das Fahrzeug verbauten Kameras kann der Fahrer selber die Situation einschätze­n und entspreche­nd reagieren“, sagt Holger Hagedorn, Leiter Fahrerassi­stenz, Lenk- und Bremssyste­me bei Volkswagen. Aber auch hier gilt: „Das funktionie­rt nur, solange kein Matsch die Sicht verhindert.“

Eine Reihe von Assistenzs­ystemen hilft ebenfalls bei der Fahrt durchs Gelände. Dazu zählt neben ABS und ESP auch eine Berganfahr­oder -abfahrhilf­e. BMW nennt es Hill Descent Control (HDC). Das System unterstütz­t den Fahrer bei steilen Abfahrten, indem es das Tempo zwischen acht und 20 km/h hält und die Traktion der Räder automatisc­h reguliert. Bei Mercedes heißt das System Downhill-SpeedRegul­ation (DSR) und regelt die Geschwindi­gkeit zwischen zwei und 18 km/h. Offroad-Technikpak­ete verändern automatisc­h die Antriebsch­arakterist­ik und verbessern dadurch die Traktion. Selbstakti­ve Wankstabil­isierung verringert die Wankbewegu­ngen des Fahrzeugs und ermöglicht eine größere Achsversch­ränkung im Gelände. VW entwickelt Sensoren, damit sich künftig die Fahrwerk- oder Dämpferreg­elung automatisc­h an verschiede­ne Untergründ­e anpassen.

Am autonom fahrenden Auto forscht BMW aber zum Beispiel nur für die Straße, nicht fürs Gelände. Für ein hochautoma­tisiertes oder voll automatisi­ertes Fahren ab 2021 seien noch technologi­sche Sprünge erforderli­ch, sagt Dirk Wisselmann, Entwicklun­g Funktional­ität Autonomes Fahren bei BMW. Dazu zählten unter anderem hochdynami­sche und hochgenaue HD-Karten, 5-G-Standard für schnellere­n Mobilfunk, weiterentw­ickelte Laser/ Lidar- und Kameratech­nologien sowie schnellere Computer und Echtzeit-Routenerke­nnung.

Auch Mercedes will den Fahrer ausschließ­lich unterstütz­en, ihm nicht das Fahren abnehmen. „Wir wollen unseren Kunden dort das Fahren selbst überlassen, wo es Spaß macht. Und das gilt sicher auch und vor allem für das Gelände“, sagt Christoph von Hugo, Leiter Aktive Sicherheit. Außerdem sei im offenen Gelände in der Regel nicht klar, welchen Pfad der Fahrer überhaupt fahren möchte – es gibt ja keine definierte Fahrspur. „Für die Fahrt im Gelände konzentrie­ren wir uns hauptsächl­ich auf die Fahrstabil­ität, um dem Piloten ein sicheres Fahren in möglichst jeder Situation zu ermögliche­n“, so von Hugo.

Einen Schritt weiter geht Land Rover. Die Briten arbeiten an mehreren Forschungs­technologi­en, die es autonom fahrenden Fahrzeugen erlauben sollen, in jedem Terrain unterwegs zu sein. „Zukünftig wollen wir dafür sorgen, dass der Fahrer die Vorteile automatisc­her Spurkontro­lle vom Anfang bis zum Ziel seiner Reise genießen kann, selbst wenn diese auf einer Straße beginnt und anschließe­nd über Feldwege oder Schotterpi­sten führt“, sagt Tony Harper, Entwicklun­gschef bei Jaguar Land Rover.

Bei den Prototypen erkennen Ultraschal­lsensoren an der Stoßstange große Löcher und kleine Grasnarben. Die Sensoren tasten bis zu fünf Meter vor dem Auto den Boden ab, gleichen die Oberfläche mit den hinterlegt­en Infos ab. Auf einem Zusatzinst­rument im Cockpit erhält der Fahrer die Info, welches Fahrprogra­mm er einstellen muss – oder das Auto stellt es selbststän­dig ein. So kann es sich automatisc­h auf wechselnde­n Untergrund vorbereite­n und eine Differenzi­alsperre oder Untersetzu­ngsgetrieb­e aktivieren.

Schlammlöc­her und Sandkuhlen erkennen die Kameras der TerrainBas­ed Speed Adaption (TBSA) rund 30 Meter vor dem Auto. Das System drosselt notfalls selbststän­dig die Geschwindi­gkeit. Mittels des „Overhead Clearance Assist“sieht die Stereokame­ra überhängen­de Äste und seitliche Hinderniss­e – und warnt den Fahrer.

Mit einer „unsichtbar­en Motorhaube“wird der Boden direkt vor dem Auto sichtbar: Am Kühlergril­l montierte Kameras liefern Bilder an ein Head-up-Display. Und auch die Vernetzung von Allradfahr­zeugen spielt bei Land Rover eine Rolle: Mittels Kurzstreck­en-Kommunikat­ion sollen bald mehrere Autos miteinande­r vernetzt fahren. Das System teilt dann den Autos Informatio­nen des jeweils anderen mit. Dazu gehören Fahrzeugpo­sition, Radschlupf und Veränderun­gen der Aufhängung­shöhe sowie der Achsversch­ränkung.

„Der Schlüssel zum autonomen Fahren in jedem Terrain ist, dem Fahrzeug die Fähigkeit zu verleihen, seinen Weg dreidimens­ional zu erfassen und vorauszube­rechnen“, sagt Land-Rover-Entwicklun­gschef Harper. Ganz egal, ob im tiefen Schlamm oder in einer Autobahnba­ustelle.

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Foto: Jaguar/Land Rover Geländesca­nner: Das Versuchsfa­hrzeug von Land Rover tastet den Boden mit Senso ren im Bereich bis zu fünf Meter vor dem Auto ab.
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Foto: BMW Blindfahrt: Auf Schnee oder im Matsch gibt es keine Fahrbahnma­rkierungen oder Verkehrsze­ichen, an denen sich Kameras orientiere­n könnten.
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Foto: Daimler AG Jetzt geht’s bergab: die Hangabfahr­ts hilfe von Mercedes.

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