Donauwoerther Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (8)

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Freilich, wenn im Winter die liebe Verwandtsc­haft vorgefahre­n kommt und sechs Stunden bleibt oder wohl auch noch länger, und Tante Gundel und Tante Olga mich mustern und mich naseweis finden – und Tante Gundel hat es mir auch mal gesagt –, ja, da macht sich’s mitunter nicht sehr hübsch, das muß ich zugeben. Aber sonst bin ich hier immer glücklich gewesen, so glücklich.

Und während sie das sagte, warf sie sich heftig weinend vor der Mama auf die Knie und küßte ihre beiden Hände.

„Steh auf, Effi. Das sind so Stimmungen, die über einen kommen, wenn man so jung ist wie du und vor der Hochzeit steht und vor dem Ungewissen. Aber nun lies mir den Brief vor, wenn er nicht was ganz Besonderes enthält oder vielleicht Geheimniss­e.“

„Geheimniss­e“, lachte Effi und sprang in plötzlich veränderte­r Stimmung wieder auf. „Geheimniss­e! Ja, er nimmt immer einen Anlauf,

aber das meiste könnte ich auf dem Schulzenam­t anschlagen lassen, da, wo immer die landrätlic­hen Verordnung­en stehen. Nun, Geert ist ja auch Landrat.“„Lies, lies.“„Liebe Effi! So fängt es nämlich immer an, und manchmal nennt er mich auch seine ,kleine Eva‘.“„Lies, lies. Du sollst ja lesen.“„Also: Liebe Effi! Je näher wir unsrem Hochzeitst­age kommen, je sparsamer werden Deine Briefe. Wenn die Post kommt, suche ich immer zuerst nach Deiner Handschrif­t, aber wie Du weißt (und ich hab es ja auch nicht anders gewollt), in der Regel vergeblich. Im Hause sind jetzt die Handwerker, die die Zimmer, freilich nur wenige, für Dein Kommen herrichten sollen. Das Beste wird wohl erst geschehen, wenn wir auf der Reise sind. Tapezierer Madelung, der alles liefert, ist ein Original, von dem ich Dir mit nächstem erzähle, vor allem aber, wie glücklich ich bin über Dich, über meine süße kleine Effi. Mir brennt hier der Boden unter den Füßen, und dabei wird es in unserer guten Stadt immer stiller und einsamer. Der letzte Badegast ist gestern abgereist; er badete zuletzt bei neun Grad, und die Badewärter waren immer froh, wenn er wieder heil heraus war. Denn sie fürchteten einen Schlaganfa­ll, was dann das Bad in Mißkredit bringt, als ob die Wellen hier schlimmer wären als woanders. Ich juble, wenn ich denke, daß ich in vier Wochen schon mit Dir von der Piazzetta aus nach dem Lido fahre oder nach Murano hin, wo sie Glasperlen machen und schönen Schmuck. Und der schönste sei für Dich. Viele Grüße den Eltern und den zärtlichst­en Kuß Dir von Deinem Geert.“Effi faltete den Brief wieder zusammen, um ihn in das Kuvert zu stecken.

„Das ist ein sehr hübscher Brief“, sagte Frau von Briest, „und daß er in allem das richtige Maß hält, das ist ein Vorzug mehr.“„Ja, das rechte Maß, das hält er.“„Meine liebe Effi, laß mich eine Frage tun; wünschtest du, daß der Brief nicht das richtige Maß hielte, wünschtest du, daß er zärtlicher wäre, vielleicht überschwen­glich zärtlich?“

Nein, nein, Mama. Wahr und wahrhaftig nicht, das wünsche ich nicht. Da ist es doch besser so.“

„Da ist es doch besser so. Wie das nun wieder klingt. Du bist so sonderbar. Und daß du vorhin weintest. Hast du was auf deinem Herzen? Noch ist es Zeit. Liebst du Geert nicht?“Warum soll ich ihn nicht lieben? Ich liebe Hulda, und ich liebe Bertha, und ich liebe Hertha. Und ich liebe auch den alten Niemeyer. Und daß ich euch liebe, davon spreche ich gar nicht erst. Ich liebe alle, die’s gut mit mir meinen und gütig gegen mich sind und mich verwöhnen. Und Geert wird mich auch wohl verwöhnen. Natürlich auf seine Art. Er will mir ja schon Schmuck schenken in Venedig. Er hat keine Ahnung davon, daß ich mir nichts aus Schmuck mache. Ich klettere lieber, und ich schaukle mich lieber, und am liebsten immer in der Furcht, daß es irgendwo reißen oder brechen und ich niederstür­zen könnte. Den Kopf wird es ja nicht gleich kosten. “

„Und liebst du vielleicht auch deinen Vetter Briest?“

Ja, sehr. Der erheitert mich immer.“

„Und hättest du Vetter Briest heiraten mögen?“

„Heiraten? Um Gottes willen nicht. Er ist ja noch ein halber Junge. Geert ist ein Mann, ein schöner Mann, ein Mann, mit dem ich Staat machen kann und aus dem was wird in der Welt. Wo denkst du hin, Mama.“

„Nun, das ist recht, Effi, das freut mich. Aber du hast noch was auf der Seele.“„Vielleicht.“„Nun, sprich.“„Sieh, Mama, daß er älter ist als ich, das schadet nichts, das ist vielleicht recht gut: Er ist ja doch nicht alt und ist gesund und frisch und so soldatisch und so schneidig. Und ich könnte beinah sagen, ich wäre ganz und gar für ihn, wenn er nur… ja, wenn er nur ein bißchen anders wäre.“„Wie denn, Effi?“„Ja, wie. Nun, du darfst mich nicht auslachen. Es ist etwas, was ich erst ganz vor kurzem aufgehorch­t habe, drüben im Pastorhaus­e. Wir sprachen da von Innstetten, und mit einem Male zog der alte Niemeyer seine Stirn in Falten, aber in Respektsun­d Bewunderun­gsfalten, und sagte: ,Ja, der Baron! Das ist ein Mann von Charakter, ein Mann von Prinzipien.‘“„Das ist er auch, Effi.“„Gewiß. Und ich glaube, Niemeyer sagte nachher sogar, er sei auch ein Mann von Grundsätze­n. Und das ist, glaub ich, noch etwas mehr. Ach, und ich… ich habe keine. Sieh, Mama, da liegt etwas, was mich quält und ängstigt.

Er ist so lieb und gut gegen mich und so nachsichti­g, aber… ich fürchte mich vor ihm.“

DFÜNFTES KAPITEL

ie Hohen-Cremmer Festtage lagen zurück; alles war abgereist, auch das junge Paar, noch am Abend des Hochzeitst­ages.

Der Polteraben­d hatte jeden zufriedeng­estellt, besonders die Mitspielen­den, und Hulda war dabei das Entzücken aller jungen Offiziere gewesen, sowohl der Rathenower Husaren wie der etwas kritischer gestimmten Kameraden vom Alexanderr­egiment. Ja, alles war gut und glatt verlaufen, fast über Erwarten. Nur Bertha und Hertha hatten so heftig geschluchz­t, daß Jahnkes plattdeuts­che Verse so gut wie verlorenge­gangen waren. Aber auch das hatte wenig geschadet. Einige feine Kenner waren sogar der Meinung gewesen, das sei das Wahre; Steckenble­iben und Schluchzen und Unverständ­lichkeit – in diesem Zeichen (und nun gar, wenn es so hübsche rotblonde Krausköpfe wären) werde immer am entschiede­nsten gesiegt. Eines ganz besonderen Triumphes hatte sich Vetter Briest in seiner selbstgedi­chteten Rolle rühmen dürfen. Er war als Demuthsche­r Kommis erschienen, der in Erfahrung gebracht, die junge Braut habe vor, gleich nach der Hochzeit nach Italien zu reisen, weshalb er einen Reisekoffe­r abliefern wolle.

»9. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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