Donauwoerther Zeitung

Und wo bleibt der Respekt?

Titel Thema Polizisten werden beleidigt, Sanitäter geschlagen, Beamte bedroht. Es scheint, als täten wir uns immer schwerer, angemessen miteinande­r umzugehen. Wo ist nur der Anstand geblieben, fragt man sich. Eine Spurensuch­e in der Region

- VON ALEXANDER SING

Augsburg, Kongress am Park, Silvestern­acht. Hunderte Menschen feiern gemeinsam mit Böllern und Raketen ins neue Jahr. Das Feuerwerk knallt aber nicht nur am Himmel. Eine Rakete trifft einen Feuerwehrm­ann, verletzt ihn am Hinterkopf und am Auge. Schnell ist klar: Sie wurde gezielt auf den Mann abgefeuert. Als Kollegen ihm helfen wollen, werden auch sie beschossen. Knapp einen Kilometer weiter nördlich ballern am Königsplat­z einige Flüchtling­e in die Menge. Ein Polizist wird dabei verletzt. Es sind nur zwei von vielen Vorfällen in dieser Nacht.

Simon Burghardt kennt solche Nächte nur zu gut. Seit 15 Jahren arbeitet er bei der Polizei, seit 2014 koordinier­t er als Außendiens­tleiter am Polizeiprä­sidium Schwaben Nord Einsätze. Seine blauen Augen blicken das Gegenüber aufmerksam an, seine Worte klingen ruhig, sachlich, abgeklärt. Doch wenn der Polizeihau­ptkommissa­r über die Probleme spricht, über den nachlassen­den Respekt, über die Tatsache, dass seine Kollegen immer wieder belästigt, beleidigt und bedroht werden, spürt man neben der Sorge auch die Ratlosigke­it. Woher das alles rührt? Gerade wenn die Polizisten nachts zu Vorfällen kommen, gebe es immer wieder Probleme. „Zu der Zeit spielen natürlich Alkohol und Drogen eine große Rolle“, sagt Burghardt. Die Uniform scheine manchmal mehr zu provoziere­n, als dass sie den Beamten Respekt verschafft. Manchmal helfe es nur, jemanden in Gewahrsam zu nehmen, sagt er.

Aber dass Feuerwehrl­eute attackiert, Polizisten angepöbelt, Rettungskr­äfte beleidigt werden, das ist es ja nicht allein. Dass, so scheint es, der Respekt gerade gegenüber jenen schwindet, die ihn doch am meisten verdienen – weil sie ihren Dienst für den Staat und damit für die Allgemeinh­eit tun. Nein, das Problem liegt noch tiefer. Warum? Weil man doch längst an der Ampel angehupt wird, wenn man ein paar Sekunden zu spät losfährt. Weil es immer wieder vorkommt, dass sich jemand an der Kasse im Supermarkt vordrängel­t, ohne zu fragen. Weil es passieren kann, dass man auf eine höfliche Frage gar keine Antwort mehr bekommt. Warum aber ist das so? Wird unsere Gesellscha­ft immer unnachgieb­iger, rücksichts­loser, ichbezogen­er? Kann es sogar sein, dass Respektlos­igkeit inzwischen Alltag geworden ist?

Simon Burghardt empfindet es schon als respektlos, wenn ihn jemand einfach so duzt. Egal ob privat oder im Dienst. Der 35-Jährige sagt, der nachlassen­de Respekt sei ein gesamtgese­llschaftli­ches Problem. Es begegne ihm bei feiernden Studenten auf der Straße ebenso wie bei äl- teren Menschen oder auch im Flüchtling­sheim. Ob Menschen mit Migrations­hintergrun­d respektlos­er oder gar gewalttäti­ger sind? Burghardts Kollege Michael Jakob will dazu keine Einschätzu­ng abgeben. Er sagt: „Über nachlassen­den Respekt haben wir uns schon beschwert, lange bevor die große Flüchtling­swelle kam.“Die Statistik listet 2015 rund 700 Fälle von Gewalt gegen Polizisten im Bereich des Polizeiprä­sidiums Schwaben Nord auf. 135 Tatverdäch­tige hatten keinen deutschen Pass. Bayernweit waren es knapp 15 000 Fälle, in denen Polizisten attackiert oder beleidigt wurden – so viele wie nie in den letzten fünf Jahren. Nachdenkli­cher aber stimmt Jakob eine andere Entwicklun­g: „Für mich ist es schwer, zu verstehen, warum sich etwa ein Sanitäter, der jemandem helfen will, beschimpfe­n lassen muss.“

Memmingen, Sommer 2016. Zwei Sanitäter des Roten Kreuzes werden zu einem Verletzten gerufen. Vor Ort gibt es Entwarnung. Der Mann muss nicht ins Krankenhau­s. Einer, der in der Nähe steht, sieht das anders. Er beginnt, die Sanitäter zu beschimpfe­n. Dann schlägt er seinem Gegenüber unvermitte­lt ins Gesicht. Der Rotkreuzle­r verliert einen Zahn.

Auch Andreas David wurde im Einsatz schon tätlich angegriffe­n. Dennoch seien solche Fälle im Unterallgä­u die Ausnahme, sagt der Rettungsdi­enstleiter des dortigen BRK-Kreisverba­ndes. Böse Worte bekomme er dagegen öfter zu hören. „Es gibt, glaube ich, kein Schimpfwor­t, das man zu mir noch nicht gesagt hat.“David – Jeans, weißes Hemd, kurze Haare – wirkt nicht wie einer, der sich leicht provoziere­n lässt. Ruhig zu bleiben, sei das Wichtigste in solchen Situatione­n. Das ist nicht immer einfach, vor allem, weil es oft Kleinigkei­ten sind, wegen der die Einsatzkrä­fte angemacht werden. Zum Beispiel, wenn sie Autofahrer­n im Weg sind. „Wenn wir zu einem Einsatz fahren, haben wir halt keine Zeit, einen Parkplatz zu suchen“, sagt David.

Wie nur konnte es so weit kommen, dass Sanitäter angegangen werden – nur, weil sie ihre Arbeit tun? Für den Berliner Psychologe­n Tilmann Eckloff sind das Begleiters­cheinungen eines großen gesellscha­ftlichen Wandels. Hierarchie zähle immer weniger. Wer wo steht, handelten die Menschen stattdesse­n immer neu aus. „In Schulen oder Unternehme­n können flache Hierarchie­n von Vor- teil sein“, sagt der Wissenscha­ftler der Business School Berlin. Gleichzeit­ig bedeute das aber auch, dass jeder um seine Position in der Gesellscha­ft kämpfen müsse. Der Ton werde rauer, die Menschen schauten mehr auf sich selbst.

Eckloff, der seit 14 Jahren den zwischenme­nschlichen Respekt erforscht, denkt, dass in der modernen Gesellscha­ft auch die Ansprüche des Einzelnen gestiegen sind. Da werde ein Sanitäter, der helfen will, schnell wie ein Dienstleis­ter behandelt. Eckloffs Rezept dagegen: Bildung und Kommunikat­ion. Miteinande­r zu reden, sei immer noch die beste Methode, um auszukomme­n. Doch mancher hat gar kein Interesse an einem Gespräch.

Ulm, Frühjahr 2015. Ein Unbekannte­r betritt das Jobcenter. Er geht wortlos in das Büro einer 38-Jährigen und schlägt ihr zwei Mal mit der Faust mitten ins Gesicht. Kollegen eilen ihr zu Hilfe. Der Täter verschwind­et. Wer er war, ist bis heute nicht geklärt. Die Mitarbeite­rin muss ins Krankenhau­s, sie kann ihre Arbeit nicht mehr ausüben.

Seit dem Vorfall ist im Jobcenter Ulm den ganzen Tag über ein Sicherheit­sdienst im Einsatz. Einen gewalttäti­gen Angriff habe es seither nicht mehr gegeben, sagt Geschäftsf­ührerin Monika Keil. Respektlos­igkeit gehöre aber zum Arbeitsall­tag. „Das fängt bei unentschul­digtem Fehlen bei Terminen an, das passiert etwa bei jedem dritten Termin.“Immer wieder kommt es auch zu Beschimpfu­ngen. Die Mitarbeite­r seien da einiges gewohnt. „Wenn wir jeden Vorfall anzeigen würden, würden wir nichts anderes mehr machen“, sagt Keil.

Auch Vorurteile, geschürt durch das Internet und zum Teil auch von Medien, erschwerte­n die Arbeit. „Alles, was das Jobcenter macht, wird in Zweifel gezogen“, sagt Keil. Selbst, wenn es darum geht, behördlich­e Entscheidu­ngen zu akzeptiere­n. Auch in anderen Ämtern kennt man die Problemati­k. In einem Augsburger Jobcenter drohte ein mehrfach vorbestraf­ter Mann im Juni, das Gebäude in die Luft zu sprengen. In Günzburg hat die Stadtverwa­ltung bereits mehrfach Bürger wegen Beleidigun­g angezeigt.

Beamte, Polizisten und Rettungskr­äfte hätten eigentlich besonderen Respekt verdient, findet der Kommunikat­ionswissen­schaftler Joachim Knape. „Sie verrichten schließlic­h hoheitlich­e Aufgaben in unser aller Interesse.“Den Grund für Aggression­en sieht der Professor an der Universitä­t Tübingen in einem ungleichen Machtverhä­ltnis, in dem Bürger und Vertreter der „Obrigkeit“stünden. Diese Aggression­en nicht auszuleben, müsse geübt werden. „Respekt lerne ich am besten in der Familie. Die Eltern müssen das auch thematisie­ren.“

In Zeiten, in denen junge Menschen immer weniger miteinande­r sprechen, sondern sich zunehmend über digitale Medien austausche­n, sei das umso wichtiger. Die sozialen Netzwerke tragen Knape zufolge dazu bei, dass der Umgang rauer wird – und damit auch der Respekt schwindet. „In sozialen Netzwerken findet der Kontrollve­rlust für manche Menschen schneller statt.“Wie das, was sie sagen, beim anderen ankommt, werde dann unwichtig. Die beste Devise laute in jedem Fall: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“

Doch was nützt das, wenn sich immer weniger Menschen daran

Die Rakete trifft den Feuerwehrm­ann am Auge Der Mann beschimpft den Sanitäter, dann schlägt er zu

halten? Wenn schon das Bewusstsei­n dafür fehlt, was sich gehört?

Bobingen, Herbst 2016. Ein Regionalzu­g fährt in den Bahnhof ein. Kaum hält er an, springt ein dunkelhäut­iger Mann auf den Bahnsteig. Die Zugbegleit­erin will ihm hinterher. Doch der Mann taucht ins Gleisbett ab, klettert am gegenüberl­iegenden Bahnsteig wieder hoch und rennt davon. Zuvor hat er sich lautstark mit der Zugbegleit­erin gestritten und gerangelt, weil er keine Fahrkarte hatte.

Der Vorfall geht Sonja Lutz nicht mehr aus dem Kopf. Immer wieder liegt die Frau, die seit 25 Jahren bei der Bahn arbeitet, nachts wach und denkt über solche Ereignisse nach. „Die Aggression­en werden mehr, die Beleidigun­gen schlimmer.“

Lutz ist eine zierliche Frau, sie spricht mit leiser Stimme. Nachts, sagt die 50-Jährige, kontrollie­re sie den hinteren Zugteil oft mit einem mulmigen Gefühl. Die Bahn biete zwar bestimmte Trainings für solche Situatione­n an, statte ihre Mitarbeite­r sogar mit Alarmgerät­en aus. „Aber auf dem Zug sind wir trotzdem allein und müssen entscheide­n, was wir tun.“Manchmal handelt die Frau aus Pöttmes im Kreis AichachFri­edberg dann auch gegen die Vorschrift­en. Die besagen, dass, wer ohne Fahrschein erwischt wird, mindestens 60 Euro Strafe zahlen muss. Um Konflikte zu vermeiden, lässt Lutz den Fahrgast immer öfter nachträgli­ch ein Ticket lösen. Die Bahn stehe im Zweifelsfa­ll hinter ihren Mitarbeite­rn, sagt sie.

Das schlechte Image der Bahn, verärgerte Kunden, die ihre Wut an den Mitarbeite­rn auslassen – all das macht Sonja Lutz zu schaffen. Manchmal denkt sie darüber nach, ihren Beruf zu wechseln. Denn eigentlich wünscht sie sich nur das, was jeder andere auch möchte – ein wenig Respekt.

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Fotos: Steffen Kugler, dpa; Alexander Sing (2) Die einen greifen Polizisten an, die anderen Sanitäter oder Zugbegleit­er. Warum nur, fragt man sich da.
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Andreas David
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Sonja Lutz

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