Die Schule wird zur Kampfzone
Titel Thema Sigrid Puschner leitet eine Mittelschule. Mit den meisten Eltern und Schülern versteht sie sich gut. Aber die, die sich gehörig danebenbenehmen, werden immer mehr
Rettungsdienste werden bei ihrer Arbeit behindert, Polizisten beleidigt. Sie alle klagen über mangelnden Respekt. Frau Puschner, wie sieht es bei den Lehrern aus? Sigrid Puschner: Ich glaube, dass sich in der ganzen Gesellschaft die Einstellung gegenüber Mitmenschen wandelt – auch in der Schule. Schüler, die respektlos mit Lehrern reden, und Eltern, die ohne Respekt mit der Schule kommunizieren, sind ein ernsthaftes Problem.
Seit wann beobachten Sie das? Puschner: Das war ein schleichender Prozess. Ich würde sagen, es hat sich in den letzten zehn Jahren angebahnt. Die Hemmschwelle sinkt vor allem da, wo Jugendliche in der Gruppe unterwegs sind. Im Einszu-eins-Gespräch sieht das oft ganz anders aus, da begegnet den Kollegen und mir nur wenig respektloses Verhalten.
Sie leiten die Mittelschule Gersthofen im Kreis Augsburg. Was glauben Sie, ist mangelnder Respekt hier ein größeres Problem als etwa am Gymnasium? Puschner: Wir sehen uns hier nicht als Zentrum der Respektlosigkeit. Viele Schüler sind gerne da und dankbar für das, was sie lernen. Mangelnder Respekt zieht sich durch alle sozialen Schichten – auch wenn die Erscheinungsformen vielleicht verschieden sind. Manche Eltern vergraben sich in Erziehungsratgebern und geben ihrem Kind Freiräume, die es noch gar nicht verarbeiten kann. Andere halten sich mit zwei Jobs über Wasser und deshalb, ihr Kind zu erziehen. Wieder andere interessieren sich einfach nicht dafür. Aber am Ende macht es keinen Unterschied, ob ein Schüler zum Lehrer sagt: „Lass mich in Ruhe, Alter“, oder „Sie haben mir gar nichts zu sagen.“
Kommt das genauso vor? Puschner: Ja. Wir hatten mal einen Fall, in dem ein Schüler dem Lehrer „Halt’s Maul“gesagt hat. Vom Hausmeister oder von den Betreuern am Nachmittag lassen sich Schüler oft erst recht nichts sagen.
Was tun Sie in solchen Fällen? Puschner: Wir setzen die Eltern in Kenntnis. Für ein „Halt’s Maul“bekommt der Schüler einen Verweis. Aber ich halte nichts davon, wenn man Jugendliche mit Verweisen überhäuft – sonst verliert er seine Wirkung. Der wird dann unterschrieben, und das war’s.
Was haben Sie sonst noch für Möglichkeiten? Puschner: Wir arbeiten so oft wie möglich präventiv, buchen Experten für Workshops, in denen Schüler mit ihrem Handeln konfrontiert werden. Aber für solche Maßnahmen ist nur wenig Geld vorgesehen. Meistens können wir erst etwas tun, wenn die Misere schon da ist. Ich wünsche mir von den Institutionen, dass sich da etwas ändert.
Was kann ein Lehrer tun, um den Schülern den Wind aus den Segeln zu nehmen? Puschner: Die wichtigste Vorausset- zung ist, dass auch ein Lehrer seine Schüler respektiert. Ich glaube nämlich, dass manche Probleme hausgemacht sind. Wenn man Probleme mit einem Schüler hat und von der ganzen Klasse dabei beobachtet wird, ist es manchmal schwierig, pädagogisch richtig zu arbeiten. Viele Lehrer stehen unter Druck. Das merken die Schüler – und das nutzen sie aus.
In einer Umfrage des Forsa-Instituts gab jeder vierte Lehrer an, selbst schon psychische Gewalt an der Schule erlebt zu haben. Zwei Drittel der Betroffenen wurden von Eltern beschimpft. Sehen Sie so etwas auch? Puschner: Ja. Eltern haben heute wenig Hemmungen, ausfallend zu werden. Und sie neigen dazu, den Lehrer zu übergehen. Wenn sie sich beschweren wollen, rufen sie direkt bei mir an oder sogar beim Schulamt. Die Drohgebärden nehmen zu: „Wenn du nicht machst, was ich will, lege ich Dienstaufsichtsbeschwerde ein.“Das betrifft übrigens nicht nur junge Lehrer.
Was tun Sie dann? Puschner: Der Dialog steht bei uns an erster Stelle. Ich rate Kollegen, Gespräche mit schwierigen Eltern zu zweit zu führen, damit man im Zweifelsfall einen Zeugen hat. Aber wir sind damit konfrontiert, dass Eltern zu Gesprächen gar nicht komvergessen men. Oder sie kommen nur dann, wenn sie eine Forderung haben.
Welche zum Beispiel? Puschner: Wenn ihr Kind eine schlechte Note nach Hause bringt, steht für solche Eltern fest: Der Lehrer hat den Stoff nicht richtig durchgenommen – selbst wenn das Kind für die Probe vielleicht einfach nicht gelernt hat. Dann fordern sie, dass die Note nicht anerkannt wird. Auch in solchen Fällen drohen Eltern mit dem Schulamt – oder mit dem Rechtsanwalt, selbst bei nichtigsten Gründen. Wenn der Schüler nacharbeiten muss zum Beispiel.
Was passiert dann? Puschner: Normalerweise schreibt man dem Rechtsanwalt, legt alles dar – und hört dann nichts mehr.
Sie halten mangelnden Respekt für ein gesellschaftliches Phänomen. Hat sich in der Erziehung etwas geändert? Puschner: Ich glaube, dass Respekt heute kein wichtiges Erziehungsziel mehr ist. Das Ansehen von Schule und Wissen ist auch gesunken. Überspitzt formuliert: Wenn ich etwas wissen will, dann suche ich bei Google. Auch das hat mangelnden Respekt gegenüber Lehrern zur Folge. Interview: Sarah Ritschel
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Nicht nur junge Lehrer werden zu Opfern