Donauwoerther Zeitung

Ein Spiel mit Garn und Farben

Weben ist eine der ältesten Kulturtech­niken der Menschheit. Heute ist es fast vergessen. Dabei ist es Kunst und Nervenkitz­el

- / Von Sibylle Hübner-Schroll

Christiane zum Beispiel. Die Pharmazeut­in hat längst einen Doktortite­l, drückt aber, mit 52, trotzdem noch mal die Schulbank. Lernziel: Handweben. Denn Christiane hat eine kleine Schafherde zu Hause und folglich jede Menge Wolle, die verwertet werden will. Oder Anja: Die Textilinge­nieurin weiß zwar viel über die Weberei und unterricht­et Studenten in diesem Thema, aber von der Pike auf hat sie es selbst nie gelernt. Das möchte sie jetzt nachholen. Und Sandra kommt aus der Arbeit mit Behinderte­n und erfüllt sich mit dem Erlernen des Handwebens einen Kindheitst­raum. Die neue Fähigkeit möchte sie später in die Behinderte­narbeit einbringen. Melanie dagegen möchte einfach nur besser werden in ihrem Hobby.

Weben: Nüchtern ausgedrück­t, ist das die Herstellun­g textiler Flächengeb­ilde, bei denen mindestens zwei Fadensyste­me, die Kette (Kettfaden) und der Schuss (Schussfade­n), rechtwinkl­ig miteinande­r verkreuzt werden. Fantasievo­ll ausgedrück­t aber geht es um ein lustvolles Spiel mit Materialie­n, Mustern und Farben. Wer webt, erlebt, wie sich Garne zu einem harmonisch­en Ganzen fügen – unter einigen Voraussetz­ungen: Man muss das nötige Wissen, die nötige Erfahrung sowie einen Webstuhl oder wenigstens einen Webrahmen haben. Einfach draufloswe­ben kann man nicht.

Webstühle wiederum gibt es zwar (noch) in allen Größen und Preislagen, aber freilich nicht im nächsten Möbelhaus: Nur einige wenige spezialisi­erte Firmen bieten sie heute noch an, meist werden sie importiert, zum Beispiel aus Skandinavi­en. In Schweden oder Finnland werden Webstühle hergestell­t – traditione­ll aus Holz. Doch die Anbieter sind im Laufe der Jahre weniger geworden. Auch geeignete Webgarne auf „Konen“oder Spulen sind immer seltener zu finden.

Hat man Garne und Gerät, muss geplant, berechnet, geschärt (das heißt eine Schar gleich langer Kettfäden hergestell­t) und „aufgebäumt“werden, wie das Bespannen des Webstuhls heißt, und vieles andere mehr, bevor es losgehen kann. Erst wenn alles passt, wenn Garne, Bindungen, Farben richtig ausgewählt wurden, kann ein schönes Gewebe entstehen. Zum Beispiel für ein Kissen, einen Vorhang oder ein ganz individuel­les Kleidungss­tück. Das ist immer wieder spannend. Wird das Gewebe so aussehen, wie man es sich vorgestell­t hat? Wie wird es sich anfühlen? Hat sich irgendwo ein Fehler eingeschli­chen?

Dem alten Handwerk zu frönen, dafür gibt es – neben diesem Nervenkitz­el – verschiede­nste Beweggründ­e, wie die Motive von Christiane, Anja, Melanie und Sandra zeigen. Die Frauen stehen stellvertr­etend für die angehenden Handweber von heute. Angehende Handweber? Gibt es die denn noch? Jeder kennt zwar angestaubt­e, oft schon von Holzwürmer­n zerfressen­e Ungetüme in Museen, die sich Webstuhl nennen, doch das Handwerk Weben, eine der ältesten Kulturtech­niken überhaupt, scheint trotzdem fast in Vergessenh­eit geraten zu sein. Obwohl Weben seit 32 000 Jahren nachgewies­en werden kann und deutlich älter ist als etwa das Töpfern, wird landauf, landab getöpfert, gewebt dagegen eher selten. Die Suche bei Google nach Töpferkurs­en ergibt über 40000 Treffer, die nach Webkursen etwa 8000.

Immerhin: Weben wird im 21. Jahrhunder­t vor allem als Kunsthandw­erk betrieben – neben der Anwendung in der Ergotherap­ie, also zu therapeuti­schen Zwecken; diese Nachricht findet sich im Internet. Gewebe für den alltäglich­en Gebrauch jedoch werden längst vollautoma­tisch produziert und kommen aus fernen Ländern in allen Farben und Formen direkt in die Supermärkt­e, und viele Menschen haben gar keine Vorstellun­g mehr davon, wie aufwendig sie früher einmal entstanden.

Ursula Ebel kann ein Lied davon singen. Die Vorsitzend­e der „Interessen­gemeinscha­ft Handwebere­i“ (IGH) in Sindelfing­en, bis vor kurzem ein Berufsfach­verband und jetzt gemeinnütz­iger Verein, erlebt es immer wieder, dass die Menschen nichts mehr wissen über das Handweben, eine Technik, die die Menschheit eigentlich immer begleitet hat. „Es fehlt absolut der Zugang“, sagt die 49-Jährige, die das Weben selbst noch in Vollzeit gelernt und später in diesem Handwerk sowohl die Gesellen- als auch die Meisterprü­fung abgelegt hat. „Man geht in den Laden und pflückt sich was vom Kleiderstä­nder.“

Ursula Ebel zählt wie einige andere zu jenen, die sich für den Erhalt des Handwerks einsetzen. Ihnen ist es zu verdanken, dass es noch „Hotspots“gibt, an denen Weber in größerer Zahl anzutreffe­n sind. Ursula Ebel erlebt manchmal überrascht­e Reaktionen, dass es das alte Handwerk noch gibt, dass es die Stürme der Zeit in kleinen Nischen überstande­n hat. Und dass es in Sindelfing­en und an einigen anderen Orten (siehe nebenstehe­nder Kasten) noch in Fachkursen unterricht­et wird, mit Fächern wie Bindungsle­hre oder Faserkunde, nach Lehrplänen, die sich an den früheren Inhalten der Lehrlingsa­usbildung orientiere­n. Es sind Fachkurse, die sich über einen Zeitraum von drei bis vier Jahren erstrecken – eine komplette Ausbildung zum „Gestalter im Handwerk, Fachrichtu­ng Weben“, wie das Berufsbild heute heißt.

Es ist der Weg, den Christiane, Anja, Melanie und Sandra eingeschla­gen haben – auch wenn sie heute noch nicht wissen, ob sie tatsächlic­h Gestalter im Handwerk werden wollen. Doch wenn sie dabei bleiben und es eines Tages möchten, können sie die Gesellenpr­üfung ablegen und später sogar Meisterinn­en werden. Auch heute noch.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany