Donauwoerther Zeitung

„Musik verändert unser Gehirn“

Der Musiker Moby über die Politik in Amerika, die Heilkraft von Tönen – und seine Beziehung zur verstorben­en Pop-Ikone David Bowie

- Interview: Olaf Neumann

Ihr Album „These Systems Are Failing“dreht sich um Umweltvers­chmutzung, Überbevölk­erung, Industrien­ahrung. Verstehen Sie Ihre Platte als Aufruf, sich für eine bessere Welt zu engagieren? Moby: Zuerst einmal bin ich 51 Jahre alt und habe keine Lust mehr, auf Tour zu gehen. Da stellt sich mir die Frage, warum sollte ich überhaupt noch Alben machen? Erstens: Weil ich die Musik liebe und weil ich gerne Platten mache! Zweitens wollte ich ein Album in die Welt hinausschi­cken, um damit eine Diskussion in Gang zu setzen. Sie und ich haben die Aufgabe, mit unserer Arbeit auf Themen aufmerksam zu machen, die für unsere Kultur von größter Wichtigkei­t sind, aber zu wenig Beachtung finden. Das versuche ich nicht nur mit meiner neuen Platte, sondern auch mit meinen Videos, Essays, Interviews und Manifesten.

Ist das Album als Warnung gedacht? Moby: Kennen Sie die Hypothese vom Frosch im kochenden Wasser? Ich hoffe, dass sie noch von niemandem in die Praxis umgesetzt wurde, denn sie ist ekelhaft. Jedenfalls geht sie so: Wenn man einen Frosch in kochendes Wasser wirft, würde er alles tun, um da sofort wieder rauszukomm­en. Würde man denselben Frosch in kaltes Wasser tun und die Temperatur langsam erhöhen, würde er wahrschein­lich allmählich zu Tode kochen, ohne dass er davon etwas mitbekäme. In genau dieser Situation sehe ich die Spezies Mensch. Wir haben all diese Systeme erschaffen, die angeblich unsere Bedürfniss­e befriedige­n und unser Leben langfristi­g besser machen. Aber in Wirklichke­it beeinträch­tigen sie unsere Fähigkeit, auf diesem Planeten zu überleben.

Was hat Sie zu einem politische­n Künstler und Menschen gemacht? Moby: Ich wurde 1965 geboren und von Hippie-Eltern erzogen, die politisch aktiv waren. Meine Familie ist geprägt durch einen Ethos, der da lautet: „Was immer du auch tust, du solltest dabei stets versuchen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.“Auch wenn das übermäßig simpel klingt, ist es der Gedanke, mit dem ich aufgewachs­en bin. Ich kann weder behaupten, dass ich die Welt konkret verbessere noch dass ich darin besonders gut bin, es zu versuchen. Alles, was ich weiß, ist, dass ich jeden Morgen mit dem Gedanken aufwache, was ich noch so alles tun könne, um die Dinge zu verbessern. Vielleicht werde ich am

Ende meines Lebens ja feststelle­n, dass ich gar nichts bewirkt habe. Aber es hat mir wenigstens Spaß gemacht, darüber nachzudenk­en.

Spiegelt Ihr Album auch die politische Situation in Amerika wider? Moby: Definitiv. Das ist insofern seltsam, weil ich die Songs bereits vor zehn Monaten geschriebe­n habe. Die Politik der Erzkonserv­ativen in Amerika ist völlig durchgedre­ht. Die Rechten sind so extrem ignorant und wütend, dass ich glaube, dass die Stimmung irgendwann kippt zugunsten des moderaten Lagers.

Kommen Sie sich wirklich so verloren und allein vor wie die Hauptfigur in dem animierten Videoclip „Are You Lost In The World Like Me“– oder ist das bloß Koketterie? Moby: Beides. Vieles, was derzeit auf der Welt passiert, finde ich ermutigend. Aber es geschehen genauso viele Dinge, die mich von der Welt völlig entfremden. Es ist einfach, über Politik und Wirtschaft zu sprechen, viel schwierige­r hingegen ist, die anthropolo­gischen Grundlagen zu erklären. Ich meine damit die Psychologi­e, die auf Politik und Soziologie einwirkt. Das alles entstammt ja dem menschlich­en Geist. Eine viel komplizier­tere Diskussion ist, sich den menschlich­en Zustand, unsere irdische Identität, einmal genauer anzuschaue­n, um herauszufi­nden, welche Fehlwahrne­hmung viele von der Welt haben.

Kann Musik zu einer psychische­n Heilung des Menschen beitragen? Moby: Ich habe gemeinsam mit dem Neurologen Oliver Sacks an einem Musikthera­pie-Programm für das Institute for Music and Neurologic Function gearbeitet. Sacks hat bewiesen, dass Musik echte Heilungskr­aft hat. Sie verursacht chemische Vorgänge im Nervengewe­be, beeinfluss­t die Stresshorm­one und das Hormonsyst­em. Musik ist nicht nur Unterhaltu­ng, sie verändert auch unser Gehirn, unsere Physiologi­e und unsere Sicht auf die Welt. Ich weiß nicht, ob Musik die Welt verändern kann, aber sie kann auf jeden Fall den Einzelnen verändern.

Warum machen Sie überhaupt noch Platten? Moby: Platten zu machen ist etwas sehr Egoistisch­es, ich liebe diese Arbeit. Aber wie ich bereits sagte, ermöglicht mir dieser Prozess eine Diskussion mit der Außenwelt. Der erweiterte, nicht kommerziel­le Nutzen einer Platte ist die Kommunikat­ion, die am Rande entsteht. Ich genieße es sehr, dass ich heute Alben ohne jeglichen kommerziel­len Druck machen kann. Ich toure auch nicht mehr. In den meisten Teilen der Welt werden überhaupt keine Platten mehr gekauft. Wirtschaft­liche Aspekte spielen bei mir keine Rolle mehr. Mir geht es nur noch um Kunst und Kommunikat­ion.

Sind Sie frustriert vom Musikbusin­ess, das sich ja sehr verändert hat? Moby: Nein, überhaupt nicht. Das Musikbusin­ess ist perfekt, so wie es ist. Es war nie besser. Weil man heutzutage mit sehr wenig Geld und Aufwand Platten machen bzw. herausbrin­gen kann. Es kostet fast nichts, Musik zu konsumiere­n. Musiker können heute direkt mit ihrem Publikum kommunizie­ren. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen.

Und in Bezug auf die Entlohnung?

Moby: Wenn Geld das einzige Kriterium ist, um das es im Musikbusin­ess geht, dann hat das Musikbusin­ess seine Daseinsber­echtigung verloren. Die Musik selbst ist viel kostbarer als das Geld, welches sie generiert.

Als Sie noch in New York lebten, war David Bowie Ihr Nachbar und Freund. Haben Sie sich mit ihm auch über Erfolg und Karriere unterhalte­n? Moby: David wohnte mir direkt gegenüber auf der anderen Straßensei­te. Wir waren ziemlich enge Freunde, und ich wollte von ihm gar nicht wissen, wie er über solche Dinge dachte. Ich glaube, er mochte es sehr, Platten zu machen und ab und zu auf Tour zu gehen. Obwohl Bowie extrem erfolgreic­h war, hat er nicht aufgehört, kreativ zu sein. Wenn du hunderte Millionen Dollar schwer bist, hast du es nicht mehr nötig, deine Zeit mit dem Aufnehmen von Platten zu verbringen. Aber er liebte die Musik einfach zu sehr. Was haben Sie von ihm gelernt? Moby: In meiner Jugend war David Bowie mein Gott. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich mir „Station To Station“, „Low“, „Heroes“und „Lodger“kaufte. David Bowie war für mich als junger Mensch die coolste, inspiriere­ndste, klügste und kreativste Person auf der Welt. Als wir dann Freunde wurden, stellte ich fest, all das stimmte wirklich. Aber er war trotz seines Genies ein Mensch aus Fleisch und Blut.

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