Wärmt nicht, aber warnt
Durch Deutschland mag noch immer kein Ruck gehen – Warnwesten aber schon. Neulich früh ein ganzer Warnwurm unterwegs auf kleinen Beinchen und in Zweierreihen – eine Kindergartengruppe auf Morgenspaziergang durch die deutsche Gefahrenlage. Mit der Signalfarbe gelb, die das bisschen Restlicht des grauen Straßendreckswinters reflektiert, wird man immer häufiger konfrontiert, auch wenn weit und breit keine Panne passiert und niemand liegengeblieben ist.
War der Straßenanzug das Kleidungsstück der 1960er-Jahre und der Parka das der 1970er und 1980er, der Jogginganzug die Uniform der 1990er bis Nullerjahre, so könnte die Warnweste das Teil der aktuellen Dekade werden. Man sieht schon länger Fahrradfahrer damit herumsausen. Doch die Warnweste, die als Ausdruck einer allgemeinen Alarmbereitschaft und Nummer-Sicher-Mentalität selbst bei ganz schwacher Bedrohungslage (Dämmerung, etwas Neuschnee) vorsichtshalber für angemessen gehalten wird, dringt auch jenseits der Verkehrswege in immer mehr Lebensbereiche vor. Nordic Walker tragen sie, aber auch Herrschaften, die ihre Hunde Gassi führen und Leute, die Schnee schippen vor der Garageneinfahrt. Gewerkschafter, die demonstrieren, ja eh und sowieso. Warnwesten sind billig, es gibt sie für 1,99 Euro oder so. Mag sein, dass sie nicht wärmen. Aber sie warnen. Und sie signalisieren, dass man sich in einer Zeit der Unsicherheit nicht fahrlässig verhält, sondern seinen Beitrag zum Selbstschutz und zum allgemeinen Sicherheitsgefühl leistet. Dass Deutschland, von einer Drohne betrachtet, bald aussehen könnte wie eine Trockenheide, auf der behäbige Glühwürmchen schwirren, ist nicht mehr ausszuschließen. Wenn die Warnwesten-Mode dazu führt, dass alle ihre Mitmenschen wieder bewusster wahrnehmen: wie schön! (mls)