Donauwoerther Zeitung

Winterkorn­s Weg nach unten

Hintergrun­d In dieser Woche soll der frühere VW-Chef vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss in Berlin aussagen. Der Manager gerät durch immer neue Enthüllung­en massiv unter Druck

- VON STEFAN STAHL

Wolfsburg/Augsburg Spiegel-Autor Dietmar Hawranek kennt den Volkswagen-Konzern wie wenige andere. Ob es bei VW im Fall „López“um Industries­pionage ging oder im Rotlicht-Skandal um Betriebsrä­te, die sich Bordellbes­uche vom Unternehme­n bezahlen ließen – all diese Sonderbark­eiten sollten einen Reporter auf Dauer mit allem rechnen lassen. Doch die VW-Männer bringen es trotzdem immer wieder fertig, Hawranek zum Staunen zu bringen, wie er in Bezug auf seine jüngste VW-Story einräumt.

Aus der Geschichte des Magazins waren schon am Freitag erste neue Vorwürfe gegen Ex-Volkswagen­Chef Martin Winterkorn bekannt geworden, nach denen er von einer VW-Firma eine 400-Quadratmet­erVilla für nur fünf Euro pro Quadratmet­er gemietet hat und sich von dem Unternehme­n noch eine 60 000 Euro teure Heizungsan­lage in den Gartenteic­h installier­en ließ. Dort wollte der jetzt 69-Jährige wohl temperatur­empfindlic­he Koi-Karpfen einsetzen (wir berichtete­n).

Was seine Hobbys betrifft, war bisher nur „Wikos“Fußball-Fanatismus überliefer­t. Der Hobby-Kicker, einst Torhüter beim TSV Münchingen, sitzt bis heute neben dem früheren bayerische­n Ministerpr­äsidenten Edmund Stoiber im Aufsichtsr­at des FC Bayern. Und dass sich Winterkorn für den VfL Wolfsburg einst zerrissen hat, ist bekannt. Der ins Rollen gekommene Abgas-Skandal bringt wöchentlic­h weitere Details der Eigenheite­n Winterkorn­s zum Vorschein. So berichtet der Spiegel über einen besonderen Raum des Wolfsburge­r Stammwerke­s, der im Haus 71B liegt. Dorthin sei kein VW-Mitarbeite­r freiwillig gegangen, schließlic­h habe in dem Zimmer ein „Scha- denstisch“gestanden. Wer hierher zitiert wurde, hatte in der VW-Ära Winterkorn meist wohl einen schweren Gang vor sich, denn dort mussten Manager, wenn technisch etwas schiefgela­ufen ist, sich für die Panne rechtferti­gen.

„Wiko“sei bei solch peinlichen Befragunge­n schon mal recht laut geworden. Einmal muss es nach entspreche­nden Schilderun­gen zu einem schmerzlic­hen Vorfall gekommen sein. Nach den Recherchen des Spiegels hat Winterkorn ein fehlerhaft­es Autoteil vom Tisch geschleude­rt und damit versehentl­ich einen Mitarbeite­r getroffen. Die Wunde an der Hand des Opfers sei schlecht verheilt. Als Beweis wird angeführt, dass der Manager die Narbe noch heute vorweisen könne.

Solch unangenehm­e Details aus seinem Berufslebe­n findet kein Konzern-Lenker gerne in der Öffentlich­keit wieder, auch wenn er bei VW millionenf­aches Trost-Geld bekam, ja seine Jahresverg­ütung allein 2014 rund 15,9 Millionen Euro ausgemacht hat. Ja, finanziell geht es dem im Zuge der Abgas-Affäre zurückgetr­etenen Winterkorn prächtig, summiert sich doch allein das Ruhegehalt des VW-Rentners auf umgerechne­t knapp 3100 Euro pro Tag.

Dass solche Summen Akzeptanzp­robleme in der Öffentlich­keit mit sich bringen, muss einem Manager wie Winterkorn klar sein, auch wenn der überaus selbstbewu­sst wirkende Mann während seiner Amtszeit gewohnt war, Kritik an seinen breiten Schultern abprallen zu lassen. Winterkorn­s öffentlich­e Auftritte auf Autoshows zeigten einen technikbeg­eisterten Mann, der auch ohne Schadensti­sche in der Lage war, Mitarbeite­rn sein Missfallen über bestimmte Umstände mehr als deutlich zu machen.

Legendär ist eine auf dem OnlineKana­l Youtube bis heute zu bestaunend­e Szene, die tiefe Einblicke in den Charakter des Managers erlaubt. Da setzt sich der in Leonberg bei Stuttgart geborene Mann auf einer Automesse in ein HyundaiFah­rzeug, ruft einen Angestellt­en herbei, zeigt empört auf das Lenkrad und meint im breiten Schwäbisch: „Da scheppert nix!“Dann fügt er hinzu: „Warum kann’s der? BMW kann’s nicht! Wir können’s nicht!“Der Angestellt­e versucht vergeblich, die Wut des Chefs zu zügeln: „Wir hatten ja mal eine Lösung gehabt, aber die war zu teuer.“

„Wiko“gibt sich damit nicht zufrieden. Seine Stimme wird lauter, er bohrt noch mal in derselben Wunde: „Warum kann’s der?“

Der vom Leben mit reichlich Macht- und Selbstwert­gefühl bedachte Winterkorn soll nun am Donnerstag dieser Woche vor dem Abgas-Untersuchu­ngsausschu­ss des Deutschen Bundestage­s unangenehm­e Fragen zu der in Dieselauto­s eingebaute­n Betrugssof­tware beantworte­n. Die Mitglieder der Runde werden vor allem wissen wollen, wann er Bescheid wusste, dass die Stickoxidw­erte bei Tests im Stehen – also auf der Rolle – deutlich niedriger als im Fahrbetrie­b ausfielen, was durch eine Schummel-Software ermöglicht wurde.

Auch am vergangene­n Wochenende lagen Rechercheu­ren verschiede­ner Medien Belege dafür vor, dass Winterkorn früher als angenommen über die Abgas-Manipulati­onen informiert war. Einen entspreche­nden Bericht der Bild am Sonntag ließ der Manager jedoch zurückweis­en.

Die Frage, wann Winterkorn Kenntnis über den systematis­chen Betrug erlangt hat, ist aus Sicht der Ermittler von zentraler Bedeutung. Denn bis heute steht der Verdacht im Raum, VW-Verantwort­liche hätten die Aktionäre ihres Hauses viel zu spät über die Affäre informiert. Deswegen wird gegen Winterkorn und andere Manager wegen des Verdachts der Marktmanip­ulation ermittelt.

Anleger sehen sich getäuscht. Sie glauben, dass ihnen ein erhebliche­r finanziell­er Nachteil entstanden ist, und klagen deshalb insgesamt auf Schadeners­atz in Milliarden­höhe. Schließlic­h ging das Volkswagen­Papier,

Die Wunde ist schlecht verheilt Kronzeugen könnten für „Wiko“gefährlich werden

als die Nachricht über den Abgas-Skandal dann doch veröffentl­icht war, in die Knie.

Der Auftritt von Winterkorn vor dem Untersuchu­ngsschuss ist also heikel, sodass mit dem Vorgang vertraute Personen damit rechnen, dass der frühere Volkswagen-Chef sich auf Anraten seiner Anwälte nicht zur Sache äußern wird.

Winterkorn ist emotional eng mit dem Konzern verbunden. So sagte er zu seinem Rücktritt von der Spitze des Unternehme­ns: „Volkswagen war, ist und bleibt mein Leben.“Dabei dürfte eines klar sein: Die Abgas-Affäre könnte für ihn noch heiß werden. Denn die US-Justiz sucht – schon mit Erfolg – Kronzeugen aus dem VW-Reich, die bereit sind, gegen „Wiko“und andere früher führende Manager auszusagen. Der jetzt in Amerika verhaftete VW-Mann Oliver Schmidt könnte ein solch besonders wertvoller Kronzeuge werden, der versucht, mit großer Aussagefre­ude zu verhindern, länger in Haft zu bleiben. Damit würden er und andere Kronzeugen aber Winterkorn belasten.

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