Noch ein Siegel? Mehr Tierwohl bringt das nicht
Leitartikel Immer mehr Verbraucher wollen mit gutem Gewissen Fleisch kaufen. Agrarminister Schmidt will deshalb ein neues Label einführen. Sein Konzept greift zu kurz
Die Grüne Woche, die weltgrößte Ernährungsmesse in Berlin, hat ihre eigenen Rituale. Da zeigen sich die Regionen, die für ihre Spezialitäten werben, am liebsten mit Bildern von saftiggrünen Wiesen und glücklichen Kühen. Da treten die Agrarlobbyisten auf, die über niedrige Preise und strengere Auflagen klagen. Und Umwelt- und Tierschützer demonstrieren gegen Massentierhaltung.
Für den Agrarminister ist die Grüne Woche traditionell der Termin, zu dem er liefern muss. Christian Schmidt, ebenso glückloser wie weitgehend unbekannter CSUMinister, hat zumindest erkannt, was vielen Verbrauchern ein Anliegen ist – die Haltung der Tiere, deren Fleisch auf unseren Tellern landet. Doch sein lange angekündigtes Konzept für mehr Tierwohl ist enttäuschend: Wieder ein neues Label, wieder eine Kennzeichnung, die in der Flut an Siegeln unterzugehen droht, wieder ein Logo, das die Verbraucher verwirrt.
Glaubt man dem jüngsten Ernährungsreport, sind immerhin 88 Prozent der Deutschen bereit, mehr Geld für mehr Tierwohl auszugeben. Und es ist wichtig, dass Konsumenten solche Produkte im Supermarkt auch erkennen. Ein Konzept aber, wie es Schmidt vorschwebt, gibt es bereits – und es ist wenig erfolgreich. Der Tierschutzbund zertifiziert seit vier Jahren Schweineund Hähnchenmäster mit einem oder zwei Sternen, je nachdem, wie weit die Haltungsbedingungen über die gesetzlichen Vorschriften hinausgehen. Gekauft aber wird Siegel-Fleisch kaum. Der Marktanteil liegt unter einem Prozent.
Schmidts Konzept mag zwar durch ein Gesetz geregelt werden und dadurch glaubwürdiger sein als andere Initiativen. Trotzdem greift der Minister mit seiner freiwilligen Kennzeichnung zu kurz. Wer als Tierhalter höhere Standards einhält, kann das staatliche Tierwohl-Label nutzen. Der Wildwuchs im Kühlregal aber bleibt. Denn nach wie vor können Hersteller mit Bildern von Landidylle und glücklichen Schweinen werben, ohne tatsächlich den Tieren bessere Bedingungen zu bieten. Sinnvoller wäre daher eine verpflichtende und einheitliche Tierwohl-Regelung – ähnlich, wie es sie beim Bio-Siegel gibt. Denn schon jetzt wissen immer weniger Verbraucher, auf welches Label sie sich verlassen können, weil es immer mehr davon gibt, mit völlig unterschiedlichen Standards.
Es wird darauf ankommen, Schmidts Ansatz mit bestehenden Konzepten zu verzahnen und sich auf ein tragfähiges Konzept zu einigen, das auch dem Verbraucher zu erklären ist. Da ist etwa die Initiative Tierwohl, eine Brancheninitiative, bei der die Handelsunternehmen für jedes verkaufte Kilo Fleisch vier Cent in einen Fonds zahlen. Daraus erhalten zertifizierte Schweine- und Geflügelhalter einen Zuschuss. Nur: Die Initiative ist ins Stocken geraten, Real und der Tierschutzbund sind ausgestiegen. Und es fehlt an Geld, um mehr Landwirte aufzunehmen. Das größte Problem aber ist, dass der Supermarktkunde nicht erkennen kann, ob er Fleisch von einem Tier kauft, das nach Tierwohl-Kriterien gehalten wurde. Wie nur soll der Verbraucher das verstehen?
Klar ist auch: Höhere Standards haben ihren Preis. Und sie werden nur umgesetzt, wenn es auch eine Nachfrage gibt. Noch sagen zu viele Verbraucher leichtfertig, mehr Geld für mehr Tierwohl ausgeben zu wollen, entscheiden beim Einkauf aber nach dem Preis. Wer als Konsument bessere Bedingungen fordert, darf nicht ausblenden, was Tierhaltung bedeutet. Nötig ist ein realistischeres Bild der Landwirtschaft. Selbst wenn die Tiere mehr Platz oder mehr Beschäftigung haben, bleiben sie doch Nutztiere, die gemästet werden, damit wir sie essen können. Zu Tode gestreichelt werden sie auch dann nicht.
Die Hersteller werben mit glücklichen Schweinen