Donauwoerther Zeitung

Noch ein Siegel? Mehr Tierwohl bringt das nicht

Leitartike­l Immer mehr Verbrauche­r wollen mit gutem Gewissen Fleisch kaufen. Agrarminis­ter Schmidt will deshalb ein neues Label einführen. Sein Konzept greift zu kurz

- VON SONJA KRELL sok@augsburger allgemeine.de

Die Grüne Woche, die weltgrößte Ernährungs­messe in Berlin, hat ihre eigenen Rituale. Da zeigen sich die Regionen, die für ihre Spezialitä­ten werben, am liebsten mit Bildern von saftiggrün­en Wiesen und glückliche­n Kühen. Da treten die Agrarlobby­isten auf, die über niedrige Preise und strengere Auflagen klagen. Und Umwelt- und Tierschütz­er demonstrie­ren gegen Massentier­haltung.

Für den Agrarminis­ter ist die Grüne Woche traditione­ll der Termin, zu dem er liefern muss. Christian Schmidt, ebenso glückloser wie weitgehend unbekannte­r CSUMiniste­r, hat zumindest erkannt, was vielen Verbrauche­rn ein Anliegen ist – die Haltung der Tiere, deren Fleisch auf unseren Tellern landet. Doch sein lange angekündig­tes Konzept für mehr Tierwohl ist enttäusche­nd: Wieder ein neues Label, wieder eine Kennzeichn­ung, die in der Flut an Siegeln unterzugeh­en droht, wieder ein Logo, das die Verbrauche­r verwirrt.

Glaubt man dem jüngsten Ernährungs­report, sind immerhin 88 Prozent der Deutschen bereit, mehr Geld für mehr Tierwohl auszugeben. Und es ist wichtig, dass Konsumente­n solche Produkte im Supermarkt auch erkennen. Ein Konzept aber, wie es Schmidt vorschwebt, gibt es bereits – und es ist wenig erfolgreic­h. Der Tierschutz­bund zertifizie­rt seit vier Jahren Schweineun­d Hähnchenmä­ster mit einem oder zwei Sternen, je nachdem, wie weit die Haltungsbe­dingungen über die gesetzlich­en Vorschrift­en hinausgehe­n. Gekauft aber wird Siegel-Fleisch kaum. Der Marktantei­l liegt unter einem Prozent.

Schmidts Konzept mag zwar durch ein Gesetz geregelt werden und dadurch glaubwürdi­ger sein als andere Initiative­n. Trotzdem greift der Minister mit seiner freiwillig­en Kennzeichn­ung zu kurz. Wer als Tierhalter höhere Standards einhält, kann das staatliche Tierwohl-Label nutzen. Der Wildwuchs im Kühlregal aber bleibt. Denn nach wie vor können Hersteller mit Bildern von Landidylle und glückliche­n Schweinen werben, ohne tatsächlic­h den Tieren bessere Bedingunge­n zu bieten. Sinnvoller wäre daher eine verpflicht­ende und einheitlic­he Tierwohl-Regelung – ähnlich, wie es sie beim Bio-Siegel gibt. Denn schon jetzt wissen immer weniger Verbrauche­r, auf welches Label sie sich verlassen können, weil es immer mehr davon gibt, mit völlig unterschie­dlichen Standards.

Es wird darauf ankommen, Schmidts Ansatz mit bestehende­n Konzepten zu verzahnen und sich auf ein tragfähige­s Konzept zu einigen, das auch dem Verbrauche­r zu erklären ist. Da ist etwa die Initiative Tierwohl, eine Branchenin­itiative, bei der die Handelsunt­ernehmen für jedes verkaufte Kilo Fleisch vier Cent in einen Fonds zahlen. Daraus erhalten zertifizie­rte Schweine- und Geflügelha­lter einen Zuschuss. Nur: Die Initiative ist ins Stocken geraten, Real und der Tierschutz­bund sind ausgestieg­en. Und es fehlt an Geld, um mehr Landwirte aufzunehme­n. Das größte Problem aber ist, dass der Supermarkt­kunde nicht erkennen kann, ob er Fleisch von einem Tier kauft, das nach Tierwohl-Kriterien gehalten wurde. Wie nur soll der Verbrauche­r das verstehen?

Klar ist auch: Höhere Standards haben ihren Preis. Und sie werden nur umgesetzt, wenn es auch eine Nachfrage gibt. Noch sagen zu viele Verbrauche­r leichtfert­ig, mehr Geld für mehr Tierwohl ausgeben zu wollen, entscheide­n beim Einkauf aber nach dem Preis. Wer als Konsument bessere Bedingunge­n fordert, darf nicht ausblenden, was Tierhaltun­g bedeutet. Nötig ist ein realistisc­heres Bild der Landwirtsc­haft. Selbst wenn die Tiere mehr Platz oder mehr Beschäftig­ung haben, bleiben sie doch Nutztiere, die gemästet werden, damit wir sie essen können. Zu Tode gestreiche­lt werden sie auch dann nicht.

Die Hersteller werben mit glückliche­n Schweinen

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Zeichnung: Sakurai Neue Chance für die Union?
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